Pipers Welt:Vertrauen

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Nikolaus Piper schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Freitag. Zeichnung: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Viele Amerikaner haben eine schlechte Meinung von den Institutionen ihrer Demokratie. Das kann zu einem wirtschaftlichen Problem für die Welt werden.

Von Nikolaus Piper

Der Sturm des Trump-Mobs auf das Kapitol in Washington hat nicht nur eine politische und gesellschaftliche, sondern auch eine ökonomische Dimension, die man nicht unterschätzen sollte. Die schockierenden Bilder aus dem Herzen der mächtigsten Demokratie der Welt zeigten, wie gering das Vertrauen vieler Amerikaner in die Institutionen dieser Demokratie ist und mit wie viel Erfolg der amtierende Präsident daran gearbeitet hat, dieses Vertrauen weiter zu untergraben. Das geht so weit, dass Trumps Anhänger die Ergebnisse von Wahlen infrage stellen, sobald die anderen gewonnen haben könnten.

Vertrauen bedeutet, wie der Ökonom Michael Wohlgemuth von der Universität Witten/Herdecke schrieb, "dass man von anderen erwartet, dass sie das tun, was sie versprochen haben". Dass zum Beispiel Politiker Einnahmen aus Steuern so ausgeben, wie es das Parlament beschlossen hat, und dass sie nicht in die eigene Tasche wirtschaften. Oder auch, dass bei Wahlen jede Stimme zählt. Ohne dieses Grundvertrauen lässt sich kaum eine langfristig angelegte Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben, besonders dann nicht, wenn unbequeme Entscheidungen anfallen. In Deutschland ist das Institutionenvertrauen ganz passabel, niedriger als in Schweden oder der Schweiz, aber viel höher als in Italien.

Rechte Gruppe schüren das Misstrauen in die Institutionen

Ein besonderer Fall sind die Institutionen in den Vereinigten Staaten. Die verlieren seit Jahren in weiten Teilen der Bevölkerung an Vertrauen. Dass Misstrauen wird geschürt von einer Vielzahl rechter bis rechtsextremer Gruppen; und es wurde zum Schluss noch vom amtierenden Präsidenten schamlos instrumentalisiert. Anhänger der Republikaner glauben, dass die Regierenden, besonders wenn es sich dabei um Demokraten handelt, nur deshalb Steuern erheben, weil sie den "Sozialismus" wollen, was immer das im amerikanischen Kontext bedeuten mag. Je weniger Geld der Staat nach dieser Lesart hat, desto besser.

Das führte konsequenterweise dazu, dass der amerikanische Bundeshaushalt chronisch unterfinanziert ist. Vor allem für die Krankenversicherung der Rentner ("Medicare") und die bröckelnde Infrastruktur fehlt das Geld. Die gesamte Staatsschuld ist mittlerweile fast so groß wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das die Amerikaner im Laufe eines Jahres erwirtschaften. Wie das parteiunabhängige Haushaltsbüro des Kongresses errechnete, wird die Schuld bereits 2023 den höchsten Wert in der bisherigen Geschichte der USA erreicht haben: 107 Prozent des BIP.

Trumps Schuldenpolitik hat Haushaltsrisiken kumuliert

Die Zahlen wurden selbstverständlich durch Corona in die Höhe getrieben, das eigentliche Problem liegt aber darin, dass unter Trump die Verschuldung auch bei guter Konjunktur weiter gestiegen ist, was zu mehr Wachstum führte und dem Präsidenten dazu verholfen haben dürfte, als erfolgreicher Wirtschaftspolitiker zu erscheinen. Der Kurs hat bisher noch keine erkennbaren Schäden verursacht, aber hat im Haushalt Risiken kumuliert. Und die können dann zum Problem werden, wenn einmal die Inflation zurückkehren sollte.

Eigentlich gilt die Inflation heutzutage als tot. Seit der Finanzkrise hatten die Federal Reserve, die Europäische Zentralbank und andere Billionen Dollar und Euro in die Wirtschaft gepumpt, ohne dass die Preise deswegen gestiegen wären. Inzwischen drucken die Notenbanken Geld, um die Staatskassen zu füllen. Was früher als erster Schritt zur Hyperinflation galt, ist heute die normalste Sache der Welt.

Etwas mehr Inflation wäre willkommen, aber ...

Nun melden sich in jüngster Zeit immer wieder Experten, die neu über das Thema Inflation nachdenken. Bill Dudley zum Beispiel, früherer Chef der mächtigen Landeszentralbank von New York ("New York Fed"), warnte gegenüber Bloomberg, nach dem Ende der Pandemie könnten die Preise schnell steigen, ganz einfach deshalb, weil die Menschen wieder mehr Gelegenheit zum Geldausgeben haben. Außerdem habe in der Finanzpolitik ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Staatsverschuldung gelte nicht mehr als Problem, daher sähen Ökonomen mehr Spielraum für aggressive Konjunkturprogramme. "Inflation könnte genau deshalb eine größere Gefahr sein, weil sie nicht mehr als solche wahrgenommen wird", meinte Dudley.

Etwas mehr Inflation wäre zwar willkommen. Was aber, wenn es noch mehr würde und die Notenbanken das tun wollen, was ihrem Auftrag entspricht: weniger Geld drucken und höhere Zinsen zulassen? Dann würden die Schuldenberge plötzlich zum Problem. Es stimmt, die Regierungen können sich gegenwärtig zu historisch günstigen Bedingungen verschulden. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen liegt bei einem Prozent. Und in Deutschland zahlen Anleger sogar drauf, wenn sie Bundesanleihen halten. Aber das ist eben nur die Hälfte der Geschichte. Die andere Hälfte besteht darin, dass ein Teil der günstigen Anleihen immer fällig wird und zu Marktbedingungen neu aufgelegt werden muss. Selbst ein geringer Zinsanstieg kann so den Schuldendienst einer Regierung schnell verteuern.

Und hier kommt nun das Institutionenvertrauen der Bevölkerung ins Spiel. Trägt sie unbequeme Entscheidungen zur Sanierung der Staatsfinanzen mit? Oder muss die Regierung Druck auf die Notenbank ausüben, um diese Entscheidungen und den Zorn der Wähler zu vermeiden? Dann könnten sich die Preissteigerungen verselbständigen, und das auch jenseits der amerikanischen Grenzen. Insofern ist das fehlende Vertrauen der Amerikaner in ihre Institutionen nicht nur ein Problem für den neuen Präsidenten Joe Biden. So, wie, nebenbei gesagt, das geringe Institutionenvertrauen in Italien alle Euro-Länder betrifft.

Es ist, gerade zu Beginn des neuen Jahres, nicht schlecht, sich auf unerwartete, aber hochriskante Ereignisse einzustellen.

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