Pipers Welt:Unter Clowns

Pipers Welt: An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

Anfang Juli treffen sich die G-20-Staaten. Die geplanten Proteste sind auf merkwürdige Weise aus der Zeit gefallen.

Von Nikolaus Piper

Es dauert nicht mehr lange, dann werden sich in Hamburg die Staats- und Regierungschefs der 19 mächtigsten Industrie- und Schwellenländer, außerdem die Spitze der EU zum G-20-Gipfel treffen. Im Rest des Bundesgebietes merkt man das daran, dass zunehmend Bushaltestellen und andere Orte im öffentlichen Raum mit schwarzen Aufklebern verunstaltet werden: "Smash Capitalism". Ein klares Indiz dafür, dass die erprobte Maschine des Protests gegen Gipfel jeder Art noch funktioniert. "G 20 entern, Kapitalismus versenken" heißt eine Parole und man ahnt, dass das mit dem "Entern" genauso gemeint ist, wie es klingt. Kein Wunder, dass 20 000 Polizisten nötig sind, um die Konferenz zu schützen.

Was Gipfel-Proteste betrifft, sind die Deutschen tatsächlich Weltmeister, wie man spätestens seit dem G-7-Treffen in Heiligendamm und auf der Elmau weiß. Insofern sind die akribischen Vorbereitungen der Gipfelgegner fast schon Routine. Die "Aktionsakademie" von Attac zum Beispiel, die vom 24. bis 28. Mai in der (staatlichen) Hamburger Stadtteilschule Walddörfer stattfand und bei der die Teilnehmer zum Beispiel lernten, wie man mit dem "Generve mit der Polizei" am besten umgeht, und zwar "kreativ".

Das Besondere in diesem Jahr ist, dass die Gipfelgegner in Hamburg durchaus Erfolg haben könnten. Nicht aus eigener Kraft, sondern weil sie im neuen amerikanischen Präsidenten einen mächtigen Verbündeten am Konferenztisch haben. Zugegeben, Donald Trump wird vermutlich nicht den Aufruf zur Demonstration gegen die "kalte und grausame Welt des globalen Kapitalismus" unterschreiben. Aber weiß man es? Auf dem Treffen der G-20-Finanzminister im März in Baden verhinderte Trumps Finanzminister Steve Mnuchin immerhin das vorgesehene Bekenntnis gegen den Protektionismus. Das kann man durchaus als ein Votum gegen den grausamen globalen Kapitalismus werten. In seiner Gegnerschaft zu Freihandelsabkommen wie TTIP weiß er sich wohl einig mit Attac. Und dann hat Trump mittlerweile reichlich Erfahrung darin, Gipfeltreffen zu entern und zu versenken. Was beim Nato-Gipfel in Brüssel und beim G-7-Treffen in Taormina funktioniert hat, sollte doch auch am 7. und 8. Juli in Hamburg klappen.

Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass der Apparat der Protestbewegung gegen die Globalisierung in ihrer Routine das gleiche Problem hat wie einige Größen der Wall Street während der Finanzkrise 2008: qualitativ Neues zu erkennen. Qualitativ neu war 2008 die Immobilienkrise, die anders als frühere derartige Krisen die gesamten Vereinigten Staaten erfasste. Neu ist jetzt, dass sich die USA als größte Volkswirtschaft der Welt bis auf Weiteres aus dem Prozess der Koordination in der globalisierten Wirtschaft zurückgezogen haben. Die Institution G 20 ist damit weitgehend obsolet geworden.

Wer gegen Donald Trump protestieren will, der müsste für die G20 demonstrieren

Um die Bedeutung dieses Vorgangs abschätzen zu können, sollte man sich die Ursprünge der G 20 in Erinnerung rufen. Die Institution ist ein Kind der Asienkrise. Der damalige US-Präsident Bill Clinton erkannte, dass es in einer globalisierten Welt nicht mehr reicht, wenn sich die traditionellen Industrieländer in ihrem Club der G 7 treffen, um Krisen zu bekämpfen, sondern dass auch die Schwellenländer gebraucht werden. Seither sitzen Staaten wie China, Russland, Brasilien, die Türkei oder Südafrika mit am Tisch. Das erste Finanzministertreffen der G 20 fand im Dezember 1999 in Berlin statt. Als sich dann die Finanzkrise 2008 zu einer globalen Depression auszuweiten drohte schlug Präsident George Bush vor, die G 20 aufzuwerten. Seither treffen sich nicht nur die Finanzminister der Gruppe regelmäßig, sondern auch die Staats- und Regierungschefs. Selbst unter Bush war es also selbstverständlich, dass sich die USA in internationale Abmachungen zur Krisenabwehr und Stärkung der Weltwirtschaft einbinden ließen. Erst seit Trump ist das nicht mehr der Fall. Seit Helmut Schmidt 1975 die Gipfeltreffen erfand, war Kooperation unter den Großen in der Weltwirtschaft selbstverständlich, heute ist sie es nicht mehr. Amerika ist sich selbst genug.

Nun gibt es sicher einige Teilnehmer des Hamburger Gipfels, gegen die sich mit guten Argumenten demonstrieren ließe: neben Trump etwa Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdoğan. Aber nicht, weil sie Vertreter des globalen Kapitalismus wären, sondern eher das Gegenteil: Weil sie als populistische Gegner einer offenen Welt handeln. Wer daher gegen Trump protestieren will, der müsste eigentlich für die G 20 auf die Straße gehen.

Stattdessen rufen 167 Gruppen (Stand: Donnerstag 16 Uhr) zur Protestdemo in Hamburg auf: von der Linkspartei bis zu den Ultras des FC St. Pauli, von den Jusos bis zur Deutschen Kommunistischen Partei, von der Gewerkschaftsjugend bis zur Interventionistischen Linken, einer Organisation, deren Verhältnis zu Gewalt man wohl am besten als "pragmatisch" bezeichnet. Sehr schön ist auch die sich als marxistisch begreifende Tageszeitung Junge Welt, die ihre Berichterstattung über G 20 unter das Motto "Hamburger Aufstand 2017" stellt. Die Zeitung stellt damit einen Bezug zum Hamburger Aufstand von 1923 her. Damals putschte eine Fraktion der Kommunistischen Partei Deutschlands von Hamburg aus gegen die Weimarer Republik. Das Ergebnis waren 100 Tote, die meisten davon nicht beteiligte Zivilisten.

Aber diese Kolumne soll freundlich enden. Bei der Aktionsakademie von Attac haben die Teilnehmer auch gelernt, wie man als Clown die Bürger davon überzeugt, dass die G 20 eine schlimme Sache ist. Man kann es also auch so sehen: In Hamburg werden mehrere Clowns außerhalb und einer innerhalb des Konferenzgebäudes gemeinsam gegen die Globalisierung kämpfen.

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