Pipers Welt:Vor uns der Niedergang

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An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Vor 200 Jahren wurde der deutsche Physiker Rudolf Clausius geboren. Der Geburtstag ist eine gute Gelegenheit, um über die natürlichen Grenzen der Ökonomie nachzudenken.

Von Nikolaus Piper

Ökonomen sollten nie den Fehler begehen, sich für Naturwissenschaftler zu halten. Die Physik hat Gesetze wie: "Im Vakuum breitet sich das Licht mit einer Geschwindigkeit von 299 792 Kilometern in der Sekunde aus." Vergleichbares gibt es in der Volkswirtschaftslehre nicht. Zwar kann man postulieren: "Wenn der Preis steigt, sinkt die Nachfrage." Das wird in vielen Fällen auch stimmen, muss es aber nicht. Zum Beispiel gibt es Leute, die kaufen gerade dann, wenn eine Ware teurer wird. Vielleicht weil sie erwarten, dass alles in Zukunft noch viel mehr kosten wird. Oder weil sie glauben, dass der höhere Preis ein Zeichen von Qualität ist. Ökonomische Gesetze sind in Wirklichkeit plausible Behauptungen, die immer wieder getestet werden müssen. Besonders unsinnig sind "Gesetze" der Wirtschaftsentwicklung. Etwa wenn die Nachfolger von Karl Marx behaupten, der Kapitalismus werde bald vom Sozialismus abgelöst, weshalb wir derzeit im "Spätkapitalismus" lebten. Auf diesen Sozialismus warten die Marxisten seit Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests, und das war 1848.

Nun kennt die Ökonomie zwar keine Gesetze wie die Physik, wohl aber gibt es in der Physik ein Gesetz, das fundamentale ökonomische Bedeutung hat, obwohl es in der Praxis kaum jemand mit Ökonomie in Verbindung bringt. Die Rede ist vom zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Er besagt, etwas vereinfacht: Die Unordnung im Universum nimmt ständig zu. Ordnung ist zum Beispiel konzentrierte Energie. Heizt jemand seine Wohnung, etwa mit Erdgas, dann steckt diese Energie in den warmen Räumen. Sie ist zwar noch da, man kann sie aber nicht mehr verwenden, um beispielsweise einen Teller Suppe zu kochen, sie ist nicht mehr nutzbar - die Unordnung hat zugenommen. Ressourcen sind unwiderruflich verloren.

Eine weise Ökonomie geht sparsam mit den Bodenschätzen um

In der nächsten Zeit wird es viel Gelegenheit geben, sich mit diesem Gesetz zu beschäftigen. Am 2. Januar jährt sich der Geburtstag des Physikers Rudolf Clausius zum 200. Mal. Er war es, der den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik entdeckt hatte. Geboren wurde er 1822 im pommerschen Köslin (heute in Polen), er starb 1888 in Bonn. Die dortige Universität widmet ihm daher im gerade begonnenen Wintersemester eine Ringvorlesung. Bezeichnenderweise geht es dabei jedoch ausschließlich um Fragen der Physik, der Chemie und der Meteorologie, nicht aber der Ökonomie.

Clausius hatte für die von ihm beschriebene zunehmende Unordnung einen eigenen Begriff erfunden: Entropie, eine Zusammensetzung aus den altgriechischen Wörtern " en" (innerhalb) und " trope" (Wendepunkt). Wahrscheinlich war die Wortwahl nicht besonders klug, denn der mysteriös klingende Begriff erschwert vielen den Zugang zu dem Thema. Dass das Entropiegesetz etwas mit Ökonomie zu tun hat, war schon Clausius selbst bewusst. "Folgende Jahrhunderte", so schrieb er 1885, würden "die Aufgabe haben, in dem Verbrauch dessen, was uns an Kraftquellen in der Natur geboten ist, eine weise Ökonomie einzuführen, und besonders dasjenige, was wir als Hinterlassenschaft früherer Zeitepochen im Erdboden vorfinden, und was durch nichts wieder ersetzt werden kann, nicht verschwenderisch zu verschleudern".

Menschen brauchen, um überleben und wirtschaften zu können, einen ständigen Zustrom neuer Energie oder, in Clausius' Terminologie, niedrige Entropie. Eigentlich kein Problem, denn es gibt ja die Sonne. Sie liefert Wärme, lässt Getreide wachsen, Holz und alles andere, was zum Überleben nötig ist. Das Problem liegt darin, dass die Menschen seit der Industrialisierung die in der Erdkruste gespeicherten Schätze an niedriger Entropie verbrauchen: Kohle, Erdöl, Erdgas, Mineraldünger und andere Rohstoffe. Ohne diesen Substanzverzehr könnten nicht knapp acht Milliarden Menschen auf der Erde leben, geschweige denn wäre der Wohlstand zu finanzieren, den ein Teil der Menschheit genießt. Der Schluss aus dem Entropiegesetz ist eindeutig: Nachhaltig ist nur eine Wirtschaft, die ausschließlich von erneuerbarer Energie lebt.

Aus Möbeln Bäume machen? Eher schwierig!

In der Ökonomie spielte das Entropiegesetz bisher kaum eine Rolle, weder bei orthodoxen noch bei heterodoxen Wissenschaftlern. Eine große Ausnahme war der im amerikanischen Exil lebende rumänische Mathematiker und Ökonom Nicholas Georgescu-Roegen (1906-1994). Er forderte schon in den 1970er-Jahren eine Neuformulierung ökonomischer Modelle. So etwas wie einen "Wirtschaftskreislauf" könne es aus Sicht der Natur gar nicht geben, denn dieser Kreislauf brauche, um zu funktionieren, einen ständigen Zufluss an niedriger Entropie. Georgescu-Roegen bezeichnete das Kreislaufmodell als "Erbsünde der modernen Nationalökonomie". Zwar habe noch kein Ökonom behauptet, dass man aus Möbeln wieder Bäume machen könne, spottete er. Deren Modelle legten diesen Schluss jedoch nahe.

Die Beschäftigung mit dem Entropiegesetz in der Ökonomie kann zu tiefem Pessimismus verleiten. Von Georgescu-Roegen stammt der Satz: "Wenn wir über Details hinwegsehen, können wir sagen, dass jedes heute geborene Baby ein menschliches Leben weniger in der Zukunft bedeutet. Aber auch jeder Cadillac, der irgendwann einmal produziert wird, bedeutet weniger Leben in der Zukunft." Wahrscheinlich beschäftigen sich genau deshalb so wenige mit Entropie und Ökonomie, auch unter Umwelt- und Klimaschützern. Niemand möchte gerne den Propheten spielen, der den Niedergang voraussagt. Auf der anderen Seite: Könnte die moderne Wirtschaftswissenschaft nicht dadurch gewinnen, dass sie um ihre physikalischen Grenzen weiß? Schließlich können Menschen ihr Verhalten ändern, wenn sie informiert werden.

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