Süddeutsche Zeitung

Pipers Welt:Nachhilfe

Nach neuen Zahlen des IWF steigt das Defizit in der US-Leistungsbilanz dramatisch - nicht trotz, sondern wegen Donald Trump. Wie wird der Präsident darauf reagieren?

Von Nikolaus Piper

Abraham Lincoln wird folgende Zusammenfassung der merkantilistischen Außenwirtschaftstheorie zugeschrieben: "Wenn ich in England eine Jacke kaufe, dann habe ich eine Jacke und England hat das Geld. Wenn ich aber in Amerika kaufe, dann habe ich die Jacke und Amerika hat das Geld." Wahrscheinlich hat der große Präsident diesen Satz nie gesagt; die Quellenlage ist jedenfalls dürftig. Richtig aber ist, dass Lincoln, ähnlich wie viele seiner Zeitgenossen, nichts vom Freihandel hielt, insofern trifft der Satz Lincolns Überzeugungen. Es ist das geistige Erbe von Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Nach dessen Theorie war Außenhandel dann gut, wenn er zu großen Vorräten an Gold in den königlichen Schatzkammern führte, wenn also - wie man heute sagen würde - die Leistungsbilanz einen Überschuss aufweist.

Inzwischen gibt es keine Sonnenkönige mehr, wohl aber gibt es Donald Trump. Ganz im Sinne von Colbert kämpft er gegen das hohe Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten, mit Zöllen und mit der Beschimpfung von Handelspartnern. Trump behauptet, Amerika habe ein Leistungsbilanzdefizit von 817 Milliarden Dollar gehabt, "in den vergangenen Jahren". Niemand weiß, wie diese Zahl zustande gekommen ist, aber darauf kommt es auch nicht an. Die Zahl veranlasste Trump zu einer steilen These: "Wir hätten eine Menge Geld sparen können, wenn wir gar keinen Handel getrieben hätten." Irgendwie ist das natürlich nicht falsch.

Wenn man Geld nicht ausgibt, hat man es noch. Nur hat man dann eben auch keine Waren. Ein Defizit in der Leistungsbilanz bedeutet, dass die Einwohner des betreffenden Landes mehr ausgeben, als sie produzieren und deshalb Kapital importieren müssen. Das ist für sich genommen nicht schlimm, solange alles in Grenzen bleibt und man keinen Präsidenten hat, der meint, man könne das Defizit mittels Zöllen und Beschimpfungen wegbekommen, es seien die bösen Ausländer, die die Zölle zahlten. Zölle sind Steuern auf ausländische Waren, die Inländer zahlen müssen. Mit ihnen kann man vielleicht die amerikanische Stahlindustrie schützen, nicht aber das Leistungsbilanzdefizit schließen.

Wenn der Präsident das nicht glauben sollte (und wahrscheinlich ist das so), dann bietet der neue Weltwirtschaftsausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) reichlich Stoff für eine Nachhilfestunde. Seit Trump regiert, sinkt das Defizit in der US-Leistungsbilanz nicht etwa, es steigt, und zwar dramatisch. In diesem Jahr nimmt es von 449 auf 515 Milliarden Dollar zu, also um 15 Prozent. Im kommenden Jahr soll die Leistungsbilanz gleich um stolze 25 Prozent auf 652 Milliarden ins Defizit rutschen.

Was, wenn der Ideologe Peter Navarro sich des Themas annimmt?

Folgte man Trumps Logik, dann müsste man jetzt sagen: In den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit hätten die Amerikaner 1167 Milliarden Dollar gespart, wenn sie gar keinen Handel getrieben hätten. In Wahrheit gibt es einen einfachen Grund für das höhere Defizit: Die Amerikaner, vor allem die wohlhabenden unter ihnen, werden mehr Geld zur Verfügung haben. Verantwortlich ist Trumps große Steuerreform. Sie wird Verbrauchern und Unternehmern in den USA Milliarden von Dollar bringen. Und weil dies alles auf Pump finanziert wird, steigt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage exorbitant. Die Reform wirkt wie ein gigantisches Konjunkturprogramm auf dem Höhepunkt eines Booms. Weil die amerikanische Wirtschaft nun schneller wächst als die der meisten anderen Länder, ist auch der Dollar teuer (derzeit bekommt man nur 1,14 Dollar für einen Euro). Das macht auch amerikanische Exporte teuer und Importe nach Amerika billiger. Kein Wunder, dass in der Projektion des IWF das Defizit bis 2023 auf 809 Milliarden Dollar steigen soll.

Solche Reaktionen sind im Kern normale Ökonomie. Nicht normal ist das Tempo, mit dem sie jetzt eintreten. Martin Hüfner, Chefvolkswirt bei der Finanzfirma Assenagon, fürchtet, das US-Defizit könnte, ähnlich wie vor der Finanzkrise, zum "Sprengsatz für das Weltfinanzsystem" werden. Die amerikanische Wirtschaft zieht Kapital vom Rest der Welt ab, dadurch wird Geld knapper, die Zinsen steigen schneller als ohnehin schon. Das wird zum Problem für etliche hoch verschuldete Schwellenländer, von denen einige bereits in Not sind. Die Türkei, Brasilien und Argentinien sind die bekanntesten Beispiele. Daraus kann sich eine umfassende Krise der Schwellenländer entwickeln. Niemand weiß auch, was in Amerika passiert, wenn der Schub aus der Steuerreform nachlässt.

Und dann die möglichen Reaktionen aus Washington. Was ist, wenn Trumps Wirtschaftsberater, der protektionistische Ideologe Peter Navarro, die IWF-Statistik in die Hände bekommt und dem Chef seine eigene Story erzählt? Wird dieser dann eine neue Runde von Zollerhöhungen einläuten, weil die erste nichts gebracht hat? Hält eine Weltwirtschaft das aus, die ohnehin im Ungleichgewicht ist?

Vor diesem Hintergrund sollten sich auch die Deutschen die neuen Zahlen genau ansehen. Deutschland hat mit voraussichtlich 327 Milliarden Dollar den bei weitem größten Leistungsbilanzüberschuss der Welt, größer als der Japans und Chinas zusammen. Das ist kein Grund, den "Exportweltmeister" zu feiern. Der Überschuss zeigt zwar, dass Deutschlands Exportindustrie gut ist, er zeigt aber auch, dass im Land selbst viel zu wenig investiert wird und dass der Euro für die Deutschen zu billig ist, was Probleme in der ganzen EU schafft. Schließlich gibt es ein hohes politisches Risiko bei einem US-Präsidenten, der sowieso auf Krawall gebürstet ist ("Germany is bad on trade, very bad"). Am besten stellt man sich wohl darauf ein, dass Trump einfach die Dosis der verfehlten Politik erhöht.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2018
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