Süddeutsche Zeitung

Pipers Welt:Heikle Moscheesteuer

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Eine Übertragung der deutschen Kirchensteuer auf islamische Gemeinden sollte man sich gut überlegen. Es gibt gute Gründe dagegen.

Von Nikolaus Piper

Zwischen den Jahren beschäftigte die Deutschen unter anderem die Frage einer "Moscheesteuer" nach dem Vorbild der Kirchensteuer. Anlass für die Debatte war ein Missverständnis. Seyran Ates, die liberale Imamin aus Berlin, hatte vorgeschlagen, dass sich deutsche Moscheegemeinden künftig durch Beiträge ihrer Mitglieder finanzieren, um den Einfluss ausländischer, reaktionärer Geldgeber zurückzudrängen. Den türkischen Staat etwa oder die arabischen Muslimbrüder. Ates dachte dabei aber nicht an eine Steuer, sondern an den "Zakat", eine Pflichtabgabe nach den Regeln des Islam. Trotzdem fand die Idee einer Kirchensteuer für Muslime viel Sympathien in fast allen Parteien. Grund genug, sich einmal gründlicher mit der politischen Ökonomie dieser Steuer zu beschäftigen.

In Deutschland müssen Katholiken und Protestanten, wenn sie Einkommen haben, Kirchensteuer entrichten. Israelitische Kultusgemeinden erheben eine Kultussteuer. Der Satz beträgt in Bayern und Baden-Württemberg acht Prozent der Lohnsteuer, in allen anderen Bundesländern sind es neun Prozent. Eingeführt wurde die Kirchensteuer in der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Im Artikel 137 heißt es: "Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben." Der Artikel wurde 1949 unverändert ins Grundgesetz übernommen.

Wichtig ist die Vorgeschichte dieses Artikels. Im alten Reich war Religion Sache der Landesherrn, getreu dem Prinzip cuius regio eius religio. Die Kirchen finanzierten sich durch Feudalabgaben der Untertanen. Dann kam Napoleon. Der Franzose raubte den deutschen Fürsten ihre linksrheinischen Territorien, entschädigte sie dafür aber mit kirchlichen Ländereien. Gleichzeitig schuf er eine Reihe mittlerer Staaten, die alle nicht mehr konfessionell homogen waren. Die katholischen Bayern bekamen das protestantische Franken, die lutherischen Württemberger das katholische Oberschwaben. Die Finanzierung der Kirchen oblag zunächst den neuen weltlichen Landesherren. Mit dem aufkommenden Kapitalismus wuchs jedoch das Bestreben, Kirche und Staat stärker zu trennen. 1827 führte das Fürstentum Lippe als erster unter den deutschen Staaten eine Kirchensteuer ein. Die anderen Länder folgten nach und nach; 1892 war Bayern dran.

Die Kirchensteuer ist also nur zu verstehen vor dem Hintergrund der Kirchengeschichte. Die Frage ist, gerade mit Blick auf eine Moscheesteuer, ob diese Steuer, so wie sich entwickelt hat, tatsächlich "die Unabhängigkeit der Kirche in einem sehr viel höheren Maß (gewährleistet), als wenn sie auf das eigene Vermögen oder auf jeweils anzufordernde Umlagen oder Spenden angewiesen wäre" (so die EKD).

Mit der Registrierung von Austritten gibt der Staat den Kirchen ein Druckmittel

Die Antwort ist nicht ganz einfach. Einerseits ist die Kirchensteuer natürlich besser als eine reine Staatsfinanzierung. Andererseits gab es in Deutschland das "Bündnis von Thron und Altar" bis zur Revolution von 1918, also auch unter dem Kirchensteuer-Regime. Der König von Württemberg war zum Beispiel qua Amt Landesbischof der württembergischen Kirche. Abhängigkeit entsteht aber nicht nur durch Geld, sondern auch durch politische Strukturen und Traditionen.

Anders als viele Kritiker glauben, ist das System der Kirchensteuer für die Kirchen nicht gratis. Sie bezahlen den Staat dafür, dass er das Geld einzieht. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe abzugsfähig ist von der Einkommensteuer - eine klassische Steuersubvention. Heikel ist auch ein anderer Zusammenhang. Weil die Kirchensteuer umso mehr Ertrag bringt, je höher das Aufkommen der Einkommensteuer liegt, haben die Kirchen ein materielles Interesse an der Steuerpolitik. Ihre Begeisterung für Steuersenkungen ist aus verständlichen Gründen gering. Das ist fragwürdig bei Organisationen, sie sich auch zu allgemeinpolitischen Fragen äußern.

Was aber wäre, wenn die Kirchen die Trennung vom Staat zu Ende dächten, die Kirchensteuer abschafften und von selbst erhobenen Abgaben lebten - so wie es der große katholische Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning schon 1970 gefordert hatte. Was das bedeuten würde, kann jeder selbst sehen bei einer Fahrt durch die französische Provinz mit ihren halb verfallenen Kirchen. Frankreich hat so ein rein privates System, mit dem Ergebnis dass die Katholische Kirche dort nur über ein Zehntel des Einkommens verfügt wie die Kirche in Deutschland. Offenbar zahlen Gläubige freiwillig wesentlich weniger an ihre Kirche als unter Zwang.

Nun ist das deutsche System ja auch freiwillig. Wer 14 Jahre ist oder älter kann zum Amtsgericht oder Standesamt gehen und aus seiner Kirche austreten. Aber genau das ist der kritische Punkt. Mit der Registrierung von Austritten hat der Staat den Kirchen ein starkes Druckmittel an die Hand gegeben. Wer austritt, verliert das Recht, an den Sakramenten und anderen kirchlichen Handlungen teilzunehmen. Das Verbot mag kurzfristig leicht zu umgehen sein. Kein Pfarrer will die Steuererklärung sehen, ehe er das Heilige Abendmahl austeilt. Aber irgendwann einmal geht es um ein kirchliches Begräbnis. Und dann?

Die Kirchen haben natürlich recht, wenn sie zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern unterscheiden. Das Problem ist die Involvierung des Staates, durch die theologische Fragen mit solchen der Steuerehrlichkeit vermischt werden. Man sollte sich gut überlegen, ob man das System unbesehen auf Moscheegemeinden überträgt.

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SZ vom 04.01.2019
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