Pipers Welt:Echtes Geld

Nikolaus Piper

Nikolaus Piper schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Freitag. Zeichnung: Bernd Schifferdecker

In der Schweiz steht wieder eine spektakuläre Volksabstimmung an: Eine Initiative will den Banken die Schaffung von Franken verbieten. Die Folgen wären weitreichend.

Von Nikolaus Piper

Zu den Vorzügen der Schweiz gehört es, dass sich dort immer wieder unorthodoxe bis merkwürdige Ideen dem Test einer Volksabstimmung unterziehen können. Oft schaut der Rest der Welt dabei fasziniert zu, weil das, worüber die Eidgenossen streiten, auch anderswo irgendwie relevant ist. So war es beim Minarettverbot (angenommen), dem bedingungslosen Grundeinkommen (abgelehnt) und der Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (abgelehnt). Am 10. Juni ist es wieder so weit. Da werden die Schweizer über die "Vollgeld-Initiative" abstimmen; der Wahlkampf hat bereits begonnen. Sollte die Initiative Erfolg haben, wäre es das Ende des Finanzplatzes Schweiz, wie ihn die Reichen dieser Welt lieben gelernt haben.

Die Details sind kompliziert, der Kern jedoch ist sehr einfach: Banken sollen das Recht verlieren, mit den Krediten in ihren Bilanzen neues Geld zu schöpfen. Alles, was "Schweizer Franken" heißt, egal ob als Geldschein oder als Guthaben auf einem Girokonto, muss danach von der Schweizerischen Nationalbank, der obersten Währungsbehörde kommen. Sämtliche Schweizer Parteien haben sich gegen die Vollgeld-Initiative ausgesprochen, ebenso die Regierung in Bern und auch die Nationalbank, die, zumindest auf dem Papier, die eigentliche Gewinnerin der Reform wäre. Unabhängig von der Abstimmung in der Schweiz hatte die Deutsche Bundesbank schon vor einem Jahr klargemacht, dass sie von Vollgeld nichts hält.

Das populistische Potenzial des Themas liegt darin, dass viele Laien nicht wissen, wie das moderne Geldsystem funktioniert und empört sind, wenn sie es erfahren: Nur ein kleiner Teil der umlaufenden Geldmenge (in der Schweiz etwa zehn Prozent) kommt tatsächlich von der staatlichen Notenbank.

Der Rest ist Bankengeld, und das entsteht so: Frau Meier spart 1000 Franken und zahlt die Summe auf ein Konto bei der Credit Suisse ein. Die Bank verleiht davon 900 Franken an Herrn Müller, 100 Franken bleiben als staatlich vorgeschriebene Mindestreserve in der Bankbilanz. Wobei das Geld von Frau Meiers Konto nicht verschwindet. Die 900 Franken sind Geld, das vorher nicht da war, sogenanntes Giralgeld. Das lernt zwar jeder VWL-Student in der ersten Vorlesung über Geldtheorie, in der Wahrnehmung einiger Vollgeld-Anhänger sind dies jedoch "Tatsachen, die uns verschwiegen wurden" (so ein Tweet). Eine Verschwörung also.

Im neuen Vollgeld-System könnte Frau Meier zwar weiterhin an Herrn Müller Geld verleihen, dies käme jedoch nicht von der Credit Suisse, sondern von der Nationalbank. Credit Suisse würde ihren Gewinn nicht mehr mit der Geldschöpfung, sondern nur noch mit der Beratung und Differenz zwischen Soll- und Habenzins machen. Der Franken wäre verstaatlicht, die Banken zurechtgestutzt.

Das Konzept des Vollgeldes stammt von dem deutschen Soziologen und Ökonomen Joseph Huber, der an der Universität Halle lehrt. Er veröffentlichte es 1998; seit der Finanzkrise wird es zunehmend populärer. In Island, das 2008 kurz vor dem Staatsbankrott stand, bestellte die Regierung einen Bericht über die Einführung von Vollgeld. In Deutschland wirbt ein Verein "Monetative" für das Konzept. Dabei ist der Gedanke, den Banken das Recht zum Geldmachen zu nehmen, sehr viel älter. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, im März 1933, legte eine Gruppe von Ökonomen den "Chicago-Plan" vor. Er unterscheidet sich bilanztechnisch von Hubers Vollgeld, in der Substanz läuft er auf das Gleiche hinaus: Bankengeld wird abgeschafft. Der Plan wurde nie umgesetzt und geriet in Vergessenheit. Bis zur Finanzkrise eben.

Die Regierung bekommt im neuen System Geld von der Notenbank geschenkt

Einige Argumente der Anhänger von Vollgeld und Chicago-Plan sind sehr ernst zu nehmen. So wäre die Finanzkrise 2008 in einem Vollgeld-System sicher weniger dramatisch verlaufen. Zwar können Banken auch dann zusammenbrechen, wenn sie nichts mit der Schaffung von Geld zu tun haben, aber ein Bankenkrach ließe die Versorgung der Wirtschaft mit Geld unberührt. Bildlich gesprochen: Es kann noch brennen, aber es liegt weniger Zunder herum. Außerdem würden dem Staat Gewinne aus der Geldschöpfung zufließen. (Es kostet deutlich weniger als 100 Franken, um 100 Franken Buchgeld zu produzieren.) Die Gewinne könnte man nutzen, um die Steuern zu senken.

Doch wie kommt das Geld unter die Leute, wenn die Banken ausgesperrt sind? Die Antwort: Die Notenbank verschenkt ihre Franken an die Regierung, an die Kantone und an einzelne Bürger. Im Text der Initiative nennt sich das "Schuldfreie Abgabe". In welchem Umfang sie das tut, hängt davon ab, ob Inflation droht oder nicht. Die direkte Finanzierung der Regierung durch Geld der Notenbank, im bestehenden System verboten, ist im neuen unabdingbar, damit es überhaupt funktionieren kann.

Und hier liegt das Problem: Die Anhänger des Vollgeldes handeln aus - vor dem Hintergrund der Finanzkrise - verständlichem Misstrauen gegen die Banken heraus. Dies geht aber so weit, dass sie Bankengeld gar nicht als richtiges Geld akzeptieren ("Echte Franken für alle", heißt eine Parole). Stattdessen setzten sie ein schier grenzenloses Vertrauen in die Fähigkeit und die Bereitschaft des Staates, mit geschenktem Geld verantwortungsvoll umzugehen. Aber hat eine Notenbank, selbst wenn ihre Unabhängigkeit in der Verfassung steht, das Wissen und die Mittel, die Geldmenge so präzise zu steuern, wie das im neuen System nötig ist? Kann sie Begehrlichkeiten von Politikern und Interessengruppen abweisen? Es muss einen Grund geben, weshalb bisher weder die Isländer noch die Amerikaner 1933 die Probe aufs Exempel machen wollten. Schwer vorzustellen, dass es ausgerechnet die Schweizer tun werden.

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