Pipers Welt:Das Ende des Sparers

Lesezeit: 2 min

Was sich der bekannte Ökonom Keynes 1936 wünschte, ist 2016 tatsächlich Wirklichkeit geworden. Die Rendite für deutsche Staatsanleihen ist historisch gering.

Von Nikolaus Piper

Von John Maynard Keynes stammt ein sehr irritierender Begriff, der auch von vielen Anhängern des großen Ökonomen gerne ignoriert wird: die "Euthanasie des Rentiers". Die Wendung taucht im letzten Kapitel von Keynes' Hauptwerk, der "Allgemeinen Theorie" von 1936 auf. Irgendwann, so schreibt der Ökonom dort, solle Kapital so reichlich vorhanden sein, dass es im Überfluss verfügbar ist. Die Rendite gehe dann gegen null. Das bedeute auch das Ende eines besonderen Typs reicher Leute. Keynes waren sie aus London sehr vertraut, und er hielt sie für ein Übel. Sie arbeiteten nicht, sondern lebten von den Zinskupons ihrer Anleihen. Man bezeichnete sie als "Rentiers", weil sie ein festes Einkommen aus Geldvermögen hatten.

Keynes wünschte den Rentiers nicht einfach nur das ökonomische Ende, sondern die "Euthanasie" (also einen "schönen Tod"). Vermutlich ging er mit dem Wort deshalb so unbekümmert um, weil im Westen damals noch niemand die Verbrechen an geistig Behinderten kannte, die im Dritten Reich so bezeichnet wurden. Keynes glaubte, dass das Ende der Klasse der Rentiers gut für die Zukunft der Kapitalismus sei. Es könnte dies, so schreibt er, "der vernünftigste Weg sein, um nach und nach die unangenehmsten Seiten des Kapitalismus los zu werden".

(Foto: N/A)

Was sich Keynes 1936 wünschte, ist 2016 Wirklichkeit geworden, zu einem wichtigen Teil jedenfalls. Die Europäische Zentralbank hat so viel Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt, dass der Zins auf sichere Geldanlagen wie deutsche Bundesanleihen bei null liegt oder sogar noch darunter. Nur freut sich, anders als Keynes geglaubt hatte, niemand darüber. Stattdessen beklagen alle die "Enteignung des Sparers" durch Mario Draghi. Und viele glauben, dass der Kapitalismus heute unangenehmer ist denn je. Es gibt sogar einen weltweit gefeierten Ökonomen namens Thomas Piketty, der behauptet, dass die Kapitalrendite im Kapitalismus immer höher liegt als das Wachstum der Wirtschaft. Es wäre also, der Triumph des Rentiers.

Wer hat nun recht, Keynes oder Piketty? Die Antwort: Es kommt darauf an. Die These, dass die Rendite fast immer höher als das Wachstum ist, stimmt nicht. Das haben schon viele Kritiker dem Franzosen nachgewiesen. Die Ungleichheit im Kapitalismus steigt vermutlich nicht so beständig, wie Piketty behauptet, aber natürlich sind aus den Besitzern großer Geldvermögen auch nicht plötzlich arme Leute geworden. Keynes hatte großes Vertrauen in die Steuerungsfähigkeit des Staates. Was er nicht voraussah war, dass seine Null-Zins-Welt Wirklichkeit werden würde nach einer großen Finanzkrise mit überforderten Regierungen, aufgeblähten Notenbank-Bilanzen, mit schweren politischen Verwerfungen und einer globalen Wachstumsschwäche, die einige schon für säkular halten. Insofern lassen sich seine damaligen Ansichten nicht eins zu eins übertragen.

Klar gesehen hat Keynes jedoch, was Zinsen von null bedeuten: Wer nur Sicherheit für sein Geld haben will, der muss es auf einem Konto ohne Gewinn oder mit Verlust aufbewahren und bei Bedarf eben aus der Substanz leben. Rendite gibt es nur noch für den, der bereit ist, Risiken einzugehen, der etwas Neues versucht, bei dem der Ausgang ungewiss sind. "Intelligente Investitionen" also, wie Keynes dies nennt. Der Sparer wird nicht abgeschafft, aber seine Position ist schwach, weil es das, was er anzubieten hat, Sparkapital, im Überfluss gibt. Der Sparer muss daher zum intelligenten Anleger werden. Das jedenfalls würde Keynes ihm heute wohl raten.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: