Süddeutsche Zeitung

Tabakindustrie:Bye-bye, Cowboy

  • André Calantzopoulos, Chef von Philip Morris, will nicht mehr, dass Menschen Zigaretten rauchen. Er bewirbt die Alternative Iqos als gesünder.
  • Philip Morris steht unter Druck: Die Anzahl der Raucher sinkt in den Industrieländern.
  • Wenn die Raucher umsteigen, lohnt sich das auch für den Tabakkonzern: Die Iqos-Glimmstängel sind geringer besteuert als herkömmliche Zigaretten.

Von Daniela Strasser

André Calantzopoulos will die Welt verbessern. Er lässt keine Gelegenheit aus, um davon zu erzählen: Bald schon soll es keine Zigaretten mehr geben. Ein bemerkenswerter Satz, denn Calantzopoulos ist weder Arzt noch Umweltaktivist, sondern seit fünf Jahren Vorstandsvorsitzender des US-Tabakkonzerns Philip Morris (PMI). Der Marktführer hat allein im vergangenen Jahr weltweit rund 78 Milliarden US-Dollar mit dem Verkauf von Zigaretten umgesetzt, die USA nicht mitgerechnet. Das Hauptgeschäft macht Philip Morris mit Marken wie Marlboro, L&M und Chesterfield - bis jetzt jedenfalls.

"Unser Credo lautet: Hör mit den Zigaretten auf oder wechsle zu besseren Alternativen", sagt Calantzopoulos. Er besucht eine Veranstaltung und zieht an einer Iqos. Anders als herkömmliche E-Zigaretten verbrennt sie keine nikotinhaltige Flüssigkeit, sondern erhitzt kleine Tabakstreifen auf etwa 300 Grad. Rauch entsteht trotzdem. Auf der Hightech-Zigarette ruhen die Zukunftshoffnungen von Philip Morris. Mit einer "rauchfreien" Welt meint Calantzopoulos: Möglichst viele Menschen sollen von der Zigarette zu Iqos wechseln, die Philip Morris als gesündere Alternative anpreist. Selbst, wenn es "natürlich das Beste ist, komplett mit dem Rauchen aufzuhören oder gar nicht erst damit anzufangen", wie er versichert.

Philip Morris hat mit der Forderung nach dem Aus der Zigarette die Flucht nach vorne angetreten. Immer weniger Menschen in den Industrieländern rauchen. In Deutschland dürfte Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge der Anteil der Raucher unter den über 15-Jährigen von rund 31 Prozent im Jahr 2000 auf gut 24 Prozent bis zum Jahr 2025 sinken. Island, Norwegen und Dänemark kommen bereits auf Raucherraten von unter 14 Prozent. Die Tabakkonzerne stehen unter Druck. Also versuchen sie, ihr Geschäft mit neuen und angeblich besseren Produkten zu sichern.

Bis 2025 will der Konzern 40 Prozent seines Umsatzes mit E-Zigaretten machen

Drei Jahre nach der Einführung deutet alles darauf hin, dass sich Iqos zum Erfolg für Philip Morris entwickeln könnte. Rund 13 Prozent des weltweiten Konzernumsatzes entfallen bereits auf die neue Marke. Die Pläne sind ehrgeizig: Bis 2025 sollen es 40 Prozent sein. Besonders erfolgreich ist die Marke in Japan, wo viele Menschen auf E-Zigaretten umsteigen, um ihren Mitmenschen nicht mit Zigarettenqualm zu schaden. In Deutschland ist die Marke seit Juni 2016 am Markt, allerdings wächst das Geschäft langsamer als erwartet. Hier kommt Iqos bislang auf einen Marktanteil von nur 0,5 Prozent. Viel Luft nach oben also.

Calantzopoulos hat mit heftigem Gegenwind zu kämpfen. Viele Menschen kaufen dem Konzern den Imagewandel nicht ab, auch Regierungen und Gesundheitsorganisationen erschweren seine Mission. In Großbritannien gab es Streit um die Kampagne #Holdmylight, mit der Philip Morris unter anderem auf den Titelseiten großer Tageszeitungen für den Abschied von der Zigarette warb. "Heuchelei" nannten das empörte Leser. Kritiker werfen Calantzopoulos zudem vor, dass seine Aussagen eine reine PR-Offensive seien.

"Wir stehen vor der größten Marketing- und PR-Aufgabe, die es heutzutage gibt", sagte Calantzopoulos im Gespräch mit dem Werbefachmagazin W&V, das zum Süddeutschen Verlag gehört. Seine Vision von der "rauchfreien" Welt untermauert er mit millionenschweren Kampagnen - dort, wo er darf. Denn der gebürtige Grieche kann seine Idee längst nicht so kommunizieren, wie er das gern tun würde. Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem Plakatwerbung für Tabakprodukte noch erlaubt ist. Zwischenzeitlich waren die deutschen Städte mit Iqos-Plakaten zugepflastert. Der Philip-Morris-Chef hat zugunsten von Iqos sogar die Marlboro-Werbung in Deutschland eingestellt. Iqos-Geschäfte in den besten Innenstadtlagen inszenieren das elektronische Raucherlebnis so hochwertig wie sonst Apple seine iPhones. Bei der Vorstellung der jüngsten Iqos-Generation in Hamburg stand US-Pop-Superstar Jason Derulo auf der Bühne. Eine rauchfreie Welt à la Calantzopoulos kostet Geld.

Ein umfangreiches Tabakwerbeverbot ist in Deutschland schon länger im Gespräch, unter anderem setzt sich Marlene Mortler (CSU), die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, dafür ein. Auch zu Philip Morris hat sie eine klare Meinung: "Was die angebliche rauchfreie Zukunftsvision eines Zigarettenherstellers angeht, kann ich nur sagen: Tabak für die Armen, moderne Hybridprodukte für die Reichen - das ist unglaubwürdig, unmoralisch und alles andere als gesundheitsorientiert", sagte sie im Gespräch der Süddeutschen Zeitung. Und weiter: "Im Mittelpunkt steht für mich die Gesundheit der Menschen, die wir schützen müssen. Dafür brauchen wir das Tabakwerbeverbot, und wir müssen auch die Lücken bei der Regulierung der E-Zigaretten schließen."

Viele Kritiker unterstellen Philip Morris, sich mit Iqos an die aufgeklärten Menschen in den Industrieländern zu wenden, das Zigarettengeschäft in ärmeren Ländern, wo es noch viele Raucher gibt, aber vorbehaltlos voranzutreiben. Und: Noch gibt es kaum unabhängige Langzeitstudien über die Folgen des Rauchens von E-Zigaretten, die die Behauptungen der Hersteller untermauern könnten. Zumal die Produkte sehr unterschiedlich sind.

E-Zigaretten: Der Wettbewerb wird härter

Calantzopoulos sagt, er würde gerne mit Regierungen und anderen Institutionen zusammenarbeiten. Sprechen will er nicht nur über Werbeverbote, sondern auch über Steuersätze. Philip Morris verdient an Iqos viel mehr als an Zigaretten. In Deutschland wird der Brennstoff - ähnlich wie Pfeifentabak - geringer besteuert als herkömmliche Zigaretten.

Zugleich wird der Wettbewerb härter. Alle Tabakkonzerne, darunter Imperial Brands oder British American Tobacco, arbeiten mit E-Varianten. Einige lassen verdampfen, andere verbrennen, das ist nicht neu, auch Philip Morris hat neben Iqos noch andere Marken im Rennen. Im Dezember soll die bei amerikanischen Teenagern angesagte E-Zigarette "Juul" in Deutschland auf den Markt kommen. Das sogenannte "Juuling" versetzt Drogenbeauftragte in den USA seit Monaten in Aufruhr. Entwickelt sich die Start-up-Marke auch in Deutschland zum Erfolg, dürfte Philip Morris seine E-Produkte anpassen, schätzen Marktbeobachter.

Calantzopoulos legt seine Iqos weg. Auf die Frage, warum er von einer rauchfreien Welt spricht, wenn er doch eine von Iqos vereinnahmte meint, lächelt er und sagt: "Ich glaube, eine Welt ohne Zigaretten ist eine bessere für alle Menschen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4222421
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.11.2018/lüü
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.