Pharmaskandal:Grünenthal-Familie bittet Contergan-Opfer um Entschuldigung

Contergan-Opferrenten werden verdoppelt

Das Schlafmittel wurde auch Schwangeren verschrieben. Es führte bei Kindern zu schweren Fehlbildungen.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Für viele Geschädigte kommen die Wort völlig überraschend, für Menschen wie Udo Herterich aber auch zu spät.

Von Elisabeth Dostert

60 Jahre nach Marktrücknahme des Schlafmittels Contergan hat die Eigentümerfamilie des Herstellers die Opfer um Entschuldigung gebeten. Für den "gesamten Inhalt dieser Zeit von 60 Jahren" entschuldige er sich im Namen seiner ganzen Familie, sagte Michael Wirtz für die Eigentümerfamilie des Pharmaunternehmens Grünenthal. Die Entschuldigung richte sich an "eine große und auch im Wesentlichen unbekannte Größe von betroffenen Menschen in Deutschland, aber auch in Europa". Die persönlichen Worte äußerte Wirtz in einem aufgezeichneten Gespräch mit dem früheren Vorsitzenden des Bundesverbands Contergangeschädigter, Georg Löwenhauser. Ein Ausschnitt aus dem Video wurde am Samstag bei einem virtuellen Symposium des Bundesverbands eingespielt.

Die Betroffenen erwarteten, dass sich die Familie Wirtz äußere und das "nicht versteckt hinter einer juristischen Person der Grünenthal GmbH", sagt der frühere geschäftsführende Grünenthal-Gesellschafter darin. Und er betont: "Und das tue ich hiermit in aller Offenheit und hochoffiziell unter Zeugen, dass ich mich für diese Thematiken, die sich bei Ihnen in all diesen Familien abgespielt haben, ausdrücklich entschuldige."

Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid kam im Oktober 1957 auf den Markt und führte zu einem der schlimmsten Skandale der Nachkriegsgeschichte. Etwa 5000 Kinder kamen in Deutschland mit Fehlbildungen zur Welt, häufig mit verkürzten Armen oder Beinen, nachdem ihre Mütter in der Schwangerschaft Contergan eingenommen hatten. Am 27. November 1961 nahm Grünenthal das Medikament vom Markt. Viele Opfer sind bereits gestorben. Etwa 2400 Contergan-Geschädigte leben in Deutschland - mit erheblichen Beeinträchtigungen, so wie Udo Herterich, Vorsitzender des Verbandes, und seine Frau. Für viele Teilnehmende sei die Entschuldigung "völlig überraschend" gekommen. "Wir nehmen die Entschuldigung von Michael Wirtz zur Kenntnis", sagte Herterich am Sonntag der SZ: "Wir müssen das jetzt erst einmal sacken lassen."

"2400 Betroffene sind 2400 Denkweisen", sagt Herterich. Die Biografien, die emotionalen Verletzungen, die physischen und psychischen Einschränkungen seien unterschiedlich. "Jede und jeder von uns wird für sich entscheiden, wie er mit der persönlichen Entschuldigung von Michael Wirtz umgeht", so Herterich. Für ihn kommen Wirtz' Worte Jahre zu spät. "Ich hätte mir gewünscht, dass meine verstorbenen Eltern das mitgekriegt hätten. Ihnen kam so eine Entschuldigung nie zu. Sie wurden zu Tätern gemacht", sagte Herterich: "Meine Mutter fühlte sich ein Leben lang schuldig." Es gebe zwar eine Stiftung, die Sachleistungen finanziere, etwa den Einbau einer behindertengerechten Küche. Eine direkte Entschädigungszahlung durch die Firma oder die Gesellschafter habe es bis heute nicht gegeben, sagt Herterich. Die Entschuldigung könne nur der Anfang eines Dialogs sein.

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