Süddeutsche Zeitung

Pharmaindustrie:Geschenke von Ratiopharm erlaubt

Überraschende Wende im Korruptionsverfahren gegen Mediziner: Die Staatsanwälte können offenbar keinen Straftatbestand erkennen.

Im derzeit größten Pharmakorruptionsverfahren der Republik bahnt sich laut Spiegel ein überraschendes Ende an: Mehrere Staatsanwaltschaften stellten einem Bericht des Magazins zufolge in den vergangenen Wochen die Strafverfahren gegen Ärzte ein, die vom Pharmaunternehmen Ratiopharm Geld oder Geschenke erhalten hatten.

Allein in Bielefeld, Paderborn, Bochum und ganz Hessen wurden demnach mehr als 200 Ermittlungsverfahren eingestellt. Die Staatsanwälte können in der Geschenk- und Geldverteilpraxis von Ratiopharm gegenüber niedergelassenen Ärzten keinen Straftatbestand erkennen, wie es weiter hieß.

Im Jahr 2005 war das System des in Ulm ansässigen Generikaherstellers aufgeflogen. Demnach konnten Ärzte eine Beteiligung in Höhe von fünf Prozent des Medikamentenpreises erhalten, wenn sie sich bereit erklärten, ihren Patienten künftig bevorzugt Ratiopharm-Präparate zu verschreiben. Weder das Unternehmen noch die Ärzte haben die Vorwürfe ernsthaft bestritten.

Bereits im Juni hatte die Staatsanwaltschaft Ulm etwa 600 Ermittlungsverfahren gegen Ärzte im Zusammenhang mit umstrittenen Marketingmethoden eingestellt, weil die Betroffenen nicht mehr als 250 Euro kassiert hatten. Die restlichen etwa 2800 Verfahren sollten an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben werden, hieß es damals.

Die Staatsanwaltschaften, die nun die Ermittlungsverfahren eingestellt haben, beziehen sich laut Spiegel in ihrer Argumentation auf ein nichtöffentliches Gutachten von Alexander Badle, dem Leiter der Ermittlungsgruppe Betrug und Korruption im Gesundheitswesen bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Bade habe darin dargelegt, dass, im Unterschied zu Ärzten an öffentlichen Kliniken, der Korruptionsparagraf bei niedergelassenen Ärzte keine Anwendung finde.

Die Konsequenz aus Badles Gutachten sei, dass Schecks von Pharmaunternehmen an niedergelassene Ärzte nicht strafbar seien. Allerdings ist unklar, ob die Mediziner durch die Annahme der Geschenke gegen die Berufsordnung verstoßen haben. Das müssten die Ärztekammern nun prüfen.

Ratiopharm gehört zur mit mehr als acht Milliarden Euro verschuldeten Firmengruppe des verstorbenen Milliardärs Adolf Merckle. Das Ulmer Pharmaunternehmen steht zum Verkauf. Das Mandat für die Veräußerung haben die Commerzbank sowie die Royal Bank of Scotland erhalten, wie früher bekannt geworden war. Erste Verkaufsgespräche würden wohl nicht vor Ende der Sommerpause aufgenommen werden, hieß es im Mai seitens der Merckle-Vermögensholding VEM.

Ein kurzfristiger Verkauf könnte sich schwierig gestalten, da die Finanzierung großer Übernahmen kaum zu bewerkstelligen ist. Auch steht in Zweifel, ob der für Ratiopharm angestrebte Verkaufspreis von 3,8 Milliarden Euro in diesen Zeiten der Krise und der Firmenpleiten zu erzielen ist. Daher ist es möglich, dass Ratiopharm erst nächstes Jahr verkauft wird, wenn die Chancen auf einen guten Preis größer sind. Schon im Februar hatte VEM mitgeteilt, dass Kaufinteressenten für Ratiopharm vorstellig geworden seien. Immer wieder genannt wurden der israelische Generika-Spezialist Teva sowie der Pharmakonzern Sanofi-Aventis.

Die Produktpalette von Ratiopharm umfasst über 950 verschreibungspflichtige Arzneimittel und nicht verschreibungspflichtige Generika, die ausschließlich über Apotheken vertrieben werden. Nahezu alle Anwendungsgebiete, von Allergien über Herz-Kreislauf-Beschwerden, Magen-Darm-Problemen bis hin zu Zahnschmerzen werden Unternehmensangaben zufolge abgedeckt. In Deutschland beläuft sich der Umsatz auf 840 Millionen Euro. Der Gesamtumsatz liegt bei 1,9 Milliarden Euro.

Mit jährlich 170 Millionen Packungen stellt Ratiopharm Deutschlands meistverwendete und meistverordnete Arzneimittelmarke dar, wie das Unternehmen auf seiner Internet-Seite mitteilt. In Deutschland werden 2875 Mitarbeiter beschäftigt, weltweit sind es 5584 Personen.

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