Pharma:Viagra trifft Botox - mit gewaltigem Schönheitsfehler

Pharma: Viagra trifft Botox: Das Pfizer-Logo im New York Stock Exchange in New York

Viagra trifft Botox: Das Pfizer-Logo im New York Stock Exchange in New York

(Foto: AP)
  • Der Arzneimittelhersteller Pfizer kauft den Konkurrenten Allergan für etwa 160 Milliarden Dollar.
  • Sitz des neuen Marktführers wird nicht New York, sondern Dublin. Mit diesem "inversion merger" will Pfizer viel Geld sparen - zulasten des US-Fiskus.

Analyse von Helga Einecke und Claus Hulverscheidt, New York

Es klingt nach einer wahren Erfolgsgeschichte für den Wirtschaftsstandort USA, nach einer Demonstration der Stärke und der Schlagkraft: Für etwa 160 Milliarden Dollar übernimmt der Arzneimittelhersteller Pfizer den kleineren irischen Konkurrenten Allergan und steigt damit zum größten Pharmakonzern der Welt auf. Viagra trifft Botox, wie mit Blick auf die Verkaufsschlager beider Unternehmen allenthalben gewitzelt wird.

Doch die Geschichte hat aus US-Sicht einen gewaltigen Schönheitsfehler. Sitz des neuen Marktführers, der den Schweizer Riesen Novartis beim Absatz verschreibungspflichtiger Medikamente hinter sich lässt, wird nämlich nicht New York, sondern Dublin. Aus einem einfachen Grund: Während Pfizer in den USA etwa 25 Prozent seines Gewinns an die Staatskasse abführen muss, zahlt Allergan nur rund die Hälfte. Mit dem formellen Abschied aus der Heimat will der alte und neue Pfizer-Chef Ian Read künftig mindestens eine Milliarde Dollar im Jahr an Kosten sparen.

Pfizer bietet fast drei Viertel seines eigenen Börsenwerts für einen viel kleineren Konkurrenten

Dieses Konstrukt, das Read für die Übernahme von Allergan gewählt hat, wird von Experten als "umgekehrte Fusion" bezeichnet. Allein in den letzten vier Jahren sind in den USA mehr als zwei Dutzend solcher "Inversion Mergers" angekündigt worden - und obwohl Präsident Barack Obama den Trick als "unpatriotisch" gegeißelt und Abwehrmaßnahmen eingeleitet hat, ist der Trend ungebrochen. Daran werden wohl auch die zusätzlichen Schritte nichts ändern, die Finanzminister Jacob Lew erst vor Tagen bekannt gab. Sie beschränken etwa die Möglichkeit, die Größe ausländischer Übernahmekandidaten vor einem Kauf "aufzublasen", um die Mehrheitsverhältnisse beim fusionierten Konzern zu verändern. Auch wird es schwieriger, Verluste aus früheren Jahren mit aktuellen Gewinnen in den USA zu verrechnen.

Zu wirklich drastischen Sanktionen wie etwa dem Ausschluss betroffener Konzerne von Staatsaufträgen aber fehlt Obama sowohl der politische Wille als auch die Mehrheit im Kongress. Zwar sehen auch die Republikaner "Inversion Mergers" kritisch. Sie machen für den Trend aber nicht die Firmen, sondern die Regierung verantwortlich, weil diese sich weigere, die im internationalen Vergleich zu hohen Unternehmenssteuersätze zu senken.

Gerade Pfizer hat bereits in der Vergangenheit alles getan, um Steuerzahlungen in der Heimat so weit wie möglich zu vermeiden. So wies der Konzern in den letzten zehn Jahren in den USA, dem größten Pharmamarkt der Welt, Verluste von 16 Milliarden Dollar aus. Dagegen summierten sich die Gewinne der ausländischen Töchter auf über 100 Milliarden Dollar. Drei Viertel dieser Summe sind immer noch auf ausländischen Konten geparkt. Würde Pfizer das Geld in die USA holen, würden Steuern fällig. Dies jedoch will Konzernchef Read um jeden Preis verhindern. Er hatte erst jüngst wieder geklagt, er fühle sich angesichts der hohen Steuersätze in den USA wie ein Manager, der "stets mit einer auf dem Rücken gefesselten Hand" agieren müsse.

Das Übernahmefieber steigt von Jahr zu Jahr

Um die Steuerlast zu drücken, hatte sich Read 2014 bereits um die Übernahme des britischen Konkurrenten Astra Zeneca bemüht. Schon diese Übernahme hätte Pfizer etwa 120 Milliarden Dollar gekostet - eine noch nie erreichte Summe in einem Markt, auf dem das Übernahmefieber von Jahr zu Jahr steigt und immer größere Beträge aufgerufen werden. Das Geschäft mit den Briten scheiterte jedoch am politischen Widerstand in London.

Nun soll Reads Steuersparmodell noch einmal um ein Drittel teurer werden. Allerdings wird Pfizer wohl nur etwa ein Zehntel der Kaufsumme in bar bezahlen, den restlichen Kaufpreis will das Unternehmen aufbringen, indem es den Allergan-Eignern für je eine Aktie 11,3 Pfizer-Anteilsscheine anbietet. Wie sehr die Größenordnungen bei diesem Deal aus dem Ruder laufen, zeigt die Tatsache, dass Pfizer fast drei Viertel seines eigenen Börsenwerts für einen Konkurrenten bietet, der nur ein Drittel des Pfizer-Umsatzes erzielt. Allergan macht in etwa so viel Geschäft wie die deutschen Unternehmen Boehringer und Merck, die weltweit in der zweiten Reihe der Pharmahersteller rangieren.

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Allerdings bringt Allergan eine enorme Mitgift in die Ehe ein: Das Unternehmen erzielt nicht nur mit dem ebenso beliebten wie umstrittenen Faltenglätter Botox enorme Gewinne, sondern wird auch in allen anderen Bereichen seit Jahren vehement auf Wachstum getrimmt.

Begonnen hatte alles mit der amerikanischen Firma Watson Pharmaceuticals, die Nachahmermedikamente herstellte, also Arzneien, deren Patente abgelaufen sind. Allein seit 2012 übernahm das Unternehmen in den USA, der Schweiz und Irland die Konkurrenten Forest, Actavis und Warner Chilcott. Als Firmensitz wählte das Management das Niedrigsteuerland Irland, als Namen Actavis aus - bis Anfang 2015 Allergan ins Spiel kam. Der Botox-Hersteller mit Sitz in Kalifornien drohte eine feindliche Übernahme durch den für seine harten Sparprogramme berüchtigten kanadischen Aufkäufer Valeant. Deshalb schloss man sich ohne langes Zögern mit Actavis zusammen. Der irische Steuersitz blieb, der Name wechselte einmal mehr zum bekannteren Label Allergan.

Zur Finanzierung verkaufte der Konzern die frühere Kernsparte der Nachahmerprodukte an das israelische Unternehmen Teva. Für Pfizer bleibt eine Produktpalette übrig, zu der unter anderem Medikamente aus den Bereichen Augenheilkunde und Neurologie, Verhütungsmittel, Faltenglätter und Brustimplantate zählen. Vor allem aber füllt Unternehmenschef Read mit dem Zukauf einmal mehr die eigene Forschungspipeline auf, die nach dem Auslaufen der Patente für viele Pfizer-eigenen Medikamente - darunter für das Potenzmittel Viagra - nur noch sehr spärlich gefüllt ist. So groß also sein Ärger über die hohen US-Steuersätze auch sein mag: Die hausgemachten Probleme, die mit Hilfe der Fusion bewältigt werden sollen, dürften nach Einschätzung von Experten bei der Entscheidungsfindung eine mindestens ebenso bedeutende Rolle gespielt haben.

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