Süddeutsche Zeitung

Pharma:Jetzt kommt die Zeit nach dem Coup

Die Pharmaindustrie erwartet ein schwieriges Jahr mit hohen Kosten. Vor allem die steigenden Herstellerrabatte bereiten den Unternehmen der Branche Sorgen.

Die deutsche Pharmaindustrie erwartet nach glänzenden Geschäften mit Corona-Impfstoffen schwierige Zeiten. Während die Sonderkonjunktur aus der Pandemie schwindet, spürt die Branche Kostendruck aus der Politik und die teurere Energie. 2023 werde der Umsatz um knapp fünf Prozent und die Produktion um 1,8 Prozent gemessen am Vorjahr fallen, heißt es in einer Prognose des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Die Beschäftigung werde nach dem starken Stellenaufbau der vergangenen Jahre bei 118 000 Menschen stagnieren. "Chemische Vorprodukte haben sich in der Energiekrise um 30 bis 40 Prozent verteuert", sagte VFA-Chefvolkswirt Claus Michelsen. Zudem kühle sich das Geschäft mit Corona-Impfstoffen ab.

Der Coup des Mainzer Herstellers Biontech, der den weltweit ersten zugelassenen Corona-Impfstoff aus Deutschland auf den Markt gebracht hatte, verhalf dem Pharmastandort zu neuem Glanz und verschaffte der Branche kräftig Aufwind. Der Umsatz stieg laut VFA im vergangenen Jahr um 6,5 Prozent und die Produktion um 3,6 Prozent. Die Branche wird nach früheren Angaben des Verbands noch über Jahre von Corona-Impfstoffen profitieren, wenngleich die Nachfrage mit dem Abflauen der Pandemie fällt.

Aktuell sieht sich die Branche vor allem wegen Regulierungsthemen unter Druck. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat die Herstellerrabatte, die Unternehmen den gesetzlichen Krankenkassen gewähren müssen, für 2023 erhöht. Das soll die Ausgaben im Gesundheitssystem begrenzen. Die verschärften Rabatte kosteten die Branche mehr als 1,5 Milliarden Euro, berichtete der VFA, der 47 Arzneihersteller mit 94 000 Beschäftigten in Deutschland vertritt. "2023 wird für die Pharmaindustrie ein Jahr der Herausforderungen", sagte VFA-Präsident Han Steutel. "Zum einen lasten die hohen Preise für Energie und Vorprodukte auf der Branche, zum anderen verschlechtern sich die Rahmenbedingungen durch die neue Gesetzgebung immens." Die höheren Kosten müsse die Branche wegen der weitgehenden Preisregulierung von Arzneien in der Regel selbst schultern. Das zum Jahreswechsel in Kraft getretene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz werde für weitere Belastungen sorgen und dem Standort schaden.

Auch bei einzelnen Unternehmen sind die Sorgen groß: Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim etwa hat davor gewarnt, dass die Erhöhung des Herstellerrabatts und ein Einfrieren der Arzneipreise die Innovationskraft der Branche schmäleren dürfte - mit Folgen für Patienten.

Der VFA mahnte, die Erfolge nach dem Biontech-Coup nicht zu verspielen. "Wegen der schlechteren Aussichten halten sich Pharmaunternehmen mit Investitionen in Forschung und Entwicklung zurück, die dann in den Folgejahren nicht mehr für die Produktion zur Verfügung stehen", sagte Chefvolkswirt Michelsen. Er erwartet, dass die Investitionen in der Branche in diesem Jahr um 2,3 Prozent sinken. Während die Konkurrenz in den USA mit einer starken Forschung und einem großen Kapitalmarkt punkte, hole China bei der Zahl der Patente auf. Die Volksrepublik stehe hier weltweit auf Platz 5 - hinter Deutschland auf Rang 2 und den USA an der Spitze. "Schreibt man die Entwicklung der vergangenen Jahre fort, wird China in wenigen Jahren Deutschland überholen", sagte Michelsen.

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SZ vom 10.01.2023 / dpa
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