Großbritannien:Warum die britische Notenbank in den Notfallmodus schaltet

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Andrew Bailey, Gouverneur der Bank of England. Die britische Notenbank will wieder "geordnete Marktbedingungen" herstellen. (Foto: Tolga Akmen/dpa)

Das Pfund befindet sich wegen der Steuersenkungspläne der Regierung im freien Fall. Mit dem Kauf von Staatsanleihen will die Bank of England gegensteuern.

Von Michael Neudecker und Markus Zydra, Frankfurt/Liverpool

Die Bank of England hat angesichts der Turbulenzen am Finanzmarkt ihre Geldschleusen erneut geöffnet. Bis Oktober wird die britische Notenbank so viele Staatsanleihen kaufen wie nötig, um "geordnete Marktbedingungen wiederherzustellen", wie es in der Pressemitteilung hieß. Auslöser für die Börsenpanik sind die massiven Steuersenkungspläne der neuen britischen Regierung. Angesichts der Zweifel, ob die Entlastungen für Verbraucher und Unternehmer finanzierbar sind, sank der Wechselkurs des britischen Pfund gegen den US-Dollar mit 1,03 Dollar auf den tiefsten Stand seiner Geschichte. Wenn der Markt weiter so turbulent bleibe, so die Bank of England in ihrer Begründung, bestünde "eine erhebliche Gefahr für die britische Finanzstabilität."

Die Lage muss ernst sein, denn die Notenbank hat eine 180-Grad-Wende vollzogen. Eigentlich wollten die Währungshüter nächste Woche damit anfangen, ihre 840 Milliarden Pfund hohen Bestände an britischen Staatsanleihen wieder zu verkaufen. Diese Maßnahme ist nun vertagt worden. Die lockere Geldpolitik kehrt zurück, obwohl die Inflationsrate im Vereinigten Königreich knapp zehn Prozent beträgt. Und so kauft die Notenbank seit Mittwoch Staatsbonds mit langer Laufzeit, nachdem die Rendite 30-jähriger britischer Staatsanleihen zum ersten Mal seit 2002 auf über fünf Prozent gestiegen war.

Fünf Prozent Rendite bedeutet, dass die britische Regierung fünf Prozent Zins bezahlen muss, um an den internationalen Finanzmärkten für diese Laufzeit einen Kredit zu erhalten. Die Notenbank sorgt mit ihren Käufen dafür, dass der Darlehenszins wieder sinkt und sich der Staat günstiger verschulden kann. Die Währungshüter betreiben damit Staatsfinanzierung über Bande - auch wenn sie angekündigt haben, die Anleihen nach Ende der Börsenpanik wieder abzustoßen. Immerhin hat das britische Finanzministerium zugesagt, die Notenbank vor etwaigen Verlusten zu schützen.

Die Unruhe an den Finanzmärkten ist der spendierfreudigen Haushaltspolitik der neuen Regierung geschuldet. Seit der neue britische Finanzminister Kwasi Kwarteng am vergangenen Freitag seinen Notfall-Haushaltsplan vorstellte, ist das Pfund im freien Fall. Diese Woche erreichte die britische Währung einen historischen Tiefstand. Nachdem mehrere Banken am Dienstag ankündigten, ihre Kreditangebote für Immobilienkäufer vom Markt zu nehmen, schritt die Bank of England gegen diese Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen ein.

Doch die Warnungen verpufften

Der Start für die neue Regierung könnte kaum unglücklicher sein. Liz Truss hat Boris Johnson erst vor drei Wochen als Premierministerin abgelöst, vorausgegangen war ein monatelanger parteiinterner Wahlkampf, der die Regierung mitten in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten praktisch lahmlegte. Zwei Tage nachdem Truss von Queen Elizabeth II. in Balmoral zur neuen Regierungschefin ernannt wurde, verstarb die Monarchin. Es folgte eine zehntägige Staatstrauer, während der auch das Parlament sämtliche Tätigkeiten einstellte. Das Not-Budget, das Kwarteng nur wenige Tage nach Ende der Staatstrauer vorstellte, sollen Truss und Kwarteng entgegen den Empfehlungen mehrerer Berater durchgezogen haben. Auch Truss' einstiger Konkurrent Rishi Sunak, der frühere Finanzminister, hatte stets betont, er halte Steuersenkungen für gefährlich, weil sie letztlich die Inflation befeuern könnten. Doch die Warnungen verpufften.

Truss und Kwarteng strichen den Spitzensteuersatz von 45 Prozent für die Reichsten des Landes, zudem verkündeten sie eine auf zwei Jahre begrenzte Obergrenze für die Energiekosten von 2500 Pfund pro Jahr pro Durchschnittshaushalt. Truss verfolgt den Ansatz der "Trickle-down-Ökonomie", nach der irgendwann die ganze Gesellschaft profitiert, wenn die Reichsten weniger Steuern zahlen müssen. Die These ist stark umstritten, Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman urteilte früher einmal: "Wir warten auf diesen Trickle-down-Effekt seit 30 Jahren - vergeblich."

Die Entscheidung der Regierung bringt die britischen Tories in arge Nöte, denn selbst eine Mehrheit der eigenen Wähler hält das Streichen des Spitzensteuersatzes für falsch. In einer Yougov-Umfrage vom vergangenen Wochenende beträgt der Vorsprung der Labour-Partei auf die Tories nun 17 Prozent. Das ist der größte Vorsprung seit 2001.

Besonders Finanzminister Kwarteng steht nach seinem Festhalten am größten Steuersenkungspaket seit 50 Jahren unter Druck, schließlich gilt er als der Verantwortliche für die Börsenturbulenzen. Am Mittwoch verbreitete der Fernsehsender Sky News die Meldung, Kwarteng wolle sich öffentlich an die Spekulanten wenden, um sie zu bitten, endlich aufzuhören mit ihren Wetten gegen das Pfund. Ob der Finanzminister die Geldgeber an den Börsen tatsächlich um Gnade anflehen wollte - und ob es überhaupt geholfen hätte? Man wird es wohl nie erfahren. Das britische Finanzministerium dementierte den Bericht umgehend.

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