Es ist ein trauriges Ritual geworden. Bei jeder Hochwasserkatastrophe reisen Politiker in die betroffenen Regionen und versprechen in Gummistiefeln schnelle Hilfe. Gleichzeitig nutzen Minister, Verbraucherschützer und Versicherer die Aufmerksamkeit, um ihre Position im seit Jahren schwelenden Streit über eine mögliche Pflichtversicherung für Elementarschäden deutlich zu machen.
Die jetzigen Überschwemmungen im Saarland und in Rheinland-Pfalz sind da keine Ausnahme. Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, machte sich gemeinsam mit der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, SPD, in Kleinblittersdorf ein Bild von der Lage. Rehlinger sprach sich für eine Versicherungspflicht aus. Der Grünen-Finanzpolitiker Stefan Schmidt in Berlin plädierte zeitgleich für eine "risikoorientierte Pflichtversicherung".
Wie teuer das Saar-Hochwasser wird, weiß noch niemand. Besonders hart wird es die Saarland Versicherungen treffen. Der Versicherer, der zur Versicherungskammer Bayern gehört, ist nach eigenen Angaben der größte Wohngebäudeversicherer im Saarland. Auch das Unternehmen kennt die genaue Schadenshöhe noch nicht. "Wir verschaffen uns gerade erst einen Überblick", sagt ein Sprecher. Viele Kunden hätten zunächst ihre Keller ausgepumpt und kämen erst jetzt dazu, die Schäden zu melden. Zudem regnet es weiter, die Gefahr ist noch nicht gebannt. Es können weitere Schäden hinzukommen.
Der Versicherer rät betroffenen Kunden, Schäden an Gebäuden und Hausrat sofort zu melden und mit Fotos zu dokumentieren. Wenn möglich, sollten sie Sofortmaßnahmen ergreifen, um Folgeschäden zu mindern. "In den besonders betroffenen Gebieten sind wir in den kommenden Tagen mit eigenen Schadenteams vor Ort", sagt Christian Krams, Leiter der Schadenbearbeitung bei den Saarland Versicherungen. "Für die Bearbeitung der vielen eingehenden Schadenmeldungen legen wir Sonderschichten ein, einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dafür ihren Urlaub unterbrochen."
Allerdings sind längst nicht alle Schäden versichert. Für Sturm- und Hagelschäden an Gebäuden und Hausrat kommen die Versicherer der normalen Gebäude- und Hausratpolicen auf. Doch für Schäden durch Überschwemmung und Rückstau infolge von Starkregen ist eine zusätzliche Elementarversicherung nötig. Diese haben aber nur 47 Prozent der Eigentümer von Wohngebäuden im Saarland abgeschlossen.
Rund 325 000 Gebäude sind bundesweit hochwassergefährdet
Bundesweit liegt der Anteil der Gebäude mit Elementarschutz mit 54 Prozent nicht viel höher. Deshalb springt immer wieder der Staat als Helfer in der Not ein. Für den Wiederaufbau im Ahrtal war 2021 ein Sonderfonds in Höhe von 30 Milliarden Euro eingerichtet worden. Knapp neun Milliarden Euro mussten die Versicherer aufbringen. Einige Bundesländer, darunter Bayern, wollen nicht mehr zahlen, wenn eine private Versicherung möglich gewesen wäre, aber von den Hausbesitzern nicht abgeschlossen wurde.
Mindestens 323 000 Adressen in Deutschland sind hochwassergefährdet, hat der Gesamtverband der Versicherer (GDV) errechnet. Die Versicherer weisen darauf hin, dass mehr als 99 Prozent aller Gebäude versicherbar sind.
Manche Hausbesitzer und Unternehmen in gefährdeten Regionen haben andere Erfahrungen gemacht. "In gefährdeten Gebieten erhalten Unternehmen oft keinen oder nur sehr teuren Versicherungsschutz", berichtet Birger Jeurink, Geschäftsführer des Versicherungsmaklers VSMA, einer Tochter des Verbandes der Maschinen- und Anlagenbaubranche. Es werde immer schwieriger, Versicherungsschutz mit den notwendigen Entschädigungssummen einzukaufen und neben dem Gebäude auch die Betriebseinrichtung oder die Betriebsunterbrechung zu versichern. "Wir brauchen dringend eine Neuregelung", fordert Jeurink.
Doch eine Pflichtversicherung für alle Gebäudeeigentümer ist in der Politik und bei den Versicherern umstritten. Der Bundesrat hat sich am 31. März 2023 einstimmig für die Einführung einer Pflichtversicherung ausgesprochen. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern soll nun die Details ausarbeiten. Doch in der Bundesregierung ist vor allem die FDP mit Finanzminister Christian Lindner sehr skeptisch.
Die offizielle Linie des GDV ist klar gegen eine Pflichtversicherung. Die Mehrheit der Versicherer befürchtet, dass eine solche Pflicht, bei der die Risiken auf alle Hausbesitzer umgelegt werden, die Kosten für alle Haushalte in die Höhe treibt. Gleichzeitig würden manche Bauherren ungeniert in Flussnähe bauen, weil sie keine Sanktionen durch höhere Versicherungskosten befürchten müssen, so die Erwartung des Versichererverbandes. Außerdem würde die Vorsorge durch Städte und Gemeinden unterbleiben.
Hinzu kommt die Sorge vor politischer Einflussnahme. Die Höhe der Beiträge in einer Pflichtversicherung könnte schnell zum Politikum werden.
Viele Anbieter schließen Elementarschäden inzwischen mit ein
"Eine Pflichtversicherung bringt uns keinen Schritt weiter", sagt die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach. Die notwendigen Kosten würden vor allem den Hauseigentümern und der Versichertengemeinschaft aufgebürdet.
Nicht alle Versicherer lehnen eine Pflichtversicherung ab. Bernd Zens, Vorstandsmitglied der DEVK in Köln, plädiert für dringende Präventionsmaßnahmen, "die nicht erst nach einem 20 Jahre dauernden Planungsprozess umgesetzt werden". In dem Zuge dürften sich die Versicherer einer Pflichtversicherung nicht grundsätzlich verschließen.
Viele Anbieter schließen Elementarschäden inzwischen in ihre normalen Gebäudepolicen ein, der Kunde kann sie aber explizit abwählen. Die HUK-Coburg geht noch einen Schritt weiter: Auch wenn der Kunde die Deckung abwählt, sind Schäden höher als 100 000 Euro immer mitversichert.
Eigentlich ist allen Beteiligten klar, dass schnell etwas passieren muss. Die Zahl der Naturkatastrophen nimmt zu. Weitere zehn Jahre Diskussionen in Arbeitsgruppen könne sich das Land nicht leisten. Die saarländische Ministerpräsidentin Rehlinger zeigt sich enttäuscht. "Mir fehlt jetzt das Verständnis, warum wir auf der Bundesseite nicht weiter vorangekommen sind." Die Diskussion über eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden werde man mit dem Bund sicher noch einmal führen müssen.