Pflegebranche:Verhandeln - aber mit wem?

Pflegenotstand in der Kinderintensivmedizin

Pflegekräfte in Deutschland sollen einen einheitlichen Tarifvertrag bekommen – aber wie?

(Foto: Ole Spata/dpa)

Drei Bundesminister wollen die Löhne von Pflegekräften verbessern. Dafür brauchen sie Heimbetreiber und Pflegekräfte als Tarifpartner. Dies ist schwer.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Es ist ein Trauerspiel: Pflegekräfte in Deutschland arbeiten zu viel, weil ihnen die Kollegen fehlen. Und neue Mitarbeiter lassen sich nicht finden, weil Pflegerinnen und Pfleger nicht genug verdienen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hatten deshalb in einer "Konzertierten Aktion Pflege" angekündigt, für bessere Gehälter in Heimen und Pflegediensten zu sorgen. Die Frage ist bloß, wie?

Schon in ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, dass sie "die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken" wollen: "Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen", heißt es dort. In Deutschland gibt es mehr als 13 000 Pflegeheime und etwa genauso viele ambulante Pflegedienste, die alte Menschen zuhause betreuen. Rund die Hälfte der Heime wird von privaten Unternehmen betrieben. Die restlichen Einrichtungen sind entweder gemeinnützig oder kirchlich getragen. Die Arbeitgeber sind in der Pflege also höchst unterschiedlich. Und auch die Arbeitnehmer sind hier alles andere als starke Tarifpartner: In den wenigsten Heimen gibt es Betriebsräte, Pflegekräfte sind selten in einer Gewerkschaft. Ein Streik auf Kosten der Alten und Hilflosen ist für viele von ihnen undenkbar. Diese Situation macht das Vorhaben der Regierung kompliziert.

Im Grunde könnte Arbeitsminister Heil zwar einen Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklären. Ein entsprechender Paragraf steht im Tarifvertragsgesetz. Für solch eine Ministererklärung wäre - neben einem öffentlichen Interesse - aber auch das Einverständnis von je drei Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber erforderlich. Nötig wäre ein sogenannter Tarifausschuss, in dem auch Vertreter des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) säßen. Der BPA hat vor drei Jahren eigens einen Arbeitgeberverband für solche Gelegenheiten gegründet, dessen Präsident der ehemalige FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle ist.

Schon jetzt ist allen Beteiligten klar, dass der BPA-Arbeitgeberverband einem allgemein verbindlichen Tarifvertrag nicht zustimmen würde. Dort setzt man stattdessen auf eigene Arbeitsvertragsrichtlinien, welche man den privaten Heimen empfiehlt. In den aktuellen Lohntabellen, die der Verband herausgibt, unterscheiden sich die Löhne der Pflegekräfte in Ost- und Westdeutschland um mehrere Hundert Euro. Sylvia Bühler aus dem Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi sagt, sie strebe dagegen "ein einheitliches Tarifniveau an - egal ob in Ost oder West, Nord oder Süd". Außerdem will sie einklagbare Rechte für alle Beschäftigten in der Altenpflege erreichen.

Doch selbst wenn sich die Gewerkschaft mit den Heimbetreibern auf einen Tarif einigen könnte, würden anschließend nicht alle Pflegekräfte gleich verdienen. Denn ein beträchtlicher Teil von ihnen arbeitet für kirchliche Arbeitgeber, also etwa in Heimen der Caritas oder der Diakonie. Hier gelten seit je her eigene Arbeitsrichtlinien.

Um die kirchlichen Heime trotzdem einzubeziehen, kursiert in der Branche eine Idee, sie heißt: die Hotellösung. Theoretisch könnten demnach die kirchlichen und die weltlichen Verbände und Pfleger genau zur selben Zeit über ihre Gehälter und Urlaubstage verhandeln, und zwar im selben Hotel, in zwei unterschiedlichen Flügeln. Mehr oder minder zufällig würden sich die Verhandler beider Gruppen zwischendurch auf den Gängen begegnen - und am Ende in beiden Flügeln zum selben Ergebnis kommen. So wären die Arbeitsbedingungen in kirchlichen und weltlichen Heimen am Ende einheitlich.

Verdi präferiert allerdings mittlerweile einen neuen Weg und beruft sich jetzt auf das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Denn auch hier findet sich ein Passus, mit dem Arbeitsminister Heil Tarifverträge auf die ganze Branche ausweiten könnte. Ohne Einverständnis der Arbeitgeber, so Verdi. Ende September hat die Gewerkschaft eine Tarifkommission gegründet. Dort sitzen Beschäftigte aus gemeinnützigen Altenpflege-Einrichtungen, aus weltlichen und kirchlichen Wohlfahrtsverbänden sowie aus privaten Pflegekonzernen beieinander, heißt es in einer Mitteilung. Verhandeln soll diese Kommission aber nur mit einzelnen Arbeitgebern wie der Arbeiterwohlfahrt oder dem Deutschen Roten Kreuz. Sobald mit ihnen ein Tarifvertrag vereinbart wurde, könnte Heil ihn allen auferlegen, so die Hoffnung.

Kirchliche Verbände sind darüber entsprechend unglücklich. Sie wollen mitreden, sagt der Arbeitsrechtsexperte der Caritas, Norbert Beyer. Deshalb arbeite man gerade an einem Vorschlag für die Regierung, wie auch sie am Verhandlungstisch sitzen könnten. Zur Debatte stehen nun nicht mehr nur die beiden Gesetze, sondern als Drittes auch noch die Pflegekommission. Diese legt nämlich einen Mindestlohn für Pflegekräfte fest, der im Augenblick bei gerade einmal 10,55 Euro im Westen und 10,05 Euro im Osten liegt.

Es sei "im ersten Schritt an den Tarifpartnern, sich auf einen Tarifvertrag Altenpflege zu einigen", heißt es aus dem Ministerium. Als wenn das so einfach wäre.

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