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Nahaufnahme: Ute Frank: "Unsere optischen Sensorsysteme und unsere Algorithmen sind doch geradezu prädestiniert für die Pandemie."

Ute Frank: "Unsere optischen Sensorsysteme und unsere Algorithmen sind doch geradezu prädestiniert für die Pandemie."

(Foto: oh)

Wie Ute Franke mit ihrem Start-up "5 Micron" Pflegende entlasten will. Seit Juni läuft in einem Altenheim ein Pilotprojekt.

Von Elisabeth Dostert

Ute Franke, 52, ist - sie würde dem keine Sekunde widersprechen - ungeduldig. Frustration ist für die Gründerin aus Berlin ein Wort, aber keine Erfahrung. Als die Corona-Pandemie ihre Firma "5 Micron" erreichte, verfiel sie in eine "Schockstarre". Das schon. Am 12. März wurde der Termin bei einem potenziellen Kunden in München erst verschoben, dann abgesagt. Aus dem Projekt wird wohl nichts mehr.

Es dauerte nicht lange, da löste sich Franke aus der Starre. Die Bauingenieurin schrieb E-Mails an andere Gründer im Berliner Technologiepark Adlershof. "Leute, es ist Pandemie. Wir sind hier der klügste Kiez in Berlin", solche Sätze standen in den Mails. "Was machen wir jetzt?" Viele antworteten. "Es war ein gutes Gefühl zu wissen, man ist nicht alleine. Andern geht es auch so."

Der Firmenname 5 Micron leitet sich von fünf Mikrometern ab, "das ist die Auflösung unseres Messsystems, mit dem wir zum Beispiel die Oberflächen von Flugzeugtragflächen vermessen". Auf Basis dieser Daten beurteilen dann Aerodynamiker, wie die Luft im Flug über die Oberflächen der Tragflächen fließt.

Die ersten Kunden waren Airbus und der Triebwerkshersteller Rolls-Royce. "Uns war von Anfang an klar, dass wir unsere Technologie auf andere Industrien übertragen und eigene Produkte entwickeln wollen", erzählt Franke.

Franke und ihrem Mitgründer Jean Blondeau, promovierter Biologe und Bio-Kybernetiker, ist bislang immer etwas eingefallen, wenn es irgendwo hakte. Das war auch 2014 so. Da verließen sie ihren damaligen Arbeitgeber FTI Engineering Network, um 2015 in ihrer eigenen Firma 5 Micron die Arbeit an optischen Messsystemen für präzise topografische Analysen fortzuführen. Franke kann das auch griffiger formulieren: "Wir gucken nur, wir fassen nichts an."

Die Gründer wollen das Wissen aus der Luftfahrt in der Medizin anwenden

Schon vor der Pandemie hatten sich die Gründer Gedanken darüber gemacht, wie sich das Wissen aus der Luftfahrt in der Medizin anwenden lässt. 5 Micron könne aus der Ferne Sachen analysieren, erkennen, vorausahnen und einstufen. "Unsere optischen Sensorsysteme und unsere Algorithmen sind doch geradezu prädestiniert für die Pandemie. Kontaktlos bedeutet 100 Prozent hygienisch." Franke wird jetzt noch ein wenig ungeduldiger. Sie will endlich ihr jüngstes Produkt zeigen. Ihr Blick wandert zur Decke, wo ein rechteckiger weißer Kasten mit kreisrunden Löchern hängt. Das Produkt heißt Multi-Zen. Es verbinde mehrere optische Sensoren - eine Infrarot-, eine 3-D- und eine Vollfarbkamera.

Das System soll Pflegende entlasten - zu Hause oder in Einrichtungen. Seit Juni läuft in einem Berliner Altenheim ein Pilotprojekt. Die Kameras registrieren Veränderungen im Zimmer. Gibt es nasse Flecken und sind sie warm oder kalt? Wie hoch ist die Körpertemperatur des Bewohners? Die Daten werden auf den PC im Pflegedienstzimmer oder auf ein Tablet übertragen. Im Ernstfall schlägt das System Alarm. In diesem Fall zeigt ein Foto, ob der Bewohner gestürzt ist oder nur die Decke vom Bett gerutscht ist. "Unsere Software wertet die Daten laufend aus", erklärt Franke: "Sie werden nicht gespeichert. Die Pflegenden sehen nur das Ergebnis."

Im ersten Quartal 2021 soll Multi-Zen auf den Markt kommen. Auf einen Preis haben sich Franke und Blondeau noch nicht festgelegt, "es wird wohl mehr als 1000 Euro kosten, aber das hängt auch von den Stückzahlen ab." Die Entwicklung hat 5 Micron selbst finanziert. Um in Serie zu gehen, brauchen die Gründer einen Investor. "Rückblickend", sagt Franke, "war die Pandemie ein natürlicher Beschleuniger für unsere Ausrichtung."

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