Süddeutsche Zeitung

Pflege:Eine Frage des Niveaus

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Gesundheitsminister Spahn will Pflegeschulen im Ausland aufbauen, um mehr Fachkräfte nach Deutschland zu lotsen. Anders als vermutet sind die Standards von Ausbildung und Tätigkeit in Deutschland oft viel zu niedrig.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Die Altenheime der Republik sind unterbesetzt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) weiß Rat: Für die Zukunft stellt er sich deutsche Pflegeschulen im Ausland vor, die dort Menschen nach deutschen Standards ausbilden sollen. In ihrem Heimatland könnten die neuen Pflegefachkräfte bereits Deutsch lernen - um dann hier in den Pflegeheimen die personellen Löcher zu stopfen. "Idealerweise sollen sie dann mit Ende der Ausbildung in Deutschland ihre Arbeit starten können", sagte Spahn der Rheinischen Post. Als mögliche Länder für eine Kooperation nannte er Kosovo, Mazedonien, die Philippinen und Kuba.

In Deutschland ist die akademische Ausbildung nicht der Standard

Neun Millionen Euro will Spahn in ausländische Pflegeschulen investieren. Der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, also der Altenheimbetreiber, Bernd Meurer, freute sich darüber: "Wer pflegebedürftigen Menschen eine verlässliche Unterstützung sichern will, muss jede Möglichkeit nutzen, Deutschland attraktiv auch für ausländische Fachkräfte zu machen", sagte er.

Doch anders als der Vorschlag vermuten lässt, sind die deutschen Pflegeheime für Krankenpfleger aus dem Ausland alles andere als attraktiv. Denn die Ausbildung deutscher Pflegekräfte unterscheidet sich deutlich von der vieler anderer Staaten: Sie ist hierzulande weniger anspruchsvoll. "Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, in denen die akademische Ausbildung für Pflegekräfte nicht der Standard ist", sagt Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe. Das führe dazu, dass sich Pfleger aus dem Ausland hier bisher nicht selten unterfordert fühlten. "Pflegekräfte aus Spanien waren beispielsweise fassungslos, welche Tätigkeiten man ihnen in deutschen Altenheimen zumutete. Das waren Tätigkeiten, die noch unterhalb von Helfertätigkeiten in ihrem eigenen Land lagen", sagt Knüppel.

Medizinische Aufgaben, für die Pflegekräfte an ausländischen Universitäten ausgebildet werden, übernehmen in Deutschland eher die Ärzte. Und im Ausland sind es entweder Helfer oder Familienmitglieder, die den Pflegebedürftigen beim Waschen und Anziehen helfen. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, sieht die Idee der Pflegeschulen im Ausland wegen dieser großen Unterschiede kritisch. Es sei "fraglich, inwieweit Fachkräfte dort für die Langzeitpflege, insbesondere für die Pflege älterer Menschen, ausgebildet werden", sagt sie. Außerdem sieht Schulz-Asche ein weiteres Problem bei der Anwerbung von Krankenhauspersonal aus dem Ausland. Denn nicht nur in Deutschland gibt es einen Personalmangel im Gesundheitswesen, sondern weltweit: "Wir brauchen eine Zuwanderung von Pflegefachkräften, aber ohne den Partnerländern die dort notwendigen Fachkräfte zu entziehen", sagt sie.

In Deutschland sind für die Ausbildung von Pflegerinnen und Pflegern nach wie vor Schulen und bislang fast keine Universitäten zuständig. Im vergangenen Jahr hat der Bundestag zwar die Ausbildung der Pfleger reformiert. Künftig sollen alle Auszubildenden zwei Jahre lang gemeinsam lernen, um dann, im dritten Jahr, einen Schwerpunkt zu wählen. Zum Schluss sind sie dann entweder Pflegefachmann oder -frau, Altenpfleger oder Kinderkrankenpfleger. Doch auch in Zukunft bleiben die Unterschiede zwischen deutschem Pflegepersonal und dem anderer europäischer Länder bestehen. Deutsche Altenpfleger werden beispielsweise mit ihren neuen Abschlüssen nicht automatisch im europäischen Ausland arbeiten können.

Wenn die neue Pflegeausbildung in rund einem Jahr startet, soll sie trotzdem ein erster Schritt sein, um den Pflegeberuf aufzuwerten. Denn nur, wenn der Wert des Berufsbildes höher werde, argumentieren viele Experten, stiegen auch die Löhne und die Lust junger Menschen, sich um Alte und Kranke zu kümmern.

Oft kämpfen Kliniken und Pfleger monatelang mit Ämtern, bis diese Arbeitszeugnisse anerkennen

Auf die Pflegeschulen kommen durch die neuen Lehrpläne, die neuen Materialien und die Fortbildungen der Lehrer nun Kosten von knapp 400 Millionen Euro zu, sagt Elisabeth Fix vom der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Kosten, für die die Träger der Schulen Unterstützung fordern. Doch das Gesundheitsministerium sieht sich hier - anders als bei den Pflegeschulen im Ausland - nicht in der Pflicht: "Die Unterstützung der Umsetzung der Pflegeberufereform, etwa in Form einer sogenannten Anschubfinanzierung, liegt in der Verantwortung der Länder", heißt es von der Gesundheitsstaatssekretärin Sabine Weiss. Doch auch die Bundesländer, sagt Fix, hätten "bislang keine Finanzierung zugesichert". Und so blickt sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn derzeit ins Ausland um, während die heimischen Schulen noch mit ihrer Ausbildung hadern.

Die Pflegedirektorin der Berliner Charité, Judith Heepe, die bereits seit mehreren Jahren Pfleger aus Ländern außerhalb Europas anwirbt, beklagt im Übrigen ein Problem, das bisher keine Pflegeschule im In- oder Ausland beheben kann: die großen Hürden der Bürokratie in der zuständigen Landesbehörde und in der Arbeitsagentur. Monatelang kämpften Kliniken und Pfleger mit den deutschen Ämtern, bis deren Arbeitszeugnisse und Dokumente endlich anerkannt seien. Solche Schwierigkeiten soll künftig ein Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung lösen - entworfen worden ist es aber nicht in Spahns Haus, sondern von seinen Kabinettskollegen im Innen-, Wirtschafts- und Arbeitsministerium.

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Quelle:
SZ vom 06.12.2018
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