Süddeutsche Zeitung

Peter F. Drucker:"Die Manager tun mir leid"

Wie kein Zweiter hat der Philosoph und Ökonom Peter F. Drucker die moderne Unternehmensführung geprägt. Am 19. November wäre er 100 Jahre alt geworden.

D. Deckstein

Wenn Peter F. Drucker seinen 100.Geburtstag an diesem 19. November noch erlebt hätte und nicht wenige Tage vor seinem 96.Geburtstag gestorben wäre, hätte er mit Sicherheit in den beiden vergangenen Finanz- und Wirtschaftskrisenjahren die Chance ergriffen, sich zu eben dieser Krise zu äußern. Wer, wenn nicht er, der gebürtige Wiener, der 1930 - auf dem Höhepunkt der letzten großen Weltwirtschaftskrise - als Journalist nach Deutschland kam und dort den Untergang der Weimarer Republik erlebte?

Wahrscheinlich hätte Drucker jetzt gesagt: "Ich habe es wieder kommen sehen." So wie er schon den Börsencrash im Oktober 1987 vorausgesehen hatte, aber weniger aus ökonomischen Erwägungen, sondern aus ästhetischen und moralischen Gründen. Immer wieder hatte er überzogene Managergehälter kritisiert: "Wenn Schweine sich im Trog suhlen, ist das immer ein widerliches Spektakel - und man weiß, es wird nicht lange dauern."

Herausragender Managment-Vordenker

Ähnlich hatte er die Broker der Wall Street einmal als "unproduktiven Haufen, der auf leicht verdientes Geld aus ist" bezeichnet. Wenn der Punkt erreicht werde, an dem Börsenhändler mehr Geld als Investoren verdienten, sei das ein Vorzeichen für einen Crash. Und er hätte damit auch jenen recht gegeben, die angesichts der Zockereien der Banker und ihrer Bonus-Exzesse ein Moralversagen beklagen. Kurz: Wären Heerscharen von Managern nicht den Verlockungen kurzfristiger Finanzergebnisse gefolgt, hätte die heutige Krise nicht entstehen können.

Zweifellos zählt Peter Ferdinand Drucker zu den herausragendsten Management-Vordenkern. Er hat wie kein anderer Ansichten über Führung in modernen Zeiten geprägt, auch wenn er, wie eklatante Fälle von Größenwahn und Versagen dokumentieren, nicht selten tauben Ohren predigte.

Etwa mit der vielfach ignorierten Erkenntnis: "Das freie Unternehmertum lässt sich nicht dadurch rechtfertigen, dass es dem Geschäft dient. Es lässt sich nur dadurch rechtfertigen, dass es der Gesellschaft dient." Auch die banale Wahrheit, dass "Unternehmen nicht Geld machen, sondern Schuhe", kommt in den Fallstudien zeitgenössischer Business-Schulen nur am Rande vor.

Prophetische Bücher und Schriften

Drucker definierte als Erster die Notwendigkeit professionellen Managements als erlernbarer Beruf, der für die Gestaltung der Gesellschaft unabdingbar sei. Er sah Management mehr als edle Berufung, vergleichbar mit der herausragender Mediziner oder Juristen und nicht als technokratische Zahlenoptimiererei. Inzwischen schwenkt sogar die Kaderschmiede des Managements, die Bostoner Harvard Business School, um auf eine neue Berufsethik: Im Juni schworen 400 Absolventen einen Eid, dem "allgemeinen Guten" zu dienen.

Frappierend prophetisch lesen sich die Bücher und Schriften, die Drucker schon vor vielen Jahrzehnten geschrieben hat und in denen er, Vor-Denker im besten Sinne, Zukunftsentwicklungen voraussah, die allesamt eintraten und zum Teil erst heute die politökonomische Debatte zu beherrschen beginnen.

Schon 1942 beschrieb er in "The Future of Industrial Man" (deutsch: "Die Zukunft der Industriegesellschaft"), wie sich die Gesellschaft in den industrialisierten Staaten zu einer "Gesellschaft der Organisationen" gewandelt hatte. Vom globalen Konzern über die große Koalition bis zum Kleinstadttheater - nichts, was nicht gemanagt werden muss. In den 50er Jahren bereits beschäftigte sich Drucker mit dem bevorstehenden Niedergang der Gewerkschaften und den Folgen demographischer Veränderungen.

Früher als andere erkannte er die Bedeutung von Technologie und Innovation, und bereits in den 60er Jahren schrieb er über Wissen als das neue Kapital und mahnte, dass die für den Unternehmenserfolg entscheidende neue Zunft der Wissensarbeiter anders geführt werden müsse als die klassischen Fabrik- und Büroarbeiter vor 100 Jahren. Dass das in vielen Chefetagen bis heute anders gesehen wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber "diese Fehleinschätzung hat zur Folge, dass selbst die besten Leute nicht produktiv arbeiten", sagte Drucker in einem seiner wenigen - und letzten - Interviews 2002.

Über Zukunft spekulieren viele andere auch; was aber Drucker so einzigartig macht, ist seine Fähigkeit, aus seinem profunden historischen Wissen Verknüpfungen zu bereits eingetretenen, aber noch unverstandenen Ereignissen zu ziehen. Der Unternehmensberater Hermann Simon, der mit Drucker befreundet war, nennt ihn einen "Mann der Vergangenheit", der gerade deswegen die Zukunft besser verstehen konnte. Er nennt Drucker wie etwa dessen Zeitgenossen Elias Canetti, Norbert Elias, Arthur Koestler oder auch Karol Wojtyla alias Papst Johannes Paul II. die Kinder der untergegangenen Donaumonarchie, die "lange vor dem Zeitalter der Globalisierung exemplarische Weltbürger waren, gebildet, kulturell flexibel, polyglott, geschichtsbewusst. Die ,Welt von gestern‘ hatte sie offenbar bestens auf die Welt der Zukunft vorbereitet." Was man von zahlreichen aktuellen Managementautoren nicht behaupten kann.

Konzernanalyse bei General Motors

So verließ Drucker sein großbürgerliches Elternhaus in den 1920er Jahren für eine Kaufmannslehre in Hamburg, studierte in Frankfurt Rechtswissenschaften und arbeitete zunächst als Journalist beim Frankfurter General-Anzeiger. 1933 emigrierte er nach England und 1937 in die USA, wo er lehrte und seine ersten Bücher schrieb.

Als Folge seines "Industrial Man" holte General Motors Drucker 1943 für zwei Jahre ins Haus, damit er den Konzern analysiere. Später traf Drucker ein vernichtendes Urteil: "GM kann man als Triumph und Scheitern des technokratischen Managers betrachten." Zwar seien Umsatz und Gewinn in Ordnung, aber "öffentliche Reputation, Wertschätzung und Akzeptanz" seien verheerend. Wer diese Sätze in den vergangenen Krisenmonaten wieder las, tat das mit einem Anflug von Déjà-vu.

Mehrfach wurde Drucker zum einflussreichsten Managementdenker aller Zeiten gewählt. Im Jahr 2002 erhielt er vom damaligen Präsidenten George W. Bush die Presidential Medal of Freedom, die höchste zivile Auszeichnung der USA. Es war zugleich das Jahr, in dem Drucker, der unzählige Spitzenmanager gekannt und beraten hat, Mitgefühl für die Spezies äußerte: "Wir überlasten die Menschen an der Spitze. Die Manager tun mir leid." Warum? Weil der Zwiespalt zwischen langfristiger Ausrichtung des Unternehmens und dem Druck der Aktionäre zur kurzfristigen Gewinnsteigerung das Topmanagement in die Krise getrieben habe. Der Ausweg aus diesem Zwiespalt ist offen - aber Erste Hilfe bietet die Lektüre von Peter F. Drucker und dessen beständiger Hinweis darauf, dass Manager Verantwortung nicht nur für ihr Unternehmen, sondern auch für das Gemeinwohl zu tragen haben.

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SZ vom 19.11.2009/tjon/hgn
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