Maßnahmen gegen das Virus:"Corona baut eine sehr große Verschuldungswelle auf"

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Kein anderer Wirtschaftsweiser war so lange im Amt wie Peter Bofinger, nämlich 15 Jahre. (Foto: imago)

Der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger über die Nebenwirkungen der KfW-Kredite für Unternehmen und wie eine Überschuldung von Staaten vermieden werden kann.

Interview von Cerstin Gammelin

Die deutschen KfW-Kredite und die bisher geplanten europäischen Corona-Hilfen haben eine gemeinsame schädliche Nebenwirkung, kritisiert Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre und bis 2019 langjähriger Wirtschaftsweiser der Bundesregierung. Beide führen dazu, dass Unternehmen wie Staaten neue Schuldenberge auftürmen, die später hinderlich sind, wenn nach der Pandemie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder gestartet und neu investiert werden soll. Bofinger empfiehlt zwei Alternativen.

SZ: Herr Bofinger, was bereitet Ihnen die größten wirtschaftlichen Sorgen in dieser Corona-Pandemie?

Peter Bofinger: Das große Problem der Corona-Krise ist, dass durch den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stillstand jetzt neue riesige Schulden im Wirtschaftssystem aufgebaut werden. Wir haben Unternehmen, die laufende Zahlungen begleichen müssen. Aber ihre Einnahmen brechen weg. Durch das Kurzarbeitergeld sind sie etwas entlastet. Aber insgesamt baut Corona eine sehr große Verschuldungswelle auf.

Sie halten die KfW-Kredite für falsch?

Die Kredite helfen, dass die Liquiditätsflüsse im Wirtschaftssystem weiterlaufen. Man bezahlt Rechnungen, Mieten, Verpflichtungen. Das ist gleichsam als Erste Hilfe wichtig. Aber je länger das läuft, desto mehr staut sich die Schuldenwelle auf. Sie spült das Eigenkapital weg und führt verstärkt zu Insolvenzen

Wie lange kann ein Unternehmen das durchstehen?

Jeder Monat mehr macht es schlimmer. Entscheidend ist aber, in welcher Verfassung die Unternehmen wieder in den Normalbetrieb gehen. Alles, was jetzt die Eigenkapitalausstattung verschlechtert, macht es schwerer, kraftvoll zu starten und neu zu investieren. Selbst die Betriebe, die gut dastehen, werden beschädigte Bilanzen haben. Auch denen lasten die Kredite auf den Schultern.

Der Staat hat das Land runtergefahren, deshalb mussten Unternehmen schließen. Und nun müssen sie Zinsen zahlen, um das künstliche Koma zu überstehen. Ist das rechtens?

Das ist der zentrale Unterschied zur Finanzkrise. Damals haben Banken Verluste gemacht, aber wegen eines eigenen Fehlverhaltens. Sie hatten gezockt. Klar, dass die auch bluten müssen. Deshalb waren die staatlichen Hilfen an Auflagen gekoppelt. Jetzt aber, bei Corona, ist es völlig anders. Der Staat schließt Unternehmen. Deshalb treten Verluste auf. In der Rechtswissenschaft spricht man hierbei von der "Aufopferung für das gemeine Wohl". Man könnte also daran denken, dass Ansprüche der Unternehmen aus einem enteignungs- oder aufopferungsgleichen Eingriff des Staates bestehen. Kredite sind hierfür kein Ersatz.

Unternehmen können also Schadenersatz fordern?

Ich bin kein Jurist, aber aus dem bei Ökonomen weithin geteilten ordnungspolitischen Grundprinzip von Kompetenz und Haftung würde sich das unmittelbar ergeben. Das bedeutet: Wer die Kompetenz für bestimmte Entscheidungen hat, muss dann auch für deren finanzielle Konsequenzen einstehen.

Bei Unternehmen ab 250 Mitarbeitern kann sich der Staat direkt einkaufen. Besser?

Die Idee ist, dass sich der Staat bei Unternehmen über 250 Mitarbeiter beteiligt. Aber das sind etwa 15 000 Unternehmen und man fragt sich, wie der Staat sich an denen vernünftig beteiligen will. Wie will er das schnell machen? Was sind die Anteile wert? Es ist auch ordnungspolitisch ein Irrweg, weil es keine Rechtfertigung dafür gibt, dass der Staat für seine Hilfen eine Gegenleistung erhält.

Der richtige Weg wäre?

Staatliche Transfers, damit die Unternehmen ihre Bilanzen wieder reparieren können. In Österreich erhalten Unternehmen, die besonders stark von der Krise betroffen, staatliche Zuschüsse von bis zu 75 Prozent ihrer Fixkosten. Man könnte in Deutschland die im Steuerrecht vorgesehene Möglichkeit des Verlustrücktrags, die bisher auf eine Million begrenzt ist, deutlich ausweiten. Unternehmen könnten die Verluste, die in diesem Jahr anfallen, mit den versteuerten Vorjahresgewinnen verrechnen und so anteilig diese Steuern zurückbekommen. Man könnte den Verlustvortrag zudem von bisher einem Jahr auf zwei oder drei Jahre erweitern. Unternehmen könnten mit den zurückgezahlten Steuern ihre Löcher stopfen.

Wie sehe das konkret für einen Zuliefererbetrieb aus?

Der Betrieb hat 2019 vielleicht fünf Millionen Euro Gewinn gemacht und 1,5 Millionen Euro Steuern bezahlt. Wenn er in diesem Jahr fünf Millionen Euro Verlust macht, würde er die Steuern wieder zu 100 Prozent rauskriegen. Er wäre liquide ohne zusätzliche Schulden. Weil man aber nicht weiß, wie es dieses Jahr laufen wird, wäre mein Vorschlag an die Bundesregierung: Führen Sie eine Steuergutschrift ein. Genau genommen ist es eine negative Steuer. Alle Unternehmen kriegen auf Antrag vom Finanzamt jetzt 50 Prozent dessen zurück, was sie 2019 an Steuern bezahlt haben. Wenn sich dann bei der Steuererklärung für das Jahr 2020 herausstellen sollte, dass der Gewinn nicht eingebrochen ist, beispielsweise bei einem Hersteller von Klopapier, müsste diese Gutschrift wieder zurückbezahlt werden.

Der Bund haftet jetzt zu 100 Prozent für die KfW-Schnellkredite.

Das ist ganz wichtiger Schritt. Die Schweiz hat uns das vorgemacht. Allerdings müssen die Unternehmen hier drei Prozent Zinsen zahlen. In der Schweiz kriegen sie die Kredite für null Prozent. Da sich der Staat zu negativen Zinsen verschulden kann, gibt es dafür eigentlich keine Rechtfertigung. Wenn ein Modehändler in München jetzt Liquidität braucht, ist das ja nicht, weil er die falsche Kollektion bestellt hat. Sondern, weil der Staat den Laden geschlossen hat.

In ganz Europa steigen die Schulden. Ist die nächste Schuldenkrise unausweichlich?

Es kommt darauf an, dass die staatlichen Maßnahmen gegen die Krise nicht zur Überschuldung von Staaten zu kommen. Die Regierungen müssen versuchen, die Verschuldung des Privatsektors zu reduzieren, indem sie die krisenbedingten Schulden soweit wie möglich in ihre Bücher nehmen. Je länger es dauert, desto höher werden die staatlichen Schulden. Bei Italien sind die Schulden schon hoch und jeder weitere Anstieg ist ein Problem, weil es teurer wird, die Schulden zu tragen. Deshalb müssen die Maßnahmen so konzipiert sein, dass sie die Schulden möglichst nicht allzu sehr erhöhen. Da scheidet der Euro-Rettungsfonds ESM aus, da er nur Kredite vergeben kann. Corona-Bonds wären deutlich besser. Die ideale Lösung wäre, wenn ein neuer europäischer Fonds als EU-Institution gegründet würde. Dieser Fonds gibt dann Corona-Bonds aus. Der Trick wäre, dass dieser Fonds den Staaten keine Kredite gibt, sondern Transfers.

Und wer haftet dafür?

Die EU-Mitgliedstaaten haften dafür. Weil sich die EU verschulden würde. Alle EU-Länder könnten aus dem Fonds proportional zur Wirtschaftsleistung einen Transfer bekommen. Es wäre ein klares Signal an alle EU-Staaten, dass man zusammensteht.

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