Süddeutsche Zeitung

Pestizide:Zu giftig für Europa, gut genug für den Export

Konzerne liefern Tausende Tonnen Acker-Chemie in alle Welt - auch wenn sie in der EU verboten sind. Abnehmer sind oft Schwellen- und Entwicklungsländer, zeigt ein neuer Report.

Von Isabel Pfaff, Bern

"Not approved" - nicht zugelassen. Wer das Unkraut-Vernichtungsmittel Paraquat in der Pestizid-Datenbank der EU nachschlägt, stößt zu allererst auf diesen rot unterlegten Hinweis. Deutlicher geht es nicht. Das Herbizid Paraquat soll also auf europäischen Äckern und Feldern nicht zum Einsatz kommen, weil es die zuständigen EU-Institutionen als zu gesundheitsschädigend einstufen: Es greift Augen und Haut an, schädigt die Atemwege, Lungen und die Leber. Nimmt man die Substanz direkt ein, ist sie tödlich.

Nichtsdestotrotz dürfen Produzenten dieses Gifts dieses Mittel in der EU herstellen und in andere Länder exportieren - ganz legal. Eine neue Studie der Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye und der britischen Greenpeace-Rechercheeinheit Unearthed, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wird und die die SZ vorab einsehen konnte, kommt zu dem Ergebnis, dass allein im Jahr 2018 rund 28 000 Tonnen Paraquat-basierte Herbizide in Länder außerhalb der EU verkauft wurden. Damit ist Paraquat das meistverkaufte verbotene Pestizid der EU.

Syngenta ist der größte Exporteur, aber auch deutsche Firmen wie Alzchem, Bayer und BASF liefern

Hinter der Substanz, die zu den ältesten Pflanzenschutzmitteln der Welt gehört, steht der Basler Agrochemie-Riese Syngenta. Das Unternehmen, mittlerweile in chinesischem Besitz, produziert Paraquat im britischen Huddersfield und exportiert es von dort, weshalb der Konzern die entsprechenden EU-Regularien befolgen muss. Die lauten: Wer einen in Europa nicht erlaubten Stoff ins Ausland verkaufen will, muss das auf nationaler und europäischer Ebene ankündigen. Die Europäische Chemikalien-Agentur leitet diese Ankündigung weiter an das Empfängerland, das den Import genehmigen muss. Public Eye und Unearthed haben sich unter Berufung auf Informationsgesetze den Zugang zu Tausenden solcher Ausfuhrgenehmigungen erstritten und diese ausgewertet. Das Ergebnis: Neben dem hochgiftigen Paraquat fanden laut den Dokumenten noch weitere 40 in der EU verbotene Chemikalien den Weg aus Europa in andere Länder. Insgesamt genehmigten EU-Staaten demnach den Export von 81 615 Tonnen Pestiziden in mehr als 80 Zielländer - die Mehrheit davon Entwicklungs- und Schwellenländer, wo die Regularien schwächer sind und der Schutz von Arbeitern schwieriger durchzusetzen ist. Ein Beispiel: Die Hälfte der Paraquat-basierten Pestizide waren der Studie zufolge zwar für die USA bestimmt, der Rest jedoch sollte zu größten Teilen an Brasilien, Mexiko, Indien, Kolumbien, Indonesien, Ecuador und Südafrika verkauft werden.

Diese zweifelhafte Praxis europäischer Chemieunternehmen ist schon länger bekannt. Mehrere Studien konnten bereits belegen, dass Konzerne wie Syngenta oder die deutschen Unternehmen Bayer und BASF große Umsätze erzielen mit EU-weit verbotenen Stoffen und dafür Umwelt- und Gesundheitsrisiken in Drittländern in Kauf nehmen. Die vorliegende Studie versucht nun erstmals, diese Pestizid-Exporte für ein Jahr zu quantifizieren. Die ausgewerteten Ausfuhrgenehmigungen geben dabei nicht unbedingt das wirklich exportierte Volumen wieder; den Autoren zufolge kommen sie den tatsächlichen Mengen aber nahe.

Neben Syngenta als mit Abstand bedeutendstem Exporteur von in der EU (und auch in der Schweiz) verbotenen Chemikalien tauchen in der Studie auch deutsche Unternehmen auf, mit einem Exportvolumen von zusammengerechnet mehr als 10 000 Tonnen: das bayerische Unternehmen Alzchem etwa, aber auch die großen Konzerne Bayer und BASF. Konfrontiert mit den Vorwürfen argumentiert die Branche in der Regel, dass ihre Produkte bei richtiger Anwendung kaum Risiken bergen würden. Syngenta etwa schreibt zu Paraquat auf seiner Website: "Paraquat ist ein sicheres und effektives Herbizid, wenn es wie auf dem Etikett angegeben angewendet wird." Zu der jüngsten Studie ergänzt ein Sprecher auf Anfrage der SZ: "Um unserer unternehmerischen Verantwortung nachzukommen, tragen wir mit umfangreichen Hilfsprogrammen dazu bei, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz in der Landwirtschaft zu verbessern." Syngenta habe zwischen 2013 und 2019 42 Millionen Landwirte in Fragen der Arbeitssicherheit geschult. Und: Grundsätzlich halte man sich selbstverständlich in allen Märkten an die dort geltenden Bestimmungen und Regeln.

Die Macher der Studie verlangen von den Mitgliedstaaten der EU, ihre Doppelmoral im Hinblick auf die gefährlichen Pestizide zu beenden. Bislang hat einzig Frankreich beschlossen, den Export von in der EU verbotenen Chemikalien ab 2022 zu verbieten. Christiane Huxdorff, Agrarexpertin bei Greenpeace, fordert das auch von anderen EU-Mitgliedern, insbesondere Deutschland. "Es ist jetzt Zeit für die deutsche Regierung, dem französischen Beispiel zu folgen."

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SZ vom 10.09.2020
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