Landwirtschaft:Özdemir will Pestizid-Einsatz halbieren

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Seit gut 30 Jahren bleibt die Menge der in Deutschland eingesetzten Pestizide gleich. (Foto: Patrick Pleul/picture alliance / dpa)

Nach monatelanger Vorarbeit legt der Landwirtschaftsminister ein Programm vor, das den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln senken soll. Es enthält viele Ideen und Ziele – aber keine konkreten Wege.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Der Name ist schon mal groß, und die Ziele sind auch nicht gerade klein. „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ heißt das neueste Papier aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Es soll perspektivisch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln halbieren. Jedenfalls steht es so – nach monatelanger Konsultation – in dem zwölfseitigen Zukunftsprogramm, das Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) am Mittwoch in Berlin vorgestellt hat. Doch wo Programm draufsteht, ist vor allem Prosa drin.

Ziel sei es, Betriebe „auf dem Weg zu einem gezielteren und biodiversitäts-schonenden Pflanzenschutz“ zu unterstützen, heißt es in dem Papier. „Wir wollen den Weg für alternative Verfahren und neuartige Ansätze ebnen.“ Auf feste Vorgaben und konkrete Wege zum Ziel aber verzichtet das Programm: Maxime des Ministeriums sei es, „kooperativen Lösungen vor Ort den Vorzug zu geben“. Daneben hofft Özdemir auf Forschung und Innovation. Es handele sich um „einen Kompromiss, der einen Beitrag leistet, Natur und Artenvielfalt zu schützen“, sagt er. „Um ein Programm mit Maß und Mitte“.

Das Ministerium hatte im März ein Beteiligungsverfahren gestartet und Verbänden rund um Landwirtschaft und Umwelt einen ersten Entwurf präsentiert. Ausgangspunkt waren schon damals die Ziele der europäischen „Farm-to-fork-Strategie“: Danach sollen Menge und Risiken chemischer Pestizide bis 2030 halbiert werden. Dieses Ziel ist allerdings nicht verbindlich. Doch während Umweltverbänden schon der erste Vorstoß des Ministeriums nicht weit genug ging, beklagte sich der Bauernverband über zu viele Einschränkungen. Das Programm biete „keine Lösungen für die Herausforderungen, vor denen wir im Ackerbau stehen“, kritisierte Bauernpräsident Joachim Rukwied, als er jüngst die Erntezahlen des Verbands vorlegte. Da gab es das Papier noch gar nicht.

Jährlich werden in Deutschland um die 30 000 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe abgesetzt

Die Fortschritte bei der Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln sind, gelinde gesagt, bescheiden. Seit gut 30 Jahren werden hierzulande jährlich um die 30 000 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe abgesetzt, mal etwas mehr, mal etwas weniger. 2022 waren es nach Zahlen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 32 138 Tonnen. Seinerzeit lag der Einsatz von Insektiziden exakt beim Wert von 1994, allen Diskussionen über ein Insektensterben zum Trotz. Der Einsatz von Fungiziden im Kampf gegen Pilzbefall war in diesem Zeitraum um 50 Prozent gestiegen, der von Unkrautvernichtern um 14 Prozent. Von einer Reduktion fehlt jede Spur – und das, obwohl auch die Industrie seit Langem damit wirbt, dass sich mit moderner Technik und „Präzisions-Landwirtschaft“ die Chemikalien gezielter einsetzen und so reduzieren ließen.

Und auch Özdemir setzt nun auf „moderne Technik“, um zusammen mit „pflanzenschutzmittelarmen Anbaumethoden“ die Menge an Agrar-Chemie zu senken. Gleichzeitig soll es mehr Anreize geben, Flächen naturnah zu bewirtschaften. Auch die Forschung, etwa an resistenten Pflanzen und anderen Möglichkeiten, will Özdemir stärken; es fehlen stellenweise nur noch die nötigen Finanzmittel. Allerdings ist das Programm auch voll von „prüfen“, „ausloten“ und „erproben“. Förderungen werden in Aussicht gestellt, aber nicht näher konkretisiert. Die einzige vorgesehene Verordnung bezieht sich auf Nützlinge, die jetzt öfter Schädlingen zu Leibe rücken sollen.

Anbauverbände sind enttäuscht. Von einer „Farce“ etwa spricht Bioland. Schon der erste Entwurf sei dünn gewesen, sagt Bioland-Cheflobbyist Gerald Wehde. „Die überarbeitete und jetzt vorgestellte Fassung frustriert nun aber gänzlich.“ Das freilich sieht Özdemir ganz anders. Trotz aller Zugeständnisse werde jetzt „was passieren“, sagt der Minister: „Da schließe ich jede Wette ab, da kann man schon die Uhr danach richten.“ Was genau passiert, ließ er offen.

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