Süddeutsche Zeitung

Personalengpässe:Fast 10 000 ausgefallene Regionalzüge im Frühjahr

Bei der Deutschen Bahn warten Fahrgäste immer öfter vergeblich auf den Zug. Seit Mitte 2020 sind mehr als 45 000 Fahrten wegen "personeller Engpässe" ausgefallen.

Von Stefan Braun und Klaus Ott

"Der Zug fällt aus. Grund dafür ist eine kurzfristige Erkrankung des Personals. Wir bitten um Entschuldigung." Böse Überraschungen dieser Art kommen an den Haltestellen der Deutschen Bahn (DB) in diesen Tagen und Wochen immer öfter vor. Eine aktuelle Statistik zeigt: In den vergangenen beiden Jahren sind bei dem Staatsunternehmen noch nie so viele Regionalzüge wegen Personalmangels ausgefallen wie in diesem Frühjahr.

9725 Fahrten, die nicht stattfanden, hat jetzt das Bundesverkehrsministerium auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken für das zweite Quartal 2022 gemeldet, also für die Monate April, Mai und Juni. Das sind doppelt so viele Ausfälle wie vor einem Jahr, im Frühling 2021. Staatssekretär Michael Theurer (FDP), Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, nennt als Grund "personelle Engpässe". Das seien unter anderem kurzfristige Krankmeldungen und "Dispositionsentscheidungen" (gemeint sind interne Einsatzweisungen).

Theurers Statistik zufolge hat sich die Zahl der Zugausfälle gegenüber dem Sommerquartal 2020 fast verdreifacht, damals fanden 3136 Fahrten nicht statt. Seitdem sind mal mehr, mal weniger Regionalzüge ausgefallen - aber eben noch nie so viele wie in diesem Frühjahr. Die Statistik des Bundesverkehrsministeriums beruht auf Angaben der Deutschen Bahn zu deren Nahverkehrstochter DB Regio. Demnach sind von Mitte 2020 bis Mitte 2022 insgesamt 45 431 Regionalzüge wegen personellen Engpässen ausgefallen.

Inwieweit das Thema Corona hier eine Rolle spielt, geht aus Theurers Antwort an die Linken nicht hervor. Auf Anfrage der SZ verwies das Verkehrsministerium auf die Deutsche Bahn. Eine Bahn-Sprecherin erklärte der SZ: "Wie überall in Deutschland ist auch die DB wieder von steigenden Corona-Fällen betroffen, was sich kurzfristig regional auswirken kann." Allerdings habe die Bahn in den letzten Jahren stets auf Rekordniveau eingestellt, rund 20 000 Personen pro Jahr. "In diesem Jahr wird die DB mit rund 24 000 Jobzusagen sogar 15 Prozent mehr einstellen als geplant", so die Sprecherin. Insgesamt würden in diesem Jahr neben dem Ausgleich an Abgängen zusätzlich rund 4500 Stellen neu aufgebaut.

Damit bestätigt sich, was sich schon bei der S-Bahn in Hannover und anderen öffentlichen Betrieben abgezeichnet hat: Demnach fallen in diesen Wochen und Monaten zahlreiche Beschäftigte aus, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Der Linken- Abgeordnete Bernd Riexinger, Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestags, sieht vor allem andere Gründe. "Diese Entwicklung verwundert uns nicht, da die Deutsche Bahn an Zehntausende Beschäftige nur den künftigen Mindestlohn von zwölf Euro ausbezahlt." Die Bahn sei mit dieser Personalpolitik kein attraktiver Arbeitgeber.

Riexinger: "Wir fordern, dass die Beschäftigten der Deutschen Bahn grundlegend höher tariflich eingestuft werden und damit besser als der gesetzliche Mindestlohn bezahlt werden. Zusätzlich braucht es eine Offensive für zusätzliches Personal und damit verbunden bessere Arbeitsbedingungen." Diese Erklärung dürfte aber angesichts der weiten Verbreitung des Coronavirus zu kurz gegriffen sein.

Die Zahl der ausgefallenen Regionalzüge dürfte insgesamt noch deutlich höher liegen. Zum einen deshalb, weil die Statistik des Verkehrsministeriums sich nur auf die DB Regio bezieht, inzwischen aber in vielen Bundesländern auch private Bahngesellschaften auf den Schienen des Staatsunternehmens DB unterwegs sind. Zum anderen häufen sich derzeit auch Zugausfälle wegen des teilweise schlechten Zustands des Schienennetzes. Diese Ausfälle sind in der Statistik des Verkehrsministeriums nicht erfasst.

Dieser Statistik zufolge sind in diesem Frühjahr 0,3 Prozent der Regionalzüge der Deutschen Bahn wegen Personalengpässen ausgefallen. 0,3 Prozent, das hört sich nach wenig an - aber es waren eben insgesamt 9725 Verbindungen in 91 Tagen. Also mehr als 100 Regionalzüge am Tag.

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