Süddeutsche Zeitung

Fusionierungen:China macht seine Konzerne fit

  • China hat damit begonnen, seine großen Staatsbetriebe zusammenzulegen. Das soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen - und könnte Konkurrenten wie Siemens und Bombardier ernsthaft Probleme bereiten.
  • Viele dieser Konzerne waren ursprünglich unter einem gemeinsam Dach - wurden dann aber vor ein paar Jahren zerschlagen.
  • Der Plan, auf dieser Weise ihre Innovationskraft zu erhöhen, ging aber offenbar nicht auf.

Analyse von Marcel Grzanna, Shanghai

Über Hunderte Meter ziehen sich die Montagehallen von China Northern Rail (CNR) in Tangshan in die Länge. Supertanker für die Weltmeere könnte man dort zusammenschweißen. Aber auch staatliche Eisenbahnhersteller benötigen viel Platz, seit die Volksrepublik den Pfad in Richtung Hochgeschwindigkeitswachstum eingeschlagen hat. Personenzüge, U-Bahnen, Güterwaggons - Northern Rail und ihr südchinesisches Schwesterunternehmen CSR liefern aus, was die moderne Infrastruktur einer wichtigen Volkswirtschaft benötigt.

Eine schier unersättliche Nachfrage füllt seit Jahren die Auftragsbücher der beiden Staatsbetriebe. 18 000 Kilometer Hochgeschwindigkeitstrassen, Dutzende neue U-Bahnlinien und der Transport von Millionen Tonnen fossiler Brennstoffe per Schienenverkehr in alle Winkel der Volksrepublik kurbeln die Geschäfte an. Der gemeinsame Jahresumsatz von CNR und CSR klettert auf rund 30 Milliarden Euro. Die Weltmarktführer Siemens, Bombardier und Alstom bringen es mit ihrem globalen Bahngeschäft zusammen auf weniger als 20 Milliarden.

Die Chinesen sind jetzt schon Giganten der Branche. Doch Peking will sie nun verschmelzen zu einem einzigen gewaltigen Industriekoloss, der die internationalen Mitbewerber das Fürchten lehren soll. Die Konjunktur daheim verliert an Fahrt. Die Industrie muss in Zukunft mehr Geld im Ausland verdienen, um die Einbrüche aufzufangen. Kurzfristig scheint das machbar zu sein. Statt sich gegenseitig auf dem Weltmarkt zu unterbieten, müssen die Chinesen nur noch billiger sein als der günstigste Konkurrent aus dem Ausland.

Bei den potenziellen Kunden scheinen die Signale anzukommen. Die Einkäufer der Deutschen Bahn haben sich bereits umgesehen, es gibt erste Aufträge für Teile-Zulieferungen. Bei der Bahn schließt man auch nicht aus, eines Tages sogar ganze Züge aus China zu beziehen.

Experten sind skeptisch. "Chinas Staatsunternehmen sind nicht innovativ. Ihre Strategie ist es, Wachstum auf Niedrigpreis-Exporte zu stützen, die technisch hinterherhinken. Das hat keine Zukunft", sagt Professor Hu Xingdou vom Technischen Institut Peking. Eine Fusion sei keine Lösung. Das Problem sei vor allem struktureller Natur, glaubt Hu. Hochrangige Genossen werden innerhalb des Regimes von Posten zu Posten manövriert. Besondere Qualifikationen für eine Aufgabe sind selten notwendig. Deswegen kommt es regelmäßig vor, dass aus Bürgermeistern oder Parteisekretären Vorstandschefs werden und umgekehrt. Die Karriereleiter klettert hoch, wer Wohlstand generiert. Höhere Profite zählen mehr als intensive Forschung. "Diese Organisationskultur macht sich natürlich auch bei den Mitarbeitern der Entwicklungsabteilungen bemerkbar, indem es ihre Motivation verringert, wirklich Neues zu kreieren", klagt Professor Hu.

Die Monopolstellung im eigenen Land hat viele Staatsbetriebe groß gemacht. Globale Champions, wie sie die Regierung aufbauen will, werden daraus nur, wenn sie die Weltmarktführer auf neutralem Boden auch mit ihrer Technologie ausstechen. Seit Jahren sucht die Regierung nach der richtigen Strategie, um die Rückstände aufzuholen. Es sieht jedoch so aus, als tappe sie bei der Suche im Dunkeln.

Die Fusion von CNR und CSR bedeutet nämlich nichts anderes als die Rückkehr zu alten Strukturen. Vor 15 Jahren bildeten die Firmen schon einmal ein einziges Unternehmen. Sie wurden damals zerschlagen, um ihre Trägheit durch nationalen Wettbewerb zu beseitigen und ihre Innovationskraft zu erhöhen. Jetzt geht es wieder in die andere Richtung. Und das nicht nur bei den Eisenbahnern.

Die Mobilfunkbetreiber China Telecom und China Unicom könnten demnächst wiedervereint werden. Gleiches gilt für die Ölkonzerne Sinopec und Petrochina oder die Schiffsbauer China State Shipbuilding und China Shipbuilding Industry. Alle versuchten es in der Vergangenheit schon einmal gemeinsam, allerdings mit überschaubarem Erfolg, was die Entwicklung ihrer Innovationskraft angeht.

"Die Reihenfolge der Ereignisse hat schon eine gewisse Ironie. Das Problem ist nur, dass eins plus eins nicht zwangsläufig die Wettbewerbsfähigkeit erhöht", sagt He Jun von der Pekinger Industrieberatung Anbound. Dass die Rechnung nicht aufgehen könnte, zeigt das Beispiel Flugzeugbau. Der Hersteller Avic wurde einst zerschlagen, dann im Jahr 2008 wieder zusammengeführt und die Sparte Passagierflugzeuge unter dem Namen Comac in eine neue Gesellschaft übertragen. Jetzt aber halten Analysten eine abermalige Verschmelzung von Avic und Comac für denkbar. Auch hier sind Kostenersparnisse und kurzfristig höhere Effizienz die treibenden Faktoren.

Mitarbeitern der Unternehmen bleibt bei dem ständigen Umbau kaum Zeit, sich an neue Strukturen zu gewöhnen, geschweige denn, sie zu verbessern. Statt sich voll auf ihren Job konzentrieren zu können, geht viel Energie verloren, den eigenen Status zu sichern.

Dennoch scheint die Regierung fest entschlossen, die gesamte chinesische Industrie umzukrempeln. Die Zahl der 112 zentralstaatlichen Mutterkonzerne, die insgesamt 227 Gesellschaften an der Börse notiert haben, soll auf rund 40 sinken, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Betroffen davon wären nahezu alle Sektoren. Die Kernkraft-Konzerne CPI und SNPTC sprechen bereits offiziell über eine Fusion zu einem 100-Milliarden-Dollar-Unternehmen. Gerüchte kursierten zuletzt sogar über die Autohersteller FAW und Dongfeng, wobei Kenner der chinesischen Autobranche die Sinnhaftigkeit einer solchen Hochzeit vermissen.

"Es ist ein sehr chinesische Methode, eine Firma groß und stark zu machen, indem man Vermögen und Anlagen zusammenführt", sagt Hu vom Technischen Institut. Eine Methode indes, die für Kollateralschäden sorgen könnte. In China, mutmaßen Experten, werden zuallererst die Konsumenten unter den dann konkurrenzlosen Konzernen leiden, weil die ihre Preise hochschrauben können, ohne erhebliche Umsatzeinbrüche befürchten zu müssen. Der Schaden durch sinkende Nachfrage kann von den Monopolisten mit erhöhten Preise begrenzt werden.

Der Preis für übermächtige Staatsfirmen könnte jedoch noch viel höher werden, glaubt Berater He von Anbound. "Je stärker die Unternehmen, desto langsamer geht die Transformation und Modernisierung der chinesischen Wirtschaft voran." Mit wachsender Marktdominanz der Kolosse würde es kleinen Privatunternehmen schwerer fallen, sich zu behaupten. "Die werden regelrecht ausgequetscht", sagt He. Für die Zukunft der zweitgrößten Volkswirtschaft wären das schlechte Bedingungen, um die Innovationskraft des Landes zu erhöhen. Denn vor allem die Privaten gelten als treibende Kraft bei der Entwicklung chinesischer Hochtechnologie. Versuche, ihnen einen festen Platz im Wettbewerb mit den Staatsbetrieben zu verschaffen, sind bislang gescheitert.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2015/pwe
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