Süddeutsche Zeitung

Peking:Chinas Wirtschaftspläne machen Europa Angst

  • Bei seinem Besuch in Peking soll sich Gabriel darüber beschwert haben, dass es in China zu viele Hürden für deutsche Investoren gebe.
  • China ist laut OECD das restriktivste Industrieland: Ausländischen Firmen ist es zum Beispiel untersagt, Medienunternehmen, Telekommunikationskonzerne oder Banken zu übernehmen.
  • China kritisiert wachsenden "Protektionismus" in Deutschland.

Von Michael Bauchmüller und Christoph Giesen, Peking

Den Künstler Zeng Fanzhi hat Sigmar Gabriel irgendwann einmal in Berlin kennengelernt. Jetzt steht der deutsche Wirtschaftsminister inmitten von Zengs Ausstellung in Peking - und muss sich erst einmal erklären. Das Gespräch mit dem Handelsminister soll nicht zustande gekommen sein? "Wie kommen Sie denn auf die Idee?", fragt Gabriel zurück. "Ganz normal" sei das Gespräch verlaufen. Wenn man von Normalität sprechen kann, in diesen besonderen Tagen der deutsch-chinesischen Beziehungen.

Die Kunst und der weltberühmte Künstler müssen nun warten, denn die Verwirrung ist groß. Am Montag, dem Tag vor der Abreise, hatte sich das chinesische Außenministerium den deutschen Gesandten in Peking vorgeknöpft. Es gibt Unmut über Berlin, schließlich wollen chinesische Investoren im großen Stil in deutsche Unternehmen einsteigen, stoßen aber auf Vorbehalte bis hinauf in die Bundesregierung.

Dann legte die staatliche Global Times nach und warnte: Gabriel solle darauf achten, nicht die deutsch-chinesischen Beziehungen zum Entgleisen zu bringen. "Wir hoffen, Gabriel wird sein Verständnis von China durch diesen Besuch verbessern", hieß es süffisant im Kommentar.

Am Dienstag nun ist Gabriel zu Besuch in Peking, unter anderem soll er mit Handelsminister Gao Hucheng eine Konferenz eröffnen. Doch als die beiden schon eine halbe Stunde über der Zeit sind, werden ihre Namensschilder kleinlaut abgeräumt. Heute keine Ansprache mehr von den beiden. Das Gespräch mit dem Handelsminister, so wird es später heißen, sei einfach so anregend gewesen, dass für die Konferenz die Zeit fehlte.

Die OECD stuft China als das restriktivste Industrieland ein

Glaubt man Teilnehmern der Unterredung, dann hat vor allem der Klartext Zeit beansprucht. Gabriel habe sich darüber beschwert, dass China künstlich die Preise für Stahl drücke, sehr zum Leidwesen auch deutscher Hütten. Auch gebe es zu viele Hürden für deutsche Investoren in China. Ausländischen Firmen ist es etwa untersagt, Medienunternehmen, Telekommunikationskonzerne oder Banken zu übernehmen.

Die OECD stuft deshalb China als das restriktivste Industrieland ein: Platz 59 von 59 Staaten. Auch bei öffentlichen Aufträgen schauten deutsche Firmen zuletzt oft in die Röhre. Die deutsche Botschaft in Peking kam mit der Bearbeitung der Beschwerden deutscher Unternehmen in China kaum noch hinterher.

"Die chinesische Botschaft in Berlin wäre sehr beschäftigt, wenn das Auswärtige Amt wegen jeder Behinderung einer deutschen Firma in China gleich den Gesandten einbestellte", sagt deshalb Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking.

Doch Minister Gao, sonst ein Freund der ruhigen Töne, hält im Gespräch mit Gabriel dagegen. In Deutschland beobachte er einen wachsenden "Protektionismus". Sein Argument: Kurz vor der Abreise hatte Gabriels Ministerium eine zuvor erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Übernahme des Chip-Anlagenbauers Aixtron kassiert und eine verschärfte Prüfung für den Verkauf der ehemaligen Osram-Glühbirnen-Sparte eingeleitet. Investoren aus der Volksrepublik, so Minister Guo, seien dort offenbar nicht willkommen. Auch bei Chinas Premier Li Keqiang bekommt Gabriel das zu hören.

Dabei läuft der Großeinkauf längst: Allein im ersten Halbjahr gaben Firmen aus China in der EU 72 Milliarden Euro aus. Doch während sonst Staaten um derlei Investitionen wetteifern, grassiert nun die Angst: Chinesische Firmen könnten sich so eine technologische Spitzenposition erkaufen - die andere dadurch verlieren.

Chinas Firmen-Shopping hat Methode. Der Plan dahinter nennt sich "Made in China 2025, im vorigen Jahr stellte die Führung in Peking die Strategie vor. Die Wirtschaft der Volksrepublik soll innovativer und grüner werden. Detailliert gibt der Plan vor, in welchen Branchen chinesische Hersteller welche Marktanteile erzielen sollen. Ob in der Medizintechnik, im Halbleiterbau oder bei Elektroautos - überall sollen Chinas Firmen in nur wenigen Jahren an der Weltspitze liegen. Die einzige Chance: Zukäufe. Im Fokus: Technologienationen wie die USA, Japan oder Deutschland.

In Japan hat es bisher noch keine nennenswerten Deals gegeben. Der Markt ist stark abgeschottet. Offener sind da schon die USA, allerdings greifen auch dort die Behörden regelmäßig ein. In Deutschland aber haben die Zukäufe massiv zugenommen: 2000 Prozent Steigerung im Vergleich zum Vorjahr.

Made in China 2025 macht den Europäern auch deshalb Angst, weil sie wenig entgegenzusetzen haben. "Das ist zumindest mal eine klare industriepolitische Idee", sagt Gabriel. "Die Frage ist nur: Haben wir auch eine?" So aber bleibt den Europäern nur Plan B: Notfalls müssen sie sich vor der Konkurrenz aus China schützen, etwa durch harte Anti-Dumping-Regeln.

"Es ist besser, den Konflikt jetzt auszutragen als in ein paar Jahren"

Hier geht es ums Prinzip. Anfang Dezember soll China den lang ersehnten Status einer "Marktwirtschaft" erhalten, pünktlich und wie vereinbart 15 Jahre nach dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation WTO. Damit würde es deutlich schwieriger, etwa gegen staatliches Dumping vorzugehen - gegen eine Nicht-Marktwirtschaft erlauben die Regeln der WTO zum Beispiel Anti-Dumping-Zölle eher als gegen eine Marktwirtschaft.

Fieberhaft arbeitet deshalb auch die Bundesregierung darauf hin, die Anti-Dumping-Regeln der Europäischen Union rechtzeitig vorher zu verschärfen. Wäre das Bild nicht so schief, müsste man sagen: Für Peking ist das ein rotes Tuch. Hinter all dem Zwist um Firmenübernahmen, hinter angeblichen Einbestellungen von Diplomaten und öffentlichem Unmut dürfte vor allem der Streit über diesen Status stecken: Wie viel Marktwirtschaft steckt tatsächlich in China?

"Ich nehme an, dass die Verstimmung erst einmal bleiben wird", glaubt Kammerpräsident Wuttke. "Das muss man aushalten. Es ist allerdings besser, den Konflikt jetzt auszutragen als in ein paar Jahren, wenn bereits Milliarden geflossen sind." So ähnlich sieht das auch Gabriel. Harmonisch sei es zwar nicht zugegangen. "Gute Partnerschaft erweist sich gerade dann, wenn man auch in schwierigen Themen miteinander klarkommt."

Im Laufe des Tages dann verkündet Pekings amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, es habe "keine Einbestellung" des Gesandten gegeben. In der deutschen Delegation wertet man das als Zeichen guten Willens.

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SZ vom 02.11.2016/dit
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