Süddeutsche Zeitung

Peer Steinbrück im Interview:"Ich soll hier den Doofmann spielen"

Finanzminister Peer Steinbrück über Wahrheit im Wahlkampf und gigantische Haushaltslöcher.

N. Fried, S. Höll, C. Hulverscheidt

Bei der Bundestagswahl am kommenden Sonntag sind sie Gegner, zuvor aber wird Finanzminister Peer Steinbrück, 62, am Donnerstag gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel zum dritten Weltfinanzgipfel der G 20 nach Pittsburgh reisen. Für den Sozialdemokraten Steinbrück kein Problem, schließlich hat er mehrfach deutlich gemacht, dass er die CDU-Chefin persönlich schätzt und auch die große Koalition gerne fortsetzen würde. Doch egal, ob es dazu kommt oder nicht: Auf den Finanzminister - ob er nun Steinbrück heißt oder nicht - kommen wegen der riesigen Haushaltslöcher gewaltige Aufgaben zu.

SZ: Herr Steinbrück, seit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers vor einem Jahr diskutieren die G-20-Staaten über eine Abkehr vom Kasino-Kapitalismus. Geschehen ist bisher wenig. Wird hier eine historische Chance vertan?

Steinbrück: Einspruch. Wir haben eine Vielzahl von Reformen auf den Weg gebracht, darunter viele, die zuvor undenkbar schienen. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel.

SZ: Auf den Weg gebracht ja - in Kraft gesetzt aber nicht. Wie viel Zeit bleibt noch, bevor der Reformeifer endgültig erlahmt?

Steinbrück: Es stimmt, dass der Druck der Lobbygruppen, doch alles beim Alten zu lassen, steigt. Dennoch: Unser Reformeifer erlahmt nicht. Lesen Sie zum Beispiel nach, was US-Präsident Obama diese Woche zu dem Thema gesagt hat. Das war bemerkenswert. Ich habe noch von keinem US-Präsidenten eine so klare Rede gehört, die erkennbar nicht auf den Beifall der Wall Street aus war.

SZ: Wirklich beeindrucken aber lassen sich die Finanzmärkte davon nicht. Eine Börsianerin sagte im amerikanischen Fernsehen auf die Frage, wie denn die Wall Street auf Obamas Rede reagiere: "Mit einem kollektiven Gähnen!" Das sagt wohl alles.

Steinbrück: Die werden sich noch umgucken, denn es wird kein Zurück zu den alten Zeiten geben. Im Gegenteil: Die Eigenkapitalvorschriften für Banken werden nach dem Ende der Krise verschärft. Garantiert! Und dabei wird es nicht bleiben. Natürlich geht nicht alles so schnell, wie wir das gerne hätten. Das gilt auch für den Vorschlag der SPD, eine internationale Finanzmarktsteuer einzuführen. Aber immerhin wird unsere Antwort auf die Frage, wer eigentlich die Zeche zahlt, auch international aufgegriffen. Dieser Prozess erinnert mich daran, wie ich im Zuge der deutschen G-7-Präsidentschaft vor zwei Jahren hochspekulative Hedge Fonds enger an die Kandarre nehmen wollte und zunächst nur joviales Schulterklopfen dafür bekam, und heute ...

SZ: ... ist immer noch nichts passiert.

Steinbrück: Das stimmt nicht. Es gibt mittlerweile eine Registrierungspflicht für solche Fonds. Und was lese ich heute in der Zeitung? Frankreichs Außenminister Kouchner nähert sich einer Finanzmarktsteuer, die Österreicher denken offenbar ebenso, den EU-Kommissionspräsidenten Barroso darf man in diese Richtung interpretieren, und selbst in Großbritannien hat sich der Chef der Aufsichtsbehörde dazu geäußert.

SZ: Sie müssen beim G-20-Gipfel Mitte der Woche in Pittsburgh aber nicht einen oder zwei, sondern alle Partner von der Idee überzeugen. Das ist utopisch.

Steinbrück: In Pittsburgh werden wir das kaum durchsetzen können. Da will ich keine falschen Erwartungen wecken. Wir werden aber über die Frage diskutieren, wie wir verhindern können, dass am Ende die Bürgerinnen und Bürger die Zeche der Finanz- und Wirtschaftskrise zahlen. Mit der internationalen Finanzmarktsteuer könnten diejenigen, die die Krise verursacht haben, an den Kosten beteiligt werden. Bis es so weit ist, könnten wir in Deutschland eine kleine Lösung, die von der SPD vorgeschlagene Börsensteuer, umsetzen - wenn die Union ihren Widerstand dagegen aufgibt.

SZ: Dreht sich die Reformdebatte nicht zu sehr um Symbolthemen wie die Finanzmarktsteuer und die Managergehälter? Es mag ja richtig sein, Bonuszahlungen zu deckeln. Die nächste Krise verhindern Sie damit aber nicht.

Steinbrück: Das stimmt, Krisen können sie damit nicht verhindern, aber das gefährliche kurzfristige Renditedenken eindämmen. Viele Bürger haben in dieser Frage einen dicken Hals - und zwar völlig zu Recht: Wer für ein paar Monate Arbeit zehn Millionen Euro Abfindung kassiert, der muss wissen, was er damit im öffentlichen Bewusstsein anrichtet. Und wenn es dann daran geht, die daraus folgenden Risse in der Gesellschaft zu kitten, dann soll es die Politik richten. Diese Rollenverteilung mache ich nicht mit, das nehme ich diesen Menschen wirklich übel. Das ist ein eklatantes Versagen einer ganzen Elite.

SZ: Ihr niederländischer Kollege plädiert dafür, dass Boni nicht mehr höher ausfallen dürfen als das Festgehalt. Unterstützen Sie diese radikale Idee?

Steinbrück: Ganz klar: ja! Es bleibt aber dem G-20-Gipfel vorbehalten, sich auf ein Verhältnis zwischen festen und variablen Vergütungsteilen zu einigen.

SZ: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie feststellen, dass die deutschen Banken ihre Reformbemühungen einfach ignorieren. Beispiel Bad Bank: Mit Ausnahme der WestLB hat kein einziges Institut Ihr Konzept für die Auslagerung toxischer Papiere angenommen. Wann reißt Ihnen der Geduldsfaden und Sie zwingen die Geldhäuser zur Bilanzbereinigung?

Steinbrück: Es wird keinen Zwang geben. Entweder die Banken lassen sich helfen, oder sie lassen es bleiben. Im Übrigen werden Sie sehen, dass sich die eine oder andere Landesbank noch melden wird - nach der Bundestagswahl.

SZ: Sie meinen die HSH Nordbank und die BayernLB?

Steinbrück: Manche liegen im Norden, manche im Süden ...

SZ: Sie sprachen vom Problem, wer die Zeche zahlt. Beantworten denn die hiesigen Parteien diese Frage ehrlich?

Steinbrück: Alle bestimmt nicht. Aber ich glaube, die SPD spricht noch am lautesten darüber.

SZ: Die SPD will den Spitzensteuersatz erhöhen und eine Börsenumsatzsteuer einführen, die Einnahmen sollen in die Bildung und die Senkung des Eingangssteuersatzes fließen. Damit bleibt kein einziger Cent übrig, um die gigantischen Löcher im Haushalt und in den Sozialkassen zu stopfen.

Steinbrück: Wenn wir über die Konsolidierung der Haushalte reden, reden wir über künftige Wachstumsraten und die Frage, welche Maßnahmen auf der staatlichen Einnahmen- und Ausgabenseite nötig sind - schon um die neue Schuldengrenze im Grundgesetz einzuhalten. Sicher ist, dass weitergehende Steuersenkungen wie sie CDU, CSU und FDP versprechen, an den Realitäten scheitern.

SZ: Etwas deutlicher bitte: Wo genau muss "auf der Einnahmen- und der Ausgabenseite" umgeschichtet werden?

Steinbrück: Nun stellt sich mir die Frage, ob ich Ihnen sechs Tage vor der Bundestagswahl Stichworte gebe, die dann für jede Menge Schlagzeilen sorgen.

SZ: Wir fragen den Minister der klaren Antworten. Die Koalitionsoptionen der SPD haben Sie doch jüngst auch offen und ehrlich beschrieben.

Steinbrück: Die Rolle, die Sie mir in diesem Stück zuschreiben wollen, nehme ich nicht an. Ich soll den Igel spielen, der zwischen zwei Hasen hin- und herläuft. Union und FDP reden von Steuersenkungen und streuen den Leuten damit Goldstaub in die Augen, und ich soll als Doofmann in der Mitte sagen, welche Zumutungen der nächste Haushalt mit sich bringt? Nein danke!

SZ: Die Kanzlerin sagt nichts, der Kanzlerkandidat nicht, der Finanzminister nicht. Eines der wichtigsten Themen wird im Wahlkampf totgeschwiegen. Sieht so im Jahr 2009 Demokratie aus?

Steinbrück: Nein. Die Lage ist doch schwierig. Die politische Konkurrenz säuselt noch im Wolkenkuckucksheim. Die FDP verspricht den Leuten jährliche Entlastungen von 80 bis 90 Milliarden Euro. Sie verspricht allein bei der Lohn- und Einkommensteuer einschließlich der Kinderfreibeträge allen Ernstes eine Halbierung des Aufkommens. Wahnsinn! Ich sag nur eines: Es wird mit der SPD bei der Mehrwertsteuer keine Erhöhung des Regelsatzes von 19 Prozent geben. Die Leute erinnern sich noch an 2005 und sind nach wie vor stinksauer.

SZ: Wann kann man denn von Ihnen mit ehrlichen Antworten rechnen?

Steinbrück: Mit der Neuaufstellung des Haushalts 2010 wird alsbald begonnen. Dann sehen wir alle klarer.

SZ: Wir fassen also zusammen: Bis zum Sonntag werden die Wähler von der gesamten politischen Klasse veralbert. Warum sagen Sie nicht klipp und klar, dass es ohne Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen nicht gehen wird.

Steinbrück: Die SPD veralbert die Wähler nicht mit großen Steuerversprechen. Die würden riesige Lücken in die Haushalte von Bund und Ländern reißen. Wir haben uns mit Versprechungen zurückgehalten und Gegenfinanzierungsmaßnahmen benannt. Die politische Konkurrenz spielt dagegen Jahrmarkt im Himmel. Geben Sie es bitte auf. Sie wollen, dass ich mich völlig entkleide, während die politische Konkurrenz auf der Galerie im Pelzmantel sitzt. Den Anblick erspare ich Ihnen.

SZ: Sie zeigen immer nur mit dem Finger auf andere. Mag ja sein, dass die Steuersenker von der FDP noch schlimmer sind, wir wollen aber von Ihnen wissen, wie Ihre Partei, die SPD, die Lücke im Haushalt schließen und den riesigen Schuldenberg abbauen will.

Steinbrück: Wir haben in den Jahren 2005 bis 2008 gezeigt, dass man mit einigermaßen guten Wachstumsraten das staatliche Defizit abbauen und zugleich mehr Geld für Kinderbetreuung, Forschung, Klimaschutz und Verkehr ausgeben kann. Die SPD will das Wachstum steigern mit mehr und besserer Bildung - die Finanzierung dafür steht mit dem Bildungssoli - und der Umsetzung von Steinmeiers Deutschland-Plan. Union und FDP haben dagegen keinen realistischen Plan für mehr Wirtschaftswachstum, sie setzen einseitig auf Steuersenkungen, die sich angeblich selbst finanzieren. Dafür gibt es aber weltweit keinen empirischen Beleg.

SZ: Wird es vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2010 überhaupt Einschnitte geben können, oder werden CDU und SPD in Düsseldorf dies zu verhindern wissen?

Steinbrück: Davor wird es garantiert Veränderungen auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite geben müssen - allein wegen der neuen Aufstellung des Haushalts für 2010 und der mittelfristigen Finanzplanung für die Legislaturperiode nach der Regierungsbildung.

SZ: Nehmen wir mal an, der Wunsch der SPD geht in Erfüllung und nach dem 27. September kommt eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen zustande. Wären Sie bereit, Ihren Ministerposten für einen FDP-Politiker zu räumen?

Steinbrück: Ich habe den Eindruck, dass die Sehnsucht der Republik relativ begrenzt ist, an meiner Stelle Herrn Solms oder Herrn Brüderle zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2009/hai
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