Natürlich sieht es hier nicht aus wie in einer Bank. Wenn Paypal Kunden zeigen will, welche Dienstleistungen es anbietet, dann baut das Unternehmen kurzerhand eine Bar auf mit hochbeinigen Hockern und einem langen Tresen. Bier gibt es hier zwar nicht, aber bezahlen könnte man es. Denn auf der Theke steht ein schwarzes Kästchen, es ist ein Kreditkarten-Lesegerät, das der Wirt von Paypal kaufen könnte - auf Pump, mit einem Paypal-Geschäftskredit. In seinem New Yorker Showroom versucht der globale Online-Bezahldienst seine Produkte von der virtuellen Welt in die physische zu holen. Das ist nicht ganz einfach, denn schließlich operiert Paypal vor allem mit Zahlen.
Und zwar mit großen Zahlen. Am Eingang des Showrooms leuchtet ein Erdball auf einem Bildschirm. Hunderte kleine Punkte blinken darauf, sie stehen für Transaktionen. Paypal wickelt 282 pro Sekunde ab. Die 210 Millionen Privatkunden und 19 Millionen Händler schicken pro Sekunde 16 975 US-Dollar durch die Paypal-Netze.
Bisher haben die traditionellen Banken die Konkurrenz von Paypal als "Bezahlknopf" verharmlost. Doch Schritt für Schritt erweitert das Unternehmen seinen Einflussbereich weit über das Bezahlen hinaus. Am Freitag hat das Unternehmen seine bisher größte Übernahme angekündigt: 2,2 Milliarden Dollar gibt es aus, um das schwedische Fintech iZettle zu kaufen. Damit will Paypal sein Kartenlesegeschäft ausbauen.
Unaufhaltsam wächst die einstige Tech-Plattform zu einem der mächtigsten Player in der Finanzbranche. Schon jetzt ist die Marktkapitalisierung von Paypal mit über 85 Milliarden Dollar mehr als drei Mal so groß wie die der Deutschen Bank. Der Abstand könnte sich noch weiter vergrößern, wenn es Paypal gelingt, den Banken immer stärker den direkten Kundenkontakt abspenstig zu machen. Und damit steht es beispielhaft für die Gefahr für die traditionellen Banken, die von den Tech-Konkurrenten ausgeht: Wenn die traditionellen Häuser nicht aufpassen, werden sie zum bloßen Dienstleister im Hintergrund degradiert.
Andererseits ist Paypal selbst ein Getriebener: Zahlungsverkehr ist im digitalen Zeitalter ein simples Geschäft geworden, der Wettbewerb steigt, die Margen sinken. Die bisherigen Wachstumskurven sind mit Bezahldienstleistungen allein nicht zu halten. Auch Paypal muss sich also neu erfinden. Und das tut es, indem es immer stärker ins klassische Bankengefilde einsteigt - mit eigenen Lösungen, oder eben durch milliardenschwere Zukäufe wie bei iZettle.
Und dennoch löst das Wörtlein "Bank" bei Paypal-Managern heftige Abwehrreaktionen aus. Nie im Leben sei man eine Bank! Und Konkurrenz? Ach was! So oder so ähnlich reagiert man in den Führungsetagen. "Am Anfang gab es da vielleicht Missverständnisse. Aber wir konkurrieren nicht mit Banken, wir sind eine Quelle für zusätzliches Geschäft für Banken, weil wir mit ihnen kooperieren", sagte der globale Strategiechef Bill Ready im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.
Bald will das Unternehmen auch in Deutschland Firmenkredite vergeben
Und tatsächlich baut Paypals Strategie darauf auf, Kooperationen mit Banken einzugehen. In den USA gelingt es dem Unternehmen so, ohne jede Banklizenz die wichtigsten Dienstleistungen anzubieten: Es gibt Debitkarten, mit denen man Bargeld am Automaten ziehen kann, man kann Geld sparen und es ist über die US-Einlagensicherung geschützt (allerdings gibt es darauf keine Zinsen). Es gibt Konsumentenkredite und Finanzierungen für kleinere und mittlere Unternehmen. Bei all diesen Angeboten sind im Hintergrund verschiedene Kooperationsbanken tätig.
Bald will das Unternehmen auch in Deutschland Firmenkredite vergeben. "Die Vorbereitungen zum Start des Working Capital Programms in Deutschland laufen", sagt Deutschland-Geschäftsführer Frank Keller. Weltweit wurden seit 2013 bereits Kredite von insgesamt fünf Milliarden Dollar vergeben.
Und so ist Keller in einer freundlichen Mission unterwegs. Ruhig, ja fast besonnen, erzählt der promovierte Software-Ingenieur von seinen Gesprächen mit deutschen Bankern. Er ist wertschätzend, aber man merkt ihm doch an, dass die Welt der Hochfinanz immer noch Erstaunen in ihm auslöst. Er selbst hat früher das Hasso-Plattner-Institut geleitet, ist Techie durch und durch. Es mag für einzelne Banken durchaus attraktiv sein, mit Paypal zu kooperieren. Blickt man jedoch aus der Vogelperspektive darauf, so ist Paypals Erfolg das fleischgewordene Versäumnis der Banken. In Deutschland versuchen Sparkassen, Genossenschafts- und Privatbanken gerade mit der Initiative Paydirekt hinterherzuhecheln. Bislang ohne Erfolg.
Paypal war schneller. Viel schneller. Der Erfolg hat viel mit der Geschichte zu tun. In Deutschland liegt die Vergangenheit auf der anderen Straßenseite. Ebay leuchtet es da bunt von der Hausfassade entgegen. Paypal leuchtet es in seriös anmutendem Blau zurück. Die Deutschlandzentrale des Bezahldienstes hat ihre Büros vor den Toren Berlins, auf einem Campus am Ortsrand von Kleinmachnow, gleich gegenüber der einstigen Konzernmutter Ebay. Während es drüben locker zugeht, erinnert vieles in den Berliner Paypal-Büros an eine Bank. Mit dem Tag, an dem die Bezahltochter der US-Handelsplattform eigenständig wurde, bekamen die Mitarbeiter in Deutschland neue Zutrittskarten. 2015 war das.
Statt den Ebay-Werten à la "Menschen sind prinzipiell gut" stehen seither Sicherheits-Codes auf der Rückseite. Wie in einer richtigen Bank eben. Und obwohl man sich bisweilen etwas argwöhnisch beobachtet - die Langweiler auf der einen, die margenarmen Künstler auf der anderen Seite -, so wissen die Paypaler doch, was sie der einstigen Konzernmutter zu verdanken haben: "Mit Einführung des Internets hatten Händler auf einmal mit Kunden zu tun, die sie nicht mehr kannten. Das war neu. Als Ebay-Tochter wussten wir viel von den Kunden, die bei uns auf der Plattform ein- und verkauften. Dieses Wissen war unser Vorsprung", sagt Keller. Und den nutzten sie geschickt aus.
Zuerst feilten sie am Produkt, führten den Käuferschutz ein, der Kunden die Sicherheit gab, nicht ganz allein auf sich gestellt zu sein, wenn im anonymen Online-Handel etwas schiefging. Und dann die Ansprache: Während der Kunde bei einer Bank eine Kontonummer ist, kann er sich bei Paypal über eine selbstgewählte E-Mail einloggen, bezahlen und Geld empfangen. Arnulf Keese, Kellers Vorgänger in der Geschäftsführung von 2011 bis 2016, glaubt, dass das zu einer klaren Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen geführt hat: "Es ist ein enormer Unterschied, ob man seine Produktentwicklung an einer Nummer oder an einem Namen ausrichtet." Mit der Mär, dass Paypal nur erfolgreich ist, weil es groß ist, will er aufräumen. Er erinnert sich an die harten Tage des Klinkenputzens bei Online-Händlern: "Im ersten Jahr haben die ganz sicher unsere Visitenkarten nach dem Gespräch weggeschmissen. Im zweiten haben sie die aufbehalten, im dritten haben sie zurückgerufen." Inzwischen haben etwa 90 Prozent der Online-Händler in Deutschland Paypal integriert.
Keeses Nachfolger Keller baut nun die Produktpalette Stück für Stück aus. Er kann sich dazu aus dem globalen Werkzeugkasten bedienen, eingeführt wird aber nur das, was zum lokalen Markt passt - manchmal auch in einer angepassten Variante. Um zu testen, wie Kunden neue Produkte finden, öffnet Keller in Berlin die Tür zum "User Experience Lab". Es ist ein schmuckloser Raum, kaum 15 Quadratmeter groß, darin ein paar Tische, im Eck steht ein Computer. Hinter einer Glaswand, wie man sie aus den Verhörzimmern in TV-Krimis kennt, sitzen Entwickler und arbeiten. An diesem Tag schauen sie nur auf ihre Monitore, es sind keine Gäste da. "Im klassischen Online-Handel haben wir unser Kundenpotenzial weitgehend ausgeschöpft", sagt Keller.
Doch wo geht dann die Reise hin? "Potenzial liegt zum Beispiel bei digitalen Gütern, wie zum Beispiel bei einem Fernseh-Streaming-Dienst. Das ist herausfordernd, weil es da keine physische Lieferadresse gibt. Interessant ist auch das kontextualisierte Bezahlen, bei dem man etwa in einem Blogeintrag ein Produkt direkt kaufen kann", sagt Deutschland-Chef Keller. Strategiechef Ready setzt voll auf Smartphones: "Die Zukunft des Bezahlens ist mobil, das ist ein globales Phänomen. Deswegen konzentrieren wir uns stark darauf, denn schon heute ist das Smartphone das wichtigste Gerät für den Kunden."
In New York kann man einen Blick in die Zukunft werfen. Neben der Bar hat Paypal einen kleinen Klamottenladen in dem New Yorker Showroom aufgebaut. In ihm führt Showroom-Leiter Bobby Kruger die Paypal-Technik der noch fernen Zukunft vor. Er setzt eine Augmented-Reality-Brille auf und geht durch den Laden. Wohin er auch blickt, sieht er Informationen zu den Schuhen und Kleidern, die es in dem Vorführladen zu kaufen gibt. Mit einem Klick vor der Brille kann er sich mit dem Paypal-Konto verbinden und die Waren kaufen - ganz ohne zur Kasse zu gehen. "Ob und wann das jemals kommt, steht nicht fest. Wir arbeiten auch nicht aktiv daran", sagt Kruger. "Aber es ist cool. Einzelhändler arbeiten mit uns zusammen, weil sie nicht nur das wollen, was es jetzt schon gibt, sondern weil sie wissen, dass wir darüber nachdenken, was als nächstes kommt." Am anderen Ende des Showrooms steht eine Zapfsäule. Hier erklärt Kruger den Besuchern, dass Benzinketten wie Shell inzwischen an ersten Tankstellen Paypal-Technik einsetzen. Man muss nicht mehr zur Kasse laufen, sondern kann per Paypal-App bezahlen.
Wie ein Start-up - nur, dass die Männer Hemd tragen
Der Online-Handel, in dem Paypal groß geworden ist, tritt damit immer weiter in den Hintergrund. Das ist auch der Grund, warum Paypals Aktionäre den Schock schnell verkraftet haben, dass Ebay im Januar den niederländischen Anbieter Adyen als neuen Lieferanten für seinen Bezahlkosmos engagiert hat. Als eine von mehreren Bezahlmöglichkeiten bleibt die einstige Tochter weiter im Angebot. Manche hoffen gar, dass dieser Schritt irgendwann dazu führen könnte, dass auch Amazon den blauen Paypal-Knopf integrieren könnte. Dagegen spricht, dass Amazon seinen eigenen Dienstleister AmazonPay etablieren will.
Ist Paypal nun aber eine Tech-Firma, oder eine Bank? In New York hat das Unternehmen ein Büro im hippen West Village gemietet. Es gibt einen Fitnessraum, eine Tischtennisplatte, Motivationssprüche an der Wand und Konferenzräume mit ironischen Namen ("Kredithai" oder "Goldrausch"). Es ist alles so, wie es sich für ein Start-up gehört. Doch an der Snackbar trifft man dann doch Männer mit Hemd in der Hose und Lederschuhen statt der sonst üblichen Jeans-und-T-Shirt-Kluft. Auch in Berlin merkt man die Mühe, mit der Start-up-Flair in die zweckmäßigen Räume gepresst werden soll. Künstler haben die Wände des Treppenhauses mit Graffiti verziert. Aber es ist ein wenig zu eng, um seine volle Wirkung zu entfalten.
So sehr das Management sich einen Tech-Appeal geben will, so bleibt das doch Verkleidung. Im Kern ist das Geschäft schlicht und einfach das schnöde Geld.