Verkehr:Wie die Parkuhr, nur cooler

Apps sollen das Parkplatz-Chaos in deutschen Städten auflösen. Doch um die Programme wird eine Art Glaubenskrieg ausgetragen, in dem mächtige Konzerne mitmischen.

Von Hendrik Munsberg

Wie heißt Deutschlands Autohauptstadt? Stuttgart, na klar. Hier residieren Daimler und Porsche, gleich zwei Konzerne, die gewohnt sind, Mobilität auf ihre Weise zu definieren. Hier protestieren samstags Hunderte Menschen gegen das Dieselfahrverbot - in gelben Westen, wie in Frankreich, Initiator ist ein Porsche-Mitarbeiter. Die grün-schwarze Landesregierung wird immer nervöser. Dabei müht sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen. Gerade erst wechselte der Landesvater seinen Dienstwagen. Neuerdings lässt er sich statt in der S-Klasse im Daimler "GLC F-Cell" chauffieren. Das ist eine Hightech-Karosse mit Brennstoffzellen- plus Batterieantrieb, die "null Gramm Kohlendioxid" ausstößt. Mehr Zukunft geht kaum.

Und doch kann sich der schwäbische Mobilitätsdrang derzeit nur gebremst entfalten. Schuld daran ist allerdings nicht das Dieselfahrverbot, sondern das Verkehrsmanagement. Ausgerechnet in Stuttgart lebt man da hinterm Mond: Wer irgendwo in der Stadt seinen Wagen an Parkuhren oder auf Parkplätzen abstellen will, muss noch immer umständlich nach Münzen im Portemonnaie kramen. Sonst riskiert er ein Knöllchen am Scheibenwischer. Wie seit Urzeiten.

Mehr als 200 deutsche Städte und Kommunen sind da viel weiter - voran gehen Metropolen wie Berlin, Hamburg, Köln und neuerdings auch München. Dort kann man auf ganz bequeme Weise parken, mithilfe des Smartphones. Das funktioniert kinderleicht: einfach eine App aufs Mobilgerät laden, anmelden, Zahlungsmethode wählen. Schon darf man sein Auto abstellen - an Parkstreifen, auf Parkplätzen oder in Parkhäusern. Auf Wunsch wird gleich abgerechnet oder das Konto nur einmal im Monat belastet.

Besonders praktisch: Bezahlen muss man nur für die Zeit, die der Wagen auch wirklich herumsteht, ein Knopfdruck beim Einparken und beim Wegfahren genügt. Und wenn es beim Arzt oder beim Geschäftsessen länger dauert als gedacht? Kein Problem, Nachbuchen per Handy ist möglich. Sogar die Ordnungshüter spielen mit, sie müssen nur das Kennzeichen scannen, schon wissen sie, wer bezahlt hat.

Klingt alles einfach und sinnvoll. Doch, typisch für Deutschland, rund um die Park-Apps wird eine Art Glaubenskrieg ausgetragen. Mächtige Konzerne mischen dabei mit, sie locken mit Angeboten fürs Smartphone: Bei BMW heißt das Parknow, Volkswagen nennt es Travipay, die Telekom wirbt mit Park and Joy. Daneben gibt es weitere Firmen, ihre Dienste heißen Easypark oder Yellobrick. Pionierarbeit leisteten Start-ups wie Sunhill Technologies, 2015 stieg VW dort groß ein (siehe Grafik).

Um ihre Schlagkraft zu erhöhen, gründeten die laut Eigenwerbung sieben "führenden" Parkapp-Anbieter einen Verein, der "Smartparking" heißt. Klingt irgendwie nett und nach Fortschritt. Geschäftsführer ist Ole von Beust, früher Erster Bürgermeister Hamburgs. Der CDU-Politiker, gelernter Jurist und Anwalt, gibt sich heute gleich als Lobbyist zu erkennen. Freundlich meldet Beust sich, wenn man Fragen zu Smartparking hat. Aber manchmal stößt Freundlichkeit auch an Grenzen.

Das Park-Modell in München hat einen unbestreitbaren Nachteil

Im Geschäft mit den Park-Apps geht es um Geld, vor allem aber um die Frage: Wie wird der Verkehr in Deutschlands Städten in Zukunft gesteuert? Dominiert weiter das Auto, in dem meist nur ein einziger Mensch sitzt? Oder bekommen Busse und Bahnen den Vorzug? Eine konkrete Antwort darauf wird in vielen deutschen Kommunen tagtäglich gegeben. Meist lautet sie: Vorfahrt fürs Auto.

Die Fahrzeughersteller wollen mit ihren Apps den Parkkomfort erhöhen und dadurch möglichst viele Autofahrer in die Innenstädte lotsen. Auch die ortsansässigen Geschäfte profitieren, viele Autos bringen viele Kunden in die Läden. Aber sieht so der richtige Weg in eine ökologisch vernünftige Zukunft aus?

Um diese Frage gibt es derzeit einen Zwist, der an die Geschichte jenes widerspenstigen gallischen Dorfs erinnert, das aus "Asterix" bekannt ist, wo am Ende immer die Guten gewinnen. Im vorliegenden Fall allerdings geht es um ein ziemlich großes Dorf im Alpenvorland: München. Wer gewinnt, ist aber noch offen.

Ein Streitpunkt: Wem gehören die Parkplätze?

Ausgerechnet die Heimatstadt von BMW hat einen Sonderweg beschritten. Sie beauftragte ihre Stadtwerke, eine eigene Park-App zu entwickeln, obwohl es längst fertige Lösungen gab; mit Parknow von BMW sogar eine direkt vor der Haustür. Doch München wollte es besser machen. Seit Oktober ist die städtische App in Betrieb, sie heißt Handyparken. Nach wenigen Wochen zeigt sich die Verwaltung "sehr zufrieden" über eine "fünfstellige Nutzerzahl". Doch BMW ist damit, vornehm ausgedrückt, gar nicht glücklich. Denn ausgerechnet in der bayerischen Landeshauptstadt müssen die Wagen mit dem Nieren-Kühlergrill auf einen wichtigen Wettbewerbsvorteil im Verkehrsgewusel verzichten. Zwar können BMW-Käufer bereits seit November 2016 für alle Modelle ein modernes Navi ordern, in das Parknow als Assistent integriert ist. Doch im heimatlichen München funktioniert das System höchst unbefriedigend. Einige Parkhäuser werden angezeigt, sie sind in Deutschland häufig in Privatbesitz. Aber auf Tausende städtische Parkplätze hat das BMW-System keinen Zugriff.

In Berlin, Hamburg oder Köln dagegen funktioniert Parknow wie gewünscht, auch für BMW-Kunden ist der öffentliche Parkraum per Navi verfügbar. Wer diesen Service aber in München möchte, muss das städtische Handyparken aufs Gerät laden. Dass auch kein anderer der sieben Smartparking-Anbieter zum Zuge kam, ist für BMW-Chef Harald Krüger wenig tröstlich. Diplomatisch lässt der Münchner Konzern verlauten: "Wir respektieren das." Doch Matthias Mandelkow, Geschäftsführer von Travipay, gibt ehrlich zu: "Wir ärgern uns da zusammen."

Wie kam es dazu? "Wir haben lange recherchiert", sagt Gerald Vogt. Als Projektleiter bei den Münchner Stadtwerken hat er die Park-App entwickelt. Am Ende, sagt Vogt, sei die Entscheidung für eine "umweltfreundliche Lösung" gefallen: "Die Autohersteller wollen die Menschen fürs Auto begeistern. Wir aber möchten sie auch dazu bringen, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen." Nun kann die Stadt sogar zwei Apps anbieten, eine fürs Parken, die andere für den Ticketkauf im öffentlichen Nahverkehr. Ein einziges Abrechnungskonto bei den Verkehrsbetrieben MVG reicht. Wer in die City will, kann wählen. Wenn möglich, soll er die Umwelt schonen.

München hätte es bequemer haben können. Die Stadt hätte machen können, was heute viele deutsche Städte machen - aus Sorge, beim Handyparken den Anschluss zu verpassen. Frankfurt ist da ein typischer Fall. "Bislang", gesteht Stefan Lüdecke, Referent im Verkehrsdezernat, "hinken wir hinterher." Nun soll die neue Parkwelt am Main schon in ein paar Monaten Wirklichkeit werden. Die Stadt kam mit Ole von Beust ins Geschäft.

Verbraucher müssen bis zu sieben Apps vergleichen

Für Kommunen gibt es zwei Möglichkeiten, mit Smartparking einen Deal zu schließen. Variante eins: Die Verwaltung lässt alle sieben Anbieter zu. Dann kassieren diese App-Firmen die örtlichen Parkgebühren und überweisen sie ohne Abzüge an die Stadt. Die aber bleibt weiterhin für den Münzbetrieb an Parksäulen zuständig, niemand muss die Apps nutzen. Selbstredend wollen auch die Park-App-Anbieter Geld verdienen, darum erheben sie für jeden Parkvorgang Extraentgelte, die je nach Firma verschieden ausfallen. Wer den Service regelmäßig nutzt, kann sich aber für eine Monatspauschale entscheiden, die maximal drei Euro kostet. Immerhin helfen einige Apps, wahrscheinlich freie Plätze zu finden, das erspart unnützes Suchen.

Für Autofahrer bedeutet Variante eins: Sie können zwischen bis zu sieben verschiedenen Apps wählen. Sie müssen aber die Gebühren vergleichen, wenn sie wissen wollen, wer günstiger ist. Etwa ein Drittel der rund 200 Kommunen hat sich für diese Variante eins entschieden. Meistens sind das größere Städte.

Die Mehrheit der kleineren Kommunen nutzt Variante zwei: Diese Städte wollen es nur mit einem Anbieter zu tun haben, das System ist dann leichter zu handhaben. München aber macht da nicht mit und reizt die Konkurrenz sogar noch mit einer weiteren Besonderheit: Das städtisch organisierte Parkmanagement an der Isar kommt ohne Extragebühren aus. Kein Wunder, dass bald "Herr von Beust angeklopft hat", wie in der Landeshauptstadt zu erfahren ist.

Der bestreitet das gar nicht: "Wir haben uns sehr darum bemüht, München zu gewinnen, aber die Stadt hat gesagt: Nein." Beust fügt hinzu, er habe die Verwaltung sogar "gewarnt". Wovor? Der Smartparking-Chef meldet rechtliche Bedenken an: "Man wird sehen, ob die Stadt in der Anfangsphase eine Monopolstellung haben darf und ob sie das später ausschreiben muss."

Einen unbestreitbaren Nachteil hat das Münchner Modell. Würden alle Städte eigene Lösungen basteln, müssten Autofahrer, die häufig in ganz Deutschland unterwegs sind, Dutzende Park-Apps herunterladen - oder weiterhin mit Münzen zahlen. München könnte mit seinem Modell aber ökologische Maßstäbe für andere setzen. Immerhin ist die Stadt jetzt bereit, mit anderen App-Anbietern zu kooperieren - unter einer Bedingung: Es darf keine Extragebühren geben. Mögliche Partner könnten aber an den Münchner Geo-Daten interessiert sein.

Noch ist es nicht so weit, einstweilen soll eine Schwachstelle der Münchner App korrigiert werden. Schon jetzt zeigte sich, dass Handyparken manchen Autofahrer zu allzu großer Bequemlichkeit verleitet. Etliche Nutzer starten die App, vergessen aber, sie beim Wegfahren zu stoppen. Der Gebührenzähler läuft dann oft unbemerkt stundenlang weiter - bis der Höchstbetrag von sechs Euro erreicht ist. Dagegen soll künftig eine deutlichere Warnung helfen.

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