Pariser Modewoche:Die hohe Kunst des Wandels

Während der Haute Couture in Paris probieren Experten neue Formen der Präsentation aus. Dabei suchen die Designer der gehobenen Schneiderkunst selbst nach dem richtigen Weg in die Moderne.

Von Katharina Wetzel

Glaubt man Muriel Piaser, so steht die Messebranche im Modesegment vor einem großen Dilemma. Für junge Designer und aufstrebende Marken seien Messen immer noch wichtig. Doch treffe dort zu viel Angebot auf immer weniger Nachfrage. "Messen haben sich komplett abgekoppelt von der Wirklichkeit", konstatiert Piaser.

Über Jahre hat die zierliche Piaser selbst an der Spitze der Pariser Prêt-à-porter-Messen gestanden, seit 17 Jahren kennt sie das Geschäft. Heute führt sie eine Beratungsfirma für die Entwicklung von Modemarken. Ihre jüngster Coup lautet "Precious Room", kostbarer Raum. Und diesen hat Piaser im 2. Pariser Arrondissement, im Palais Vivienne, gefunden. Für einen Januartag und Cocktailabend während der Pariser Haute Couture hat sie dort Räumlichkeiten gemietet.

Zum Gespräch bittet Piaser in einen der prunkvollen Säle, während nebenan junge Juwelierdesigner unter Ornamenten aus Blattgold einen Ausschnitt ihrer Kollektion zeigen, die in Gänze erst zur Prêt-à-porter Ende Februar/Anfang März zu sehen sein wird. Das Palais Vivienne wurde zur Zeit des französischen Sonnenkönigs errichtet. Heute gehört es dem Privatier Pierre-Jean Chalençon und beherbergt dessen Sammlung mit Originalen aus der napoleonischen Zeit. "Die Märkte sind übersättigt, aber das hat Paris noch gefehlt", meint Beraterin Piaser und beißt in ein Mini-Croissant.

Noch sind erst vereinzelte Besucher an diesem Morgen gekommen. Den Betrag der horrenden Tagesmiete will Piaser lieber nicht in der Zeitung lesen. Sie ist von dem "beeindruckenden Ambiente" und ihrer Strategie, die jungen Designermarken während der Haute Couture mit dem "avantgardistischen Pariser Chic" in Verbindung zu bringen, überzeugt. Einkäufer setzten bereits 80 Prozent ihres Budgets in der Pre-Kollektion-Periode, erklärt sie. Die Kunden sollen sich an diesem einen Tag für die Firmen begeistern. Danach können sie sich auf der Website von Precious Room weiter informieren, so das Konzept. Zwar sind Messen für viele Mode- und Schmuckhändler durchaus eine effiziente Möglichkeit, um möglichst viele relevante Händler an einem Ort zu treffen. Doch reicht es längst nicht mehr, sich zweimal im Jahr als Aussteller zu präsentieren. Viele suchen einen intimeren Kontakt.

"Es gibt mittlerweile eine ganze Industrie, die Veranstaltungen und Kundenevents organisiert. Firmen müssen heute deutlich mehr Impulse setzen, um als Marke wahrgenommen zu werden", sagt Achim Berg, Senior Partner und Modeexperte von McKinsey. Das Repertoire an Marketinginstrumenten sei heute deutlich breiter als früher und reiche vom Film, einer Modenschau bis hin zum Galadinner.

"Alle schauen auf Instagram. Man möchte bewegte Bilder sehen"

Gerade im Luxusbereich, bei dem viele Experten lange Zeit fälschlicherweise dachten, der Internethandel spiele keine Rolle, wird inzwischen - auch auf Messen - ein enormer Aufwand für Influencer betrieben. Dabei geht es längst nicht nur um den Kunden, der online kauft. Auch bei 75 Prozent aller im stationären Handel gekauften Modeartikel haben sich die Kunden zuvor im Internet informiert, weiß Berg: "Das Onlinemarketing nimmt seit Jahren zu."

Neue Formate wie "Precious Room" von Muriel Piaser mischen die Messebranche auf. Die Modemesse Première Vision und die Pariser Modekammer wollen enger kooperieren, sagt Pascal Morand, Geschäftsführer der Fédération de la Haute Couture et de la Mode. Auch die Schauen selbst sind durch die Digitalisierung im Wandel. Zwar erzielen die Defilees noch immer eine Menge Aufmerksamkeit. Doch die Kundschaft, die sich ein Haute-Couture-Kleid für einen fünf- oder sechsstelligen Betrag auf den Leib schneidern lässt, ist weltweit begrenzt. Und zunehmend online.

"Alle schauen auf Instagram. Man möchte bewegte Bilder sehen", sagt die Fotografin Ellen von Unwerth. Für Ulyana Sergeenko hat sie den wunderbaren Film "Sisterhood" gedreht, der ein bisschen an "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" erinnert. Models reiten leicht bekleidet durch eine russische Winterlandschaft, treffen auf einen handzahmen Wolf und zelebrieren nach teils melodramatischen Szenen in einem Schloss ihre Frauenfreundschaft. Der Film wurde eingangs zur Schau im Théâtre Marigny auf einer großen Leinwand gezeigt, danach liefen die Models auf der Bühne durch einen vernebelten Birkenwald. Mit dem Film will Ulyana Sergeenko auch nach Katar reisen, wo weitere Events stattfinden sollen. Klar, so ein Film sei auch eine Budgetfrage, meint Unwerth, die Dreharbeiten fanden in Moskau bei minus 16 Grad statt und seien für die Models eine Herausforderung gewesen.

Es genügt nicht mehr, dass Models über einen Laufsteg gehen. Bei Jean Paul Gaultier wird die Show gleichzeitig an die Wände projiziert. Bei Iris van Herpen versetzt Installationskünstler Nick Verstand die Zuschauer samt Laufsteg in eine blaue Lagune mit vorbeiziehenden Wolken. Doch solche Kunstinszenierungen können auch dem Defilee die Schau stehlen.

Giorgio Armani Privé kommt ohne Spezialeffekte aus und ist dennoch die beeindruckendste Couture-Schau. Dafür wirft Giorgio Armani einen Blick zurück in die Zwanziger- und Dreißigerjahre. Inspiriert von dem Bertolucci-Film "Der große Irrtum", der Ästhetik des Art déco und den intensiven Farben chinesischen Lacks entwarf der 84-Jährige eine zauberhafte Kollektion, die fast ausschließlich mit den Farben Royalblau und Rot auskommt. Lustvoll schritten die Models durch die Säle, drehten sich elegant unter den Lüstern in einem komplett mit Pailletten bestickten Bustierkleid oder einem ganz mit Kristallfransen bestickten Tägeroberteil zu plissiertem Tüll. Dazu trugen sie winzige Glockenhüte oder Perlenkappen.

Die Haute Couture ist die höchste Kunstform der Mode. Dahinter verbirgt sich jedoch auch ein gigantische Marketingmaschinerie. "Trotz der sehr hohen Preise ist eine Haute-Couture-Kollektion alles andere als eine Geldmaschine", weiß McKinsey-Experte Berg. In der Regel dient eine Kollektions-Schau dazu, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzeugen, um dann andere Artikel wie Parfüm zu verkaufen.

Klassische Luxusattribute spielen eine entscheidende Rolle. Das Brautkleid ist traditionell die Krönung zum Schluss. Zahlreiche meterlange Rüschen- und Spitzenkleider schmücken die Kollektionen von Giambattista Valli, über Ralph & Russo, Georges Hobeika, Zuhair Murad bis hin zu Alexandre Vauthier. Es ist die Königsdisziplin und das Aushängeschild einer Couturemarke. Dass ein Model im Cinderella-Kleid hängen bleibt und ihren Schuh verliert, gehört zum märchenhaften Spektakel wohl dazu.

Für eine drei Meter lange, himmelblaue Kreation von Jean Paul Gaultier wurden in mehr als 400 Stunden 240 Meter Tüll, 733 Meter Tüllbänder und sechs Meter schwarz plissierter Seidenchiffon verarbeitet. "Wunderschön", meint Catherine Deneuve nach der Schau, als sie auf ihren Chauffeur wartet. Dabei hätte sie sich beinahe mit der Zigarette den Tüll an ihrem schwarzen Sakko angesengt. Und so kehrt auch bei der Haute Couture das reale Leben ein. Designer Giambattista Valli muss nach der Show Fragen zur Gelbwestenbewegung beantworten, obwohl er lieber über die Schönheit seiner Kollektion sprechen würde. Viktor & Rolf schicken ihre Models gleich mit politischen Botschaften wie "I want a better world" raus. Ronald van der Kemp und Gyunel zeigen, dass durch Upcycling, der Wiederverwendung gefundener Materialien, interessante Kollektionen entstehen können. Bei Givenchy kombiniert Designerin Clare Waight Keller zu extravaganten Kleidern auffallend große Rucksäcke, die man eher in einer Herrenkollektion verortet hätte. Vielleicht müssen eben auch moderne Prinzessinen große Lasten schleppen oder einfach nur ihr Couture-Kleid irgendwo verstauen?

Und siehe da, bei Julien Fournié stehen im L'Oratoire du Louvre eigens zwei Kavaliere Spalier, um den Models die Hand zu reichen, damit sie in der protestantischen Kirche nicht über eine Stufe stolpern. Ein Model läuft jedoch lieber allein über die Schwelle. Die Haute Couture sucht nach dem Weg in die Moderne. Doch die Frau von heute sucht sich ihn einfach selbst aus.

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