Süddeutsche Zeitung

Pariser Modewoche:Auf Gretas Spuren

Auf der Pariser Modewoche wird die Nachhaltigkeit beschworen. Bisher sind die Messen und Shows alles andere als grün. Doch erste Ansätze sind in den Kollektionen für Frühjahr/Sommer 2020 zu sehen.

Von Katharina Wetzel

Die Pariser Modewoche soll grün werden. Während manche das für einen schlechten Marketinggag halten, scheint es Pascal Morand, Geschäftsführer der Fédération de la Haute Couture et de la Mode, ernst zu meinen: "Wir müssen etwas tun." Anfang November will die Pariser Modekammer ein Glossar für nachhaltige Mode veröffentlichen. Zudem sollen ökologische Kriterien entwickelt werden, um die Veranstaltungen während der Modewoche umweltfreundlicher zu gestalten. Dabei kooperiere die Kammer eng mit den Modemessen wie der Première Vision: "Das muss einen positiven Effekt haben", so Morand am Rande der Pariser Modewoche, die Anfang Oktober zu Ende ging.

Greta Thunberg ist in der Modebranche angekommen. Laut einer Studie von McKinsey haben sich seit 2016 die Treffer zum Instagram-Hashtag #sustainablefashion verfünffacht. Mehr als die Hälfte der Einkaufschefs in der Modebranche weltweit hält Nachhaltigkeit für eine der wichtigsten Geschäftsstrategien. Doch bislang fehlen internationale Standards für Nachhaltigkeit und klare Definitionen. Ökologische Aspekte fallen ebenso darunter wie soziale oder ethische. Die Initiative der Pariser Modekammer könnte hier wegweisend sein. Ob es um den Einsatz von Biomaterialien oder recycelten Stoffen, die Transparenz in der Lieferkette, den Wasserverbrauch, den Plastikeinsatz oder gerechte Löhne und Sicherheit am Arbeitsplatz geht - Karl-Hendrik Magnus, Partner bei McKinsey & Company, macht keine allzu großen Hoffnungen: "Es ist noch ein weiter Weg zu objektiven Standards, die international verbindlich sind. Erst dann wird noch mehr Tempo in die Entwicklung kommen."

Erste Ansätze sind bereits in den Kollektionen für Frühjahr/Sommer 2020 zu sehen. Designerin Clare Waight Keller zeigt beim Defilee von Givenchy upgecycelte Jeans, Stella McCartney setzt so viele nachhaltige Materialien ein wie noch nie in ihrer Firmengeschichte, und Designer Andrew GN produziert seine Kollektion teils mit Vintagestoffen und versucht, eine Überproduktion generell zu vermeiden. Andreas Kronthaler und Vivienne Westwood verwenden in Kooperation mit der Ethical-Fashion-Initiative handgearbeitete Materialien aus Mali. Chanel verpflichtet sich dazu, das Bühnenbild zu recyceln und wiederzuwenden. Doch sind die Maßnahmen wirkungsvoll, um den Klimawandel aufzuhalten, ist das alles schon genug?

Bei Thom Browne sind die Vögel an der Decke und die Rosen am Boden aus Seersucker

"Es ist nie genug", sagt Gildo Zegna und nimmt dabei in seiner nonchalanten Art gleich allen Gretas dieser Welt den Wind aus den Segeln. Dabei zählt der Geschäftsführer der italienischen Zegna-Gruppe sein Haus selbst zu den Vorreitern in Sachen Nachhaltigkeit. Kürzlich hat er den "Modepakt" unterzeichnet, in dem sich bereits 32 Firmen zu mehr Nachhaltigkeit bekennen. Diese Initiative sei ein guter erster Schritt und helfe der Industrie, Erfahrungen auszutauschen. Während Zegna all dies in der École des Beaux-Arts berichtet, ertönt Vogelgezwitscher. Seitdem sein Haus 85 Prozent der Anteile des Labels Thom Browne hält, lässt sich der smarte Familienunternehmer keine Schau des New Yorker Designers entgehen. Die Geschäftserwartungen seien sogar übertroffen worden, berichtet Zegna gerade noch. Da laufen die Models in der Hochschule für bildende Künste schon durch einen künstlichen Zaubergarten. Und in gewisser Weise hat Thom Browne mit diesem Fantasiegarten die Zeichen der Zeit erkannt. Die Vögel sind natürlich nicht echt, sondern wie die Rosen am Boden aus Seersucker. Soll das heißen: Es gibt nur eine Natur - also schütze sie?

Seersucker ist jedenfalls in der Kollektion omnipräsent. Thom Browne verarbeitet und kombiniert den Stoff mit Reifröcken, ausgefranstem Tweed und amerikanischer Sportswear und spielt mit dem Kleidungsstil des 18. Jahrhunderts so ironisch, als wäre Marie Antoinette in die fiktive Welt von "Alice im Wunderland" gestolpert.

Was Thom Browne mit einer grotesk naiv-lieblichen Szenerie versucht, will der Kreativdirektor von Balenciaga, Demna Gvasalia, mit einer besonders düster wirkenden Atmosphäre erreichen: die Gäste zum Nachdenken anregen. Künstlerin Sissel Tolaas hat für die Balenciaga-Schau eigens vier Düfte kreiert, die den Gestank von Antiseptikum, Blut, Geld und reinem Benzin verbreiten. Die versammelte Moderiege hätte dennoch keinen Platz vorzeitig hergegeben in dem Filmstudio der Pariser Banlieue, das komplett mit blauem Stoff bezogen war. Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour nahm zwar nach der Schau naturgemäß eilig einen Seitenausgang, wo bereits ein Fahrer auf sie wartete. Doch ihre Anwesenheit kann wohl eher als Kompliment gewertet werden.

Kaum ein Designer wird derzeit bei Modekritikern so gefeiert wie der gebürtige Georgier, der unförmige Blazer, eng anliegende Glitzereinteiler und Krinolinenkleider zeigte, deren Reifröcke wie bei Thom Browne herausnehmbar sind. So wie die aufgebauschten Kleider in sich zusammenfallen, wenn Hüft- und Schulterpolster entnommen werden, sind auch manche Inszenierungen spektakulärer als die Mode an sich. Dass es auch anders geht, zeigen die Defilees von Yohji Yamamoto, Comme des Garçons, Vivienne Westwood, Elie Saab und Giambattista Valli. Elie Saab entzückt mit Safari-Kleidern und breiten Gürteln. Bei Yohji Yamamoto ist Greta Thunberg wieder präsent. Es ist eine teils melancholische, vorwiegend in Schwarz gehaltene Kollektion mit vielen geometrischen Ausschnitten und drapierten Kopfbedeckungen, die mit dem Slogan "No Future" endet, den der Designer selbst auf dem Rücken seines schwarzen Mantels trägt.

"Die Schauen sind Verschwendung pur", sagt der Designer Adrian Runhof

Die Designer von Celine, Givenchy und A. P. C. glauben an ein Jeans-Revival. Trotz vieler Hosenanzüge in sämtlichen Kollektionen ist ein gut sitzender Anzug eigentlich nur bei dem Schweizer Label Akris zu sehen. Bei vielen Kollektionen (Givenchy, Giambattista Valli, Shiatzy Chen) tauchen bauchfreie Korsagen und Bustiers auf, die auf eine junge Kundschaft abzielen.

Und was macht Virginie Viard bei Chanel? "Bei Chanel denke ich an Romy Schneider, die Coco Chanel zu einer Stilikone machte, und an die Tweedjacke, die in all ihren Variationen immer modern gewesen ist", schwärmt die Schauspielerin Nina Hoss nach dem Chanel-Defilee im Grand Palais. Es ist die erste Prêt-à-porter-Kollektion nach dem Tod von Karl Lagerfeld, die dessen Nachfolgerin Virginie Viard entworfen hat. Die Spannung war daher groß, wie Viard das Erbe fortführen wird. "Sie will nicht mit der Vergangenheit brechen, aber sie findet ihre eigene Handschrift und entwickelt diese langsam weiter. Ich empfand die Kollektion als sehr jung, frisch und zeitgemäß", meint Nina Hoss mit Blick auf die Hotpants und kurzen Röcke, die Viard zu den typischen Chanel-Klassikern kombinierte. Insgesamt war es eine eher nüchterne Kulisse. Viard ließ die Models in ihren Entwürfen über die grauen Dächer von Paris laufen. Der R 'n' B-Sängerin Ace Tee gefällt's. Ein Kleid hätte sie am liebsten sofort zu einer Gala angezogen. "Ich trage gerne klobige Stiefel zu einem Chanel-Kleid. Dann kommt noch meine Schnauze dazu. Das ist mein Street-Chic."

Einladungen für VIPs, teure Aufbauten mit aufwendigen Lichtinstallationen, die nach wenigen Minuten einer Schau wieder abgebaut und in Lkws abtransportiert werden, mit Plastikfolie abgedeckte rote Teppiche, die anschließend in den Müll wandern - es gibt auch Designer, die auf den Modezirkus verzichten können. "Nach 25 Shows haben wir gesagt, es muss etwas anderes kommen", sagt Adrian Runhof, einer der Designer des Münchner Labels Talbot Runhof. Zusammen mit seinem Partner Johnny Talbot denkt er über neue Formate nach. So soll die Kollektion den Kundinnen auch bei Events in den Boutiquen direkt gezeigt werden. "Ich habe noch keine Kundin erlebt, der es wichtig war, ob ein Teil über den Laufsteg lief. Unserer Kundin ist es wichtig, dass das Kleid schön ist, die Oberarme verdeckt und ihr Mann sagt: Wow, du siehst toll aus", meint Runhof, der sich für die Kollektion von schönen Frauen aus der Kunstwelt inspirieren ließ.

Initiativen für mehr Nachhaltigkeit hält Runhof für sinnvoll: "Es ist wichtig, dass Dinge unternommen werden, die das Bewusstsein fördern." Doch vieles sei reine Inszenierung. "Die Schauen sind Verschwendung pur. Nachhaltiger wäre es, wenn alle Schauen im Carrousel du Louvre stattfinden würden, wie es der frühere französische Kulturminister Jack Lang vorgeschlagen hat", sagt er. Doch die Eitelkeit der Designer führe dazu, dass jede Schau woanders stattfinde. Und so dreht sich das Modekarussell immer weiter.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2019
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