Parallelwelt Big Data:Du kannst dir kein Bildnis machen

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Merkels Handy ist ein Symbol aus der Welt der rasenden Daten-Pakete. Doch eigentlich liegt das digitale Grundrauschen der Ziviliation längst jenseits unserer Vorstellungskraft. Wenn aber die größten Storys der Gegenwart im unsichtbaren Big Data spielen, wie kann man sie dann erzählen?

Von Tobias Kniebe

Im neuen Dreamworks-Spielfilm "Inside Wikileaks", der die größte Mediengeschichte des vergangenen Jahrzehnts nacherzählen will, muss irgendwann eine wichtige Frage geklärt werden: Wie kommt Julian Assange, dieser bleiche Wanderprediger des noblen Geheimnisverrats, an seine Informationen? Und wie schützt er jene Whistleblower, die alles riskieren, um ihm geheime Dokumente zur weltweiten Publikation zu überlassen?

Die korrekte Antwort ist leider sehr technisch, und vor allem visuell höchst unbefriedigend: Ein Mensch, dessen Name und Identität erst einmal niemand kennt, und dem Julian Assange auch niemals begegnen wird, führt ein paar Mausklicks auf der rein funktionalen, optisch eher drögen Wikileaks-Website aus - und fertig. Äußerlich passiert sonst nichts. Und was im Hintergrund abläuft - der Austausch von kleinen Datenpaketen zwischen Computern, die Verschlüsselung und Verwandlung dieser Daten in einen für Außenstehende unentwirrbaren Zeichensalat: All das mag zwar brillant konzipiert sein, ist aber leider vollkommen unsichtbar.

Den Regisseur von "Inside Wikileaks", Bill Condon, schreckt das nicht. Dinge und Ereignisse ins Bild setzen, für die es keine Zeugen, keine Beobachter, ja nicht einmal eine visuelle Vorstellung gibt - diese Herausforderung nimmt das Kino immer wieder gerne an. Und offenbart dabei eine Hybris, die ihm nicht gut bekommt.

Surreale Computeranimationen

Condon behilft sich damit, dass er die Realitätsebene wechselt und das Geschehen in eine visuelle Metapher übersetzt. Auf einmal befinden sich die Zuschauer in einer surrealen Computeranimation, die offenbar das Innenleben des Internets darstellen soll. Hier flattern Myriaden von Zetteln durch einen leeren Raum und bilden eine Art Schneegestöber - was wohl versinnbildlichen soll, wie ein reales Enthüllungsdokument zwischen Millionen von falschen Datenpaketen versteckt wird.

Wenn man vorher nicht recht verstanden hatte, worin genau die Brillanz von Julian Assange besteht, weiß man es nach dieser Animationssequenz erst recht nicht. Wirft er mit Zetteln um sich? Streut er Flugblätter wie einst bei der "Weißen Rose"? Selbstverständlich nicht. Was er aber stattdessen macht, dafür gibt es kein Bild.

Und das liegt in der Natur der Sache. Ein Hauptteil des Kampfes, der Assange zum Staatsfeind der USA gemacht hat, spielt in jenem schlechterdings ortlosen Raum, für den sich aktuell der Begriff "Big Data" durchgesetzt hat - ein Universum voll unendlicher, mit Lichtgeschwindigkeit um die Welt rasender Code-Ketten, die sorgfältig verschlüsselt und mühsam wieder entschlüsselt werden, die das unentwirrbare Grundrauschen der Zivilisation bilden und doch Antworten auf alle Fragen enthalten, die ein Geheimdienst oder ein Datenkonzern jemals stellen kann.

Hacker können dieses Universum im Kopf sehr wohl visualisieren - ähnlich wie große Mathematiker ihre Formeln vor sich sehen. Nur der Rest der Menschheit eben leider nicht.

Datenschlachten in einer gigantischen Arena

Was weiter nicht dramatisch wäre, würden in dieser Ortlosigkeit nicht inzwischen Kriege geführt, Geheimnisse gestohlen, Leben verändert, Grundrechte verhöhnt und Milliarden verdient. Man kann sich das wie eine gigantische Arena vorstellen, in der die größten Geschichten unserer Zeit spielen - und außer ein paar Eingeweihten, die wirklich die Grammatik der eingesetzten Programme verstehen, hat niemand dort Zutritt.

In dieser Arena wurden Google und Amazon zu Datengiganten, hier hat Facebook die Völkerschlacht gegen MySpace gewonnen, hier sammelten die Whistleblower Chelsea Bradley Manning und Edward Snowden ihre Beweise, hier wüten die Amerikaner und ihre NSA gerade wie der Elefant im Porzellanladen.

Was man davon aber sieht, ist immer nur das Interface, mit dem der Code den Menschen gegenübertritt: aufgeräumt wie die eigene Facebook-Seite, leer und funktional wie die Google-Homepage. Alle anderen Bilder, die in unseren Köpfen und Medien im Umlauf sind - picklige Milliardärsgesichter, bunte Firmenzentralen, Hochsicherheits-Rechenzentren in karstiger Landschaft, leere Serverräume aus dem Fotoarchiv, Menschen, die gebannt auf Bildschirme starren - sind Verlegenheitslösungen.

Die Parallelwelt, in der die Codes reagieren, hat eine Botschaft an alle anderen Welten. Sie lautet: Ihr könnt euch kein Bildnis machen.

Außer vielleicht, wenn wirklich mal eine Abhöraktion gegen eine ganz konkrete, weltbekannte Person enthüllt wird. Angela Merkel und ihr Handy, das ist dann tatsächlich mal ein Bild, an dem man sich festhalten kann - und die Lauscher in der US-Botschaft am Brandenburger Tor, kaum 500 Meter vom Kanzleramt entfernt, kann man sich ebenfalls prima vorstellen. Dann - aber wirklich erst dann - ist die Aufregung auf einmal riesig.

Keine Briefchen, keine Notizen, nur digitale Zeichen

Besonders stark fällt das Bildproblem immer dann auf, wenn Spielfilm-Regisseure doch versuchen, äußere Aktion zu inszenieren. Da gibt es immer wieder die Standardszene, in der Programmierer inspiriert zusammensitzen und Codes austauschen. Und plötzlich springt einer auf und schreibt wirre Zeichen an eine Tafel, oder noch besser: auf eine Glasplatte.

So kann die Kamera sogar sein Gesicht zeigen, während er auf die wirren Zeichen starrt - und die Kumpels nicken begeistert. Das kommt zum Beispiel in "The Social Network" vor, dem Facebook-Film von Aaron Sorkin und David Fincher.

In Wahrheit ist die Welt des Programmierens gerade dadurch definiert, dass eben nichts mehr auf Tafeln oder Kladden geschrieben, ja nicht einmal auf Papier ausgedruckt wird. Programmcode wird zwischen Programmierern auf digitalem Weg geteilt, anders würden sich zu viele Fehler einschleichen. Er hinterlässt keine visuelle Spur.

Oder diese andere Standardszene: Immer öfter laufen die irrsten Einbrüche und Verfolgungsjagden des Kinos inzwischen auf die Jagd nach einem simplen USB-Stick hinaus: Agentenlisten, Zugänge zu Offshore-Konten, Geheimnisse ganzer Imperien sollen darauf gespeichert sein. Wie aber sieht er aus? Wie vom Grabbeltisch im nächstbesten Media-Markt.

Der Agent am Grenzübergang ist längst anachronistisch

Aber so schäbig er als visueller Rest auch wirken mag: Dieser Stick ist das Letzte, an dem das Kino - und überhaupt der Mensch - sich noch festhalten kann. Alles Weitere löst sich ins Immaterielle auf. Und genaugenommen sind auch solche Szenen längst anachronistisch, Erinnerungen an eine Zeit, als das Agentenherz am Grenzübergang noch bis zum Hals schlug und der Maulwurf in dunklen Gassen um sein Leben rannte. Warum Geheimnisse noch am Körper tragen, wenn sie der Cypherpunk auf der ganzen Welt per Mausklick abrufen kann - vom klandestin verschlüsselten Privatserver?

Hier lässt sich ein Verdacht nicht länger von der Hand weisen: Für einige der größten Storys der Gegenwart, seien es nun Schurkenstücke oder Heldensagen, fehlt uns schlicht die Bildvorstellung - und für das, was wirklich mit den Codes passiert, gibt es nicht einmal eine Sprache. Das Universum der Programme scheint inkompatibel zu sein mit der Welt der Narrative, mit den üblichen Instrumenten unserer Wirklichkeitsbeschreibung ist es nicht mehr zu erfassen.

Merkels Handy als Symbol des Widerstands

Wie sonst wäre es zum Beispiel zu erklären, das selbst einem großen Gegenwartserzähler wie Aaron Sorkin ("The West Wing") zu dem Phänomen Mark Zuckerberg so gar nichts einfällt? In "The Social Network" hat er ihn als einsamen Nerd beschrieben, der unbedingt Mädchen flachlegen und in die exklusivsten Clubs von Harvard vorstoßen will. Nur deshalb - gewissermaßen aus der sexuellen Not heraus - erfindet er Facebook. Von den beiden Hollywood-Projekten, die sich jetzt dem Leben von Steve Jobs widmen, ist leider wenig Klügeres zu erwarten.

So rächt sich die alte Welt der Bilder an der neuen Welt der Codes. Alles wird wieder auf uralte Muster reduziert, die schon seit der Steinzeit gelten. Auf den ersten Blick mag das wie ein leicht errungener Sieg aussehen, denn Zuckerberg kann darauf nicht mit eigenen Bildern antworten. Es ist aber nur noch ein hilfloser Abwehrreflex - die wahre Geschichte, das ahnt man auch in Hollywood, wird längst von den Codes geschrieben.

Wo aber alle Bilder fehlen, da fehlt auch die Vorstellung dafür, was in der Parallelwelt der Programmiersprachen überhaupt passiert. All die Enthüllungen der jüngsten Zeit, die das Horrorszenario einer restlos überwachten Welt bestätigen, bleiben letztlich abstrakt. So abstrakt wie das Gefühl, dass man eigentlich Widerstand leisten müsste. Nur wie, und gegen wen konkret? Braucht nicht jeder Widerstand ein Symbol, ein Fanal, ein visuelles Grundmotiv? Jetzt haben wir Merkels Handy - na prima.

Geschichten, für die es keine Bilder gibt, hören eines Tages auf, Geschichten zu sein. Sie gerinnen zu kalten, harten Tatsachen. Und irgendwann lassen sie sich auch nicht mehr umschreiben.

© SZ vom 26.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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