Paradigmenwechsel:Das ganz andere Netz

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Beim neuen 5G-Standard geht es vor allem darum, dass Maschinen untereinander kommunizieren und große Datenmengen verarbeiten. Das Netz spielt eine entscheidende Rolle für die industriellen Prozesse der Zukunft. Es drohen allerdings auch Gefahren.

Von Helmut Martin-Jung

Erst 2 G, dann 3 G, dann 4 G, na klar, und jetzt eben 5 G, die ganz normale technische Evolution. Alles nochmal schneller. Zugegeben: viel schneller. Aber selbst das ist man ja irgendwie schon gewöhnt. Geht doch alles immer noch ein bisschen besser, schneller, komfortabler. Doch diesmal ist es tatsächlich anders. Das 5 G-Netz ist viel mehr als eine bloße Weiterentwicklung. Es ist ein Paradigmenwechsel. Erstmals wurde ein Mobilfunknetz nicht primär dafür entwickelt, dass Menschen miteinander kommunizieren oder Inhalte konsumieren können. 5 G ist das erste Netz, das vor allem für die Kommunikation unter Maschinen entwickelt wurde. Dass auch Menschen mitmachen können, ist sozusagen ein netter Nebeneffekt.

Wenn Maschinen untereinander Informationen austauschen, tun sie das natürlich mit Daten. Daten, der Treibstoff des 21. Jahrhunderts - sie sind auch der Grund dafür, warum die Technik des neuen 5 G-Funknetzes so anders ist als die Vorgänger-Generationen. Daten müssen manchmal sehr schnell übertragen werden, bei anderen Anwendungen spielt die Datenmenge eine große Rolle. Und manchmal müssen sehr viele Geräte gleichzeitig Daten senden und empfangen. Damit sind schon die meisten wesentlichen neuen Funktionen in der Theorie beschrieben.

5 G kann eine Million Geräte geichzeitig einbinden - 1000 mal mehr als beim Vorgänger 4 G

In der Praxis sieht das so aus: Wenn etwa Roboter in einer Fabrik miteinander kommunizieren oder gesteuert werden sollen, kommt es auf Sekundenbruchteile an. Die Anweisungen sind nur kurz, dafür müssen sie quasi verzögerungsfrei ausgeführt werden. Diese Reaktionszeit nennt man Latenzzeit, sie ist bei 5 G unter optimalen Bedingungen nicht größer als eine Millisekunde. Manchmal geht es darum, große Datenmengen schnell zu übertragen, auch hier übertrifft 5 G seinen Vorgänger bei weitem, bis zu 20 Gigabit pro Sekunde sollen es einmal werden. Der neue Standard kann aber auch viel mehr Geräte gleichzeitig einbinden. Bei 4 G sind maximal 1000 Geräte pro Quadratkilometer möglich, bei 5 G dagegen eine Million - also 1000 Mal so viele.

Warum dieser gigantische Sprung? 5 G soll als Maschinennetz vor allem das voranbringen, was man hierzulande Industrie 4.0 nennt, im Rest der Welt meist Internet of Things (IoT). In produzierenden Betrieben sollen möglichst alle Maschinen Daten liefern. Das geht von Sensoren, die beispielsweise ungewöhnliche Vibrationen früher als Menschen entdecken können, bis hin zu Kamerasystemen, die mithilfe von künstlicher Intelligenz prüfen können, ob Fertigungstoleranzen eingehalten werden.

Nicht nur eine technische Evolution, sondern ein Paradigmenwechsel: Das neue 5G-Netz spielt die entscheidende Rolle für die industriellen Prozesse der Zukunft, dem sogenannten Internet der Dinge. Das Foto zeigt ein 5 G-Zeichen auf dem Mobile World Congress 2019 in Barcelona. (Foto: Josep Lago/AFP)

Dabei geht es längst nicht mehr nur um die vorausschauende Wartung - ein Beispiel, das immer wieder gerne genannt wird, um den Sinn von Datenerfassung zu veranschaulichen. Es geht auch darum, mithilfe von Daten und vor allem von deren Auswertung die Produktivität zu erhöhen. Mithilfe von speziellen Datenanalysen lässt sich der oft zu starre Produktionszyklus aufbrechen und dynamischer steuern - womöglich sogar schon von außerhalb der Fertigungshalle. Zum Beispiel, wenn klar ist, dass der Lkw mit dem benötigten Rohmaterial es nicht rechtzeitig zum Firmengelände schaffen wird, weil es so heftig schneit. Dann kann eventuell ein anderes Produkt vorgezogen und Leerlauf vermieden werden.

Aber was ist mit den Menschen, den ganz normalen mobilen Internetnutzern? Sie werden vor allem die schnelle Reaktionsgeschwindigkeit bemerken und besonders schnelle Downloads. In Südkorea, wo 5 G schon länger im Einsatz ist, haben Online-Spieler die neue Technik für sich entdeckt. Nicht nur können sie unterwegs in hoher Qualität zocken, sie müssen auch nicht fürchten, dass sie wegen einer netzwerkbedingten Verzögerung zu langsam reagieren.

Derzeit bleiben für Nutzer in Deutschland vor allem die schnelleren Downloads als Gewinn, denn 5 G gibt es zwar schon an vielen Standorten, in aller Regel aber noch nicht als Stand-alone-Version. Das bedeutet, dass die Verbindung über den (etwas langsamer reagierenden) 4 G-Standard aufgebaut wird, nur der Datentransport findet dann über 5 G statt. Das ist nicht nur vorteilhaft für die Nutzer, sondern auch für die Betreiber, denn die 5 G-Technologie arbeitet pro übertragener Datenmenge viel effektiver als 4 G. Das bedeutet auch, dass batteriebetriebene Sensoren, die nur geringe Datenmengen senden, dank 5 G jahrelang ohne Batteriewechsel auskommen können.

Die wichtigsten Neuerungen von 5 G zielen also vor allem auf Maschinen-Kommunikation ab. Inzwischen gibt es auch schon viele konkrete Projekte, alle drei großen Mobilfunkbetreiber arbeiten mit Industriekunden daran, Werkshallen zu vernetzen, die Daten zum Fließen zu bringen. Eigentlich, so könnte man denken, gibt es doch schon Technologien, um die Daten von Maschinen zu erhalten. Gibt es, aber sie haben alle Nachteile: Kabelgebundene Netze sind schnell, aber bei beweglichen Maschinen wie Produktionsrobotern brechen sie durch die Belastung nach einer gewissen Zeit. Außerdem müssen sie jedes Mal neu verlegt werden, wenn eine Maschine den Platz wechseln soll.

Wlan ist auch eine Möglichkeit, gilt aber für solche Umgebungen, in denen es auf höchste Verfügbarkeit ankommt, als zu wenig zuverlässig. Die Installation eines 5 G-Netzwerks ist zumindest was die Hardware angeht, ziemlich einfach. Ein kleiner Sender von der Größe eines Schuhkartons leuchtet mit seinen Antennen locker eine Halle aus, die am Boden ankommende Strahlendosis ist gering und daher unbedenklich. Die weitere Technik füllt ein Computerrack nur etwa zur Hälfte. Antenne und Basiseinheit müssen noch mit einem Glasfaserkabel verbunden werden und die Basiseinheit falls gewünscht mit dem Internet - das war's.

Manche Firmen verzichten tatsächlich aus Sicherheitsgründen auf die Verbindung mit dem Internet. Wenn es keine Verbindung nach draußen gibt und keine von außen nach innen, ist es für Angreifer zumindest erheblich schwerer, Zugriff auf das Allerheiligste zu bekommen, um zum Beispiel die Produktion zu sabotieren.

Darin liegt eine durchaus realistische Gefahr. Durch Eingriffe von außen könnten im schlimmsten Fall Roboter um sich schlagen, Chemieanlagen in die Luft gehen und wer weiß, was noch alles. Kritische Systeme sollten daher möglichst gar nicht von außen erreichbar und im Inneren bestmöglich geschützt werden. Das beschränkt sich nicht auf technische Maßnahmen wie Zugriffsschutz, Firewalls und Ähnliches. Gefahr geht auch von Insidern aus. Ein verärgerter, bedrohter oder bestochener Mitarbeiter reicht. Manchmal ist es auch Unwissen. Sicherheitsfirmen lassen gerne mal zum Test USB-Sticks auf Firmengeländen liegen. In den meisten Fällen findet sich jemand, der ihn am Arbeitsplatz an seinen Rechner steckt.

© SZ vom 19.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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