Papua-Neuguinea:Der geraubte Regenwald
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Aktivist Paul Pavol kämpft gegen einen malaysischen Holzkonzern. Dieser hat sich in seiner Heimat Papua-Neuguinea ganze Landstriche erschlichen - und holzt diese nun skrupellos ab.
Von Claus Hulverscheidt und Kathrin Werner
Paul Pavol sitzt am Fenster und blickt in die Tiefe. Anzugträger hasten über die Sixth Avenue, gelbe Taxis schieben sich durch die Hochhausschluchten. Die Straßen sind grau wie der Himmel und die Fassaden der Wolkenkratzer. Pavol tippt mit dem Finger gegen die Scheibe. "Diese vom Menschen gemachte Welt", sagt er immer noch ein bisschen ungläubig. Heute Morgen ist er sehr früh aufgewacht - der Jetlag - und hat einfach nur gelauscht. Da war nichts: kein Vogelzwitschern, kein Blätterrascheln im Wind, nur das Rauschen der Großstadt. "Es ist schon sehr anders als zu Hause", sagt er mit leiser Stimme. Paul Pavol gehört hier nicht hin.
Hätte man ihn vor Jahren gefragt, wohin er gehört, er hätte nicht gezögert: ins Paradies. Heute gibt es keine einfachen Antworten mehr, nur noch ein Vorher und ein Nachher. Sein Heimatdorf in einem entlegenen Winkel Papua-Neuguineas war das Paradies. Das war, bevor der große Konzern kam und den Dschungel abholzte. Heute stehen um sein Dorf herum meist Ölpalmen, das Paradies ist fast verschwunden. Deshalb ist Pavol, 44, in die USA gereist. Die Alexander-Soros-Stiftung hat ihm einen Preis verliehen, weil er, der Dörfler, sich dem Konzern entgegengestellt hat und das immer noch tut. Pavol möchte, dass die Welt erfährt, was in seiner Heimat passiert. "Es ist ein großer Kampf", sagt er.
"Große Trucks kommen und nehmen alle Bäume weg"
Seine Ahnen lebten als Nomaden, der Dschungel lieferte ihnen Nahrung, Baumaterial, Heilpflanzen. Die Menschen jagten und sammelten, sie beteten und begruben ihre Toten im Wald. "Der Wald war immer unser Leben, er ist alles, was wir brauchten", sagt der klein gewachsene Mann mit der sanften Stimme. "Geld kann das nicht kaufen." Wenn die Menschen einen Baum fällten, um etwas pflanzen zu können, erklärten sie den Ort im Anschluss zur heiligen Stätte, damit der Dschungel ihn sich zurückholen konnte. "Wir waren immer sehr vorsichtig", sagt Pavol, eine Generation gab das Wissen über den Wald an die nächste weiter, seit Menschengedenken.
Zehn Jahre ging er zur Schule, an ein Studium allerdings war nicht zu denken. Er zog in die nächste größere Stadt und jobbte dort sieben Jahre lang als Verkäufer für Autoteile. Es war nichts für ihn, 1994 zog er zurück in sein Dorf. Seither nähen seine Frau Janet und er aus bunten Stoffen die traditionelle Kleidung der Region, sie leben davon, wie ihre fünf Kinder.
Irgendwann im Jahr 2007 erreichten die ersten Gerüchte das Dorf: Rimbunan Hijau (RH), der Tropenholzkonzern aus Malaysia, kommt bald auch zu euch, flüsterten Menschen aus den Nachbarorten. Junge Männer, die von dort weggezogen waren, um für RH zu arbeiten, hatten von den Plänen berichtet. "Sie haben uns erzählt, wie es dann aussieht: Große Trucks kommen und nehmen alle Bäume weg", sagt Pavol.
Manche in seinem Dorf wollten es nicht glauben, andere waren froh, denn ein großer Konzern, glaubten sie, werde auch das große Geld bringen. "Das dachten die Faulen und die Gierigen", sagt Pavol. Andere hofften auf bessere Jobs, auf Krankenhäuser, Straßen und Schulen. Die große Mehrheit aber wollte RH nicht. Die Menschen hatten Angst vor den Kettensägen und den Ölpalmplantagen, die den Dschungel ersetzen würden, weil sie mehr Profit bringen.
Die Menschen verpachteten ihr Land - für 99 Jahre
In Pomio, das auf der Insel New Britain liegt, gehört das Land den Frauen. Die Männer dürfen zwar mitreden, aber entscheiden können nur die Frauen. Auch über einen Verkauf. Also lud RH die Frauen ein.
Auf den vermeintlichen Informationsveranstaltungen verteilten die Konzerngesandten Zettel, auf denen sich die Dorfbewohner eintragen sollten. Es gehe um eine Anwesenheitsliste, wurde ihnen gesagt, doch kurz darauf hieß es, die Menschen hätten Pachtverträge unterschrieben, die Einverständniserklärung für den Kahlschlag des Regenwalds. Sogar Unterschriften von Babys und Toten seien auf den Verträgen aufgetaucht, die RH vorzeigte, erzählt Pavol. Sie alle verpachteten angeblich ihr Land an den Konzern, für 99 Jahre.
Als 2010 die ersten schweren Maschinen kamen und begannen, das Land und mit ihm die heiligen Stätten und Grabanlagen zu roden, errichteten die Menschen Straßensperren. Der Konzern sah sich das eine Weile an. Dann kamen die Polizisten. Eines Nachts stürmten sie das Dorf und verprügelten Bewohner. Später mussten die Menschen stundenlang in der brennenden Sonne sitzen. Dann zwangen die vermeintlichen Gesetzeshüter die Dorfältesten, weitere Verträge mit RH zu unterschreiben.
"Es war eine schwere Zeit im Dorf, ich habe jeden Tag geweint", erzählt Pavol. Er machte sich Sorgen, dass die Polizei ihm oder seiner Familie etwas antun könnte - schon so viele seiner Bekannten waren eingeschüchtert worden. Einmal nahm ihn die Polizei mit, aber der Richter ließ ihn wieder frei. "Ich hatte immer Angst", sagt Pavol. "Aber wenn ich den Mund halte, wer wird uns dann helfen?" Mittlerweile hat eine offizielle Untersuchung ergeben: RH hatte die Polizisten bezahlt. Zur Rechenschaft gezogen aber wurde niemand.
Rimbunan Hijau ist der größte Tropenholzkonzern in Papua-Neuguinea. Neben dem Hauptgeschäft gehören zu dem Konglomerat auch ein Fischereibetrieb, ein Einkaufszentrum, eine Fluggesellschaft und diverse Medienhäuser, darunter die größte Zeitung Papua-Neuguineas. Eigentümer ist der malaysische Milliardär Tiong Hiew King. Eine Bitte der Süddeutschen Zeitung, zu den Vorwürfen Pavols und vieler Umweltorganisationen Stellung zu nehmen, ließ der Konzern unbeantwortet.
Pomio ist so abgelegen, dass Informationen schwer zu bekommen sind, alle Wege sind weit. 55 000 Quadratkilometer Regenwald hat Papua-Neuguinea nach Angaben der Organisation Global Witness schon an die Holzfäller verpachtet, zwölf Prozent des Landes. Allein aus Pavols Heimat, einer Region mit gut 70 000 Ureinwohnern, hat RH Tropenholz im Wert von angeblich 70 Millionen Dollar verschifft, fast ausschließlich nach China. Der Holzraub, sagt Sam Moko, Aktivist bei Greenpeace, nehme den Menschen nicht nur ihr Land. "Er nimmt ihnen die Freiheit."
Reich geworden ist mit dem Holzraub niemand - außer dem Konzern
Pavol ist durch sein Land gereist, er hat die Menschen aufgeklärt, Interviews gegeben und mit Politikern aus der Provinz, der Region und der Bundesregierung gesprochen. Überall erzählte er vom Kahlschlag und von Umweltschäden durch Dünger und Pflanzenschutzmittel. Es half nichts. Also klagte Pavol gegen die Pachtverträge, die lokale Umweltorganisation Forcert, die sein Dorf vor vielen Jahren schon beim Bau eines kleinen, nachhaltig arbeitenden Sägewerks unterstützt hatte, hilft ihm dabei. Sie bezahlt unter anderem seine Reisen sowie die Gerichts- und Anwaltskosten. Allein Letztere summieren sich mittlerweile auf umgerechnet 100 000 Euro.
Mit RH reich geworden ist bis heute niemand in den Dschungel-Dörfern, die Straßen, Brücken und Schulen sehen immer noch so aus wie vor der Invasion des Konzerns. Und die Jobs, die RH brachte, sind schlecht bezahlt. Wer für die Holzfäller arbeitet, wird genötigt, im RH-Laden einzukaufen - auf Kredit, der dann mit dem Gehalt abgestottert werden muss. Oft bleibt danach nichts mehr übrig. Manche Kinder, die früher zur Schule gingen, arbeiten heute als Tagelöhner. 2014 legte Global Witness Beweise vor, dass Frauen und Kinder hoch konzentrierten Kunstdünger mit bloßen Händen in Säcke schaufeln mussten. "Es war alles Lüge", sagt Pavol, zu dem die Leute nun kommen und ihn um Hilfe bitten - selbst jene, die sich damals auf Rimbunan Hijau gefreut hatten.
Die Regierung hat einen Teil der Langzeit-Pachtverträge inzwischen für unrechtmäßig erklärt. "Aber das steht nur auf dem Papier", sagt Pavol. Er braucht ein Urteil des Gerichts - und Hilfe durch Provinzpolitiker. "Aber da ist überall Korruption." Auch ihm hat der Konzern mehrfach Geld geboten, damit er endlich Ruhe gibt. Pavol hat schon darüber nachgedacht, selbst Politiker zu werden, um die Dinge ändern zu können. Doch seine bisherigen Versuche scheiterten, derzeit überlegt er, es 2017 noch einmal zu versuchen.
Die Männer mit Kettensägen rücken immer näher heran
Doch langsam geht den Leuten in seinem Dorf die Kraft aus für den Widerstand. "Der Konzern hat die besten Anwälte angeheuert, um eine Verzögerungstaktik fahren zu können. Alles schleppt sich, je mehr Wald verschwindet, desto mehr verlieren die Leute die Hoffnung und das Interesse", erzählt Pavol. In seinem Dorf ist schon jetzt nichts mehr, wie es war. "Früher hatten wir nach Sonnenuntergang Zeit für Ruhe bei uns. Dann haben wir gekocht, was wir zuvor aus dem Dschungel geholt hatten. Wir saßen zusammen, redeten und hörten den Abendvögeln und dem Wind zu", sagt er. "Heute ist das anders. Heute kommen nach Sonnenuntergang die Männer raus und trinken Bier. Und überall ist laute Musik. Unsere Art zu leben, unsere Traditionen - alles ist zerstört."
Nur auf wenigen Hektar rund um Pavols Dorf steht er noch, der einst so mächtige Dschungel, der für das Weltklima und die Artenvielfalt so unverzichtbar ist. Doch die Männer mit den Kettensägen rücken immer näher an die Holzhütten heran, in denen Pavol und seine Nachbarn wohnen. Jeden Tag verschwinden Bäume. "Es kann jeden Tag passieren, dass sie kommen und das ganze Dorf vertreiben", sagt er. Die wilden Mangos sind schon verschwunden und auch die buttrigen Kenari-Nüsse, die sie immer gegessen haben. "Sie haben eine Wüste aus unserem Regenwald gemacht."
Auch Pavols Heimat ist jetzt eine vom Menschen gemachte Welt, fast wie Manhattan, auf das er vom Hotelfenster aus blickt. Nie hätte er gedacht, dass er in seinem Leben einmal New York sehen würde. Er war hier in den USA zum ersten Mal in einem richtigen Restaurant. "Es fühlt sich ein wenig an wie ein Unfall", sagt er. Er hofft, dass Politiker und Medien der großen westlichen Länder Druck machen auf den Konzern und die Politiker in seiner Heimat. "Man könnte sagen: Es ist ein Kampf wie David gegen Goliath", sagt Pavol. "Aber ob ich eines Tages gewinnen werde wie David? Ich kann es nicht sagen."