Süddeutsche Zeitung

Panzerknacker im Kapitalismus:Wer hat, dem soll genommen werden

Seit Jahrzehnten versuchen die Panzerknacker das Unmögliche: Onkel Dagoberts Vermögen aus dem Geldspeicher zu entwenden. Sie werden daran immer scheitern. Weil sie dämlich sind und einer kapitalistischen Illusion glauben, die die Weltgeschichte am Laufen hält.

Willi Winkler

Es ist ein oft übersehenes Naturgesetz, dass einem Manne, der über sehr viel Geld verfügt, sehr viel davon genommen werde, und zwar möglichst alles. Dieses Grundgesetz lässt den Kapitalisten naturgemäß schlecht schlafen, denn warum sollte er sein sauer verdientes Geld wieder hergeben? Und er muss es doch.

Die christliche Lehre hat eine andere Beschwer in die Welt gebracht, nämlich die Lehre, dass Geld allein nicht glücklich mache. Damit war die mittelalterliche Welt der Habenichtse leicht auf ein bessres Jenseits zu vertrösten, in dem zur Entschädigung für dies irdische Jammertal Milch, Honig und gewaltige Kapitalströme fließen würden.

In letzter Zeit sind allerdings erhebliche Zweifel an der Bonität dieser breit proklamierten Ausgleichszahlung aufgekommen. Geld allein macht nicht glücklich, nicht einmal im Jenseits, es muss schon sehr viel Geld sein, und am besten ist es in irdischen Werten angelegt und bereits hienieden nutzbar.

Dagobert Duck ist das beste Beispiel dafür. Diese Disney-Figur geht auf Charles Dickens' Ebenezer Scrooge zurück, nur dass ihn das Mitleid mit Geringverdienern, gar die Reue über sein hartherziges Gewinnstreben nicht einmal zu Weihnachten übermannen würde. Die wenig liebenswerte Ente ist der Chef in Entenhausen, weil sie über sehr viel Geld verfügt. Dagoberts Vermögen ist (auch wenn er es ständig nachrechnet) unermesslich und bezifferbar nur in aberwitzigen Trillionen.

Ursprung von Dagoberts Reichtum liegt im Dunkeln

Die Ursprünge dieses Reichtums liegen im Dunkeln und haben einer von Dagobert gern erzählten Sage nach mit dem Goldrausch am Klondike zu tun. Denn ein Tugendbold ist er auch noch, der alte Geizkragen; sein Vermögen hat er selbstverständlich nicht geerbt, sondern mit eigner (Hände?) Arbeit verdient. Es ist mündelsicher in einem Geldspeicher deponiert, den der Herr dieses Geldhaufens von Zeit zu Zeit aufsucht, um sich vom schieren Vorhandensein seines Vermögens zu überzeugen. Geld allein macht ihn glücklich, und kein größeres Unglück kann er sich denken als dessen Verlust.

Das Vergnügen am Geld teilt Dagobert Duck mit den Panzerknackern. In der Gesellschaftsordnung der Musterstadt Entenhausen rangieren sie irgendwo neben-draußen und sind doch unverzichtbar für diese Ordnung. Wenn sie nicht im Gefängnis sind, tragen sie wenigstens Nummern, die sie als Insassen ausweisen. All ihren Scharfsinn, notfalls auch ihre ganze Dummheit verwenden sie darauf, dem alten Geizhals das Geld abzuluchsen. Sie arbeiten kaum mehr mit der lowtech witzbekannter Bankräuber, sondern operieren mit riesigen Staubsaugern, entwickeln monströse Bohrmaschinen, bringen den Fortschritt der Raumfahrttechnik sofort in den Untergrund.

Die wilden Kerle graben Tunnel, sie sprengen, sie verkleiden sich bis zur Kenntlichkeit, sie beamen, sie spiegeln, sie tricksen und täuschen in phantastischer Manier, aber am Ende scheitern sie doch. Sie schaffen es womöglich sogar mitsamt den Duck'schen Geldsäcken bis in den Tunnel, den sie vielleicht in einer einzigen Nacht vom Gefängnis quer unter Entenhausen durch gebohrt haben, aber der Hüter des Goldschatzes war auf dem Quivive, leitet einen Damm durch diesen Tunnel, schwemmt sie mit dem ganzen Geld in einen See vor die Flinten der Polizei, die durch ein Schild am Ufer bestens informiert ist: Angeln darf hier nur der allgewaltige Herr Duck.

Sein Geldspeicher ist das Mausoleum, das er sich bereits zu Lebzeiten gebaut hat, ein Trump Tower hässlichster Gestalt, aber funktional, denn er erfüllt seinen Zweck. Hier wird gehortet, was Herr Duck der Welt draußen entzogen hat.

Um sich davon zu überzeugen, dass sein Reichtum auch wirklich wahr ist, springt Dagobert regelmäßig mitten hinein in sein Geld. Das Talerbad ist die genialste Erfindung seit der unbekannte Dichter des Nibelungenlieds den Recken Siegfried im Drachenblut baden ließ. Geld macht Dagobert glücklich, es ist sein Jungbrunnen, sein täglicher Workout, der manifeste Beweis, dass er es geschafft hat.

Die Schwäche, die zumindest im Märchen noch jeden Kapitalisten auszeichnet, der Kanthaken, an dem er zu kriegen ist, ist beim alten Duck der materielle Besitz des Geldes. So eindimensional das Erwerbsleben Dagoberts sonst verläuft - Geld her, Geld her, oder ich fall' um! -, so tief gähnt ihn plötzlich die existenzialistische Krise an, wenn er auf seinem Brett steht, bereit zum Sprung ins Geldbecken, und dann ist da nichts, radikal nichts, weil es den Panzerknackern wieder einmal gelungen ist, den Kapitalisten vorübergehend zu expropriieren.

In Entenhausen herrschen ideale kapitalistische Verhältnisse: Die einen haben Geld, die anderen nicht. Genau genommen hat nur einer wirklich Geld, und das ist Onkel Dagobert. Gegen allen Augenschein ist er zugleich ein warnendes Beispiel für jemanden, der mit Geld nicht umgehen kann. Er nimmt es aus dem Umlauf und hortet es, weil ihn schlimmste Glaubenszweifel befallen, wenn er es nicht ständig in der Hand hat. Dabei muss es - eherne Regel mindestens seit der Erfindung der Kriegsanleihen - hinaus in die Welt und mit Gewinn unter die Leute gebracht werden.

Der einzige Unterschied zu den schlimmen Brüdern um Opa Knack besteht darin, dass er das Geld hat und sie nicht. So unlauter er das seine erworben hat, so wenig sauber wollen sie es ihm abluchsen. Die beiden nehmen sich nichts, jedenfalls nicht im Erfindungsreichtum. Dagobert Ducks Geiz wird nur von der Geldgier der Panzerknacker und leider auch von ihrer unheilbaren Dämlichkeit übertroffen, die sie unermüdlich zu neuen Taten treibt. Die Panzerknacker sind zwar grundsätzlich die Verlierer, aber sie geben nicht auf.

Es werden noch lange lustige Abenteuer mit 176-167, 176-176, 176-716, 176-617, 176-671, 176-761 und 176-??? erscheinen, und doch wird das Geld letztlich im Speicher verbleiben. Liegt es vielleicht daran, dass sie Hängertypen sind, Schlaffis, die nur daran denken, das ersehnte Geld irgendwo im Süden unter Palmen auszugeben? Tatsächlich wäre nichts schlimmer für sie, als einer geregelten Arbeit nachzugehen, ihr Geld tatsächlich in kleinen Scheinen und nicht durch Raub und Erpressung zu verdienen. Ihr chronisches Scheitern beweist nicht nur, dass sie unfassbar dumm sind, sondern es scheint auch zu beweisen, dass sie die Gesetze des Kapitalismus nicht verstanden haben.

Nur die Gründung einer Bank ist schöner

Nur eins, und das weiß auch der Kunde mit dem kilometerweit überzogenen Kontokorrentkredit, nur eins ist noch schöner, als eine Bank zu überfallen, und das ist die Gründung einer Bank, die ihre Kundschaft systematisch auszubeuten weiß. So viel sie auch anstellen, auf diese naheliegende Idee kommen sie doch nicht. Nur so könnten sie dem fetten Geldsack das Vermögen nehmen, es nämlich verflüssigen und in Luft und andere Junk-Bonds auflösen.

Auch in diesem unerschütterlichen Glauben an den guten alten Kapitalismus gleichen sie Dagobert Duck, diesem Inbegriff des Manchester-Kapitalisten, der sich von seinem Geld nicht trennen kann und dem es deshalb immer wieder gewaltsam genommen werden muss.

Die Panzerknacker, und darauf läuft dieser kurz gefasste Leitfaden für den Kapitalismus hinaus, sind die für die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzordnung unerlässlichen Handlanger, der lebende (oder jedenfalls lustige) Beweis, dass sie nach wie vor funktioniert. Sie basiert auf zwei Grundsätzen: (1) Wer hat, dem soll genommen werden. (2) Wer nichts hat, kann es doch bekommen. Dass es auch gelingt, ist die Illusion, die die Weltgeschichte am Laufen hält.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2012/mane
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