Gewerkschaft:Verdi kritisiert "unerträgliche" Arbeitsverhältnisse der Paketzusteller

Shopping during COVID-19 pandemic in Munich

Jede Menge Arbeit: Den Paketdiensten stehen wieder Wochen mit großer Belastung bevor. Unter welchen Bedingungen die Zusteller arbeiten, unterscheidet sich sehr stark von Auftraggeber zu Auftraggeber.

(Foto: Lukas Barth/Reuters)

Eigentlich schützt der Staat Paketboten seit zwei Jahren mit strengeren Regeln. Doch viele Probleme sind geblieben, moniert die Gewerkschaft - und spricht von einem "System der Ausbeutung".

Von Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf

Dass die Adventszeit längst nicht immer so besinnlich ist, wie es die Werbung weismachen will: Das spüren viele Menschen, die zwischen Jahresendprojekten und Geschenkekäufen Weihnachten entgegenhetzen. Doch für kaum eine Branche stellen die kommenden beiden Wochen eine derartige Belastung dar wie für Paketdienste.

Zwei Wochen vor dem Fest kritisiert die Gewerkschaft Verdi nun, dass prekäre Arbeitsverhältnisse in der Paketbranche inzwischen "ein unerträgliches Maß angenommen" hätten. Das sagt die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis und verweist auf Kontrollen des Zolls: Die Behörde hat in der Vergangenheit mehrere Hinweise auf scheinselbständige Zusteller in der Branche gefunden - oder auf Versuche, den Mindestlohn zu unterschreiten.

Tatsächlich haben Paketdienste in den vergangenen Jahren Zehntausende Arbeitsplätze geschaffen. Je mehr die Menschen im Internet bestellen, desto mehr Pakete gilt es zu sortieren und auszufahren. Die Corona-Krise hat dieses Wachstum beschleunigt, als viele Läden wochenlang schließen mussten. Und auch, dass Ungeimpfte viele Geschäfte nun gar nicht mehr betreten dürfen, könnte dem Online-Handel nützen. "Dieses Wachstum in der Branche führt zu Arbeitskräftemangel, der vorrangig aus Osteuropa gedeckt wird", sagt Kocsis, wenn auch nicht ausschließlich. Das Problem aus Sicht der Gewerkschafterin: Viele der Beschäftigten kennen ihre Rechte hierzulande nicht.

Der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) zählte zuletzt etwa 255 000 Beschäftigte der Branche in Deutschland, 70 000 mehr als noch vor zehn Jahren. Doch die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich stark: Während die Deutsche Post und UPS Zusteller zum Großteil fest anstellen, setzen Wettbewerber wie Hermes oder DPD bislang vor allem auf Subunternehmen.

Besonders harsch kritisiert Kocsis den weltgrößten Online-Händler Amazon. Er lässt seine vielen Sendungen von verschiedenen Paketdiensten zustellen, baut aber auch in Deutschland nach und nach ein eigenes Logistikgeschäft auf. In den USA oder Großbritannien beispielsweise zählt Amazon selbst schon zu den drei größten Paketdiensten, wie der internationale Postdienstleister Pitney Bowes berichtet. Hierzulande arbeite Amazon in der eigenen Zustellung mit vielen selbständigen Fahrern, kritisiert Verdi.

Die Haftung für Subunternehmer gilt beispielsweise nicht in Sortierzentren

Von Amazon-Standorten will die Gewerkschaft erfahren haben, dass sogenannte Flex-Zusteller Paketmengen ausfahren müssten, die "überhaupt nicht zu bewältigen" seien. Fahrer erhielten teilweise pauschale Tagessätze von 75 Euro, müssten dafür aber von acht Uhr morgens bis in den frühen Abend hinein schuften. Wenn sie krank sind oder Urlaub nehmen, erhielten sie kein Geld. "Das ist ein System der Ausbeutung", schimpft Kocsis.

Amazon weist die Vorwürfe zurück. Für alle eigenen Beschäftigten in Deutschland habe man ohnehin einen Einstiegslohn von zwölf Euro je Stunde eingeführt, sagt ein Sprecher. "Wir vergüten auch unsere Lieferpartner entsprechend, damit sie ihre Mitarbeiter:innen gut bezahlen können." Der Konzern untersuche die Arbeitsbedingungen bei Subunternehmern regelmäßig, Zusteller könnten auch anonyme Hinweise auf Missstände geben. "Alle Lieferpartner sind vertraglich verpflichtet, alle geltenden Gesetze einzuhalten", so der Sprecher, "insbesondere in Bezug auf Löhne, Sozialabgaben und Arbeitszeiten."

Nun ist es nicht so, dass die gerade verabschiedete Bundesregierung mit ihrem alten (und auch neuen) Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD all den Entwicklungen in der Branche tatenlos zugesehen hätte. Vielmehr hat der Bund 2019 ein sogenanntes Paketboten-Schutzgesetz verabschiedet. Seitdem müssen Paketdienste sicherstellen, dass ihre vielen Subunternehmer Sozialversicherungsbeiträge für alle Beschäftigten abführen. Eine vergleichbare Regelung gilt schon länger in der Bauwirtschaft.

Seit vorigem Sommer können sich Transportunternehmen um entsprechende Prüfsiegel einer Qualifizierungsstelle namens Zertifizierung Bau bewerben. Diese sollen sicherstellen, dass die Firmen die vorgeschriebenen Regeln befolgen. "Über 1400 Unternehmen haben sich bisher präqualifizieren lassen", sagt Marten Bosselmann, Vorsitzender des Branchenverbands BIEK.

Verdi hat die sogenannte Nachunternehmerhaftung zwar begrüßt. Gewerkschaftsvize Kocsis moniert aber: "Das größte Problem ist aus unserer Sicht, dass hier viel zu wenig kontrolliert wird." Und Verdi fordert, dass die Nachunternehmerhaftung künftig für die ganze Logistikbranche gelten sollte, also etwa auch für Sortierzentren.

So haben Bundespolizei und Zoll erst am Mittwoch dieser Woche Wohnungen, Geschäftsräume und Logistikzentren durchsucht, vor allem in Berlin und Brandenburg: Die Behörden sahen dort einen Fall "international organisierter Schwarzarbeit" mit mutmaßlichen Schleusern, die Menschen aus dem Ausland mit offensichtlich gefälschten EU-Ausweisen nach Deutschland geholt und für wenig Geld in Logistikzentren beschäftigt haben sollen. Derlei Erkenntnisse über die Schattenseiten des boomenden Transportwesens, sie reißen bislang nicht ab.

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