Otto-Manager nach Katastrophe in Bangladesch:"Ganz sicher kann man sich nie sein, wo produziert wird"

In Bangladesch brennt eine Fabrik, Arbeiter sterben. In Europa sitzen die Auftraggeber und sagen: Wir können unsere Zulieferer nicht hundertprozentig kontrollieren. Ein Gespräch mit einem Otto-Manager über soziale Verantwortung in der Textilindustrie.

Elisabeth Dostert

Auch Johannes Merck kann es nicht ausschließen. Die Textilfabrik in Bangladesch, in der bei einem Brand diese Woche mehr als hundert Menschen ums Leben kamen, hat die Hamburger Versandhandelsgruppe Otto nicht als Lieferant gelistet. Aber der Weg von der Bestellung aus Hamburg über die Produktion in Fernost bis zur Lieferung an die Verbraucher ist lang. "Wir tun sehr, sehr viel, aber wir können nicht 365 Tage im Jahr neben dem Lieferanten stehen", sagt Merck, der als Direktor Corporate Responsibility die umwelt- und gesellschaftspolitischen Aktiviten des Konzerns mit weltweit mehr als 53.000 Mitarbeitern und 11,6 Milliarden Euro Umsatz verantwortet.

SZ.de: Wie viele Textilien verkauft Otto pro Jahr?

Johannes Merck: Eine konkrete Zahl kommunizieren wir nicht. Wir gehören als Otto Group aber sicherlich zu den bedeutenden Textilanbietern der Welt.

Wo lassen Sie produzieren?

Wir kaufen überall dort ein, wo heutzutage Textilien produziert werden. Für den europäischen Einzelhandel sind das maßgeblich Länder in Asien, wie China zum Beispiel, Indien... oder eben Bangladesch.

Hat Otto in einem der Werke in Bangladesch produzieren lassen, in denen es jetzt gebrannt hat?

Nein, diese Fabrik ist bei uns nicht gelistet. Aber eine 100-prozentige Sicherheit haben auch wir nicht.

Weshalb?

Man kann nie ganz sicher sein, wo produziert wird. Wir tun sehr, sehr viel, um sicher zu gehen, aber wir können nicht 365 Tage im Jahr neben dem Lieferanten stehen. Deshalb gibt es immer eine Restunsicherheit, ob sich unser Auftragnehmer an alle Abmachungen hält.

Was für Abmachungen?

Wenn wir einen Lieferanten benennen, muss der uns schriftlich versichern, in welchen Fabriken er produzieren lässt. Diese Fabriken werden von uns geprüft, und erst nach bestandener Prüfung darf dort ein Auftrag platziert werden.

Johannes MerckOtto Group

Johannes Merck ist in der Otto Group Direktor Corporate Responsibility.

(Foto: Unternehmen)

"Es darf keine Kinderarbeit geben"

Wer genau kontrolliert?

Unsere eigenen Social Officer in den Büros vor Ort. Die sind dafür geschult, ob die Fabriken State of the Art sind.

Was heißt in diesem Fall State of the Art, was ist der Maßstab?

Soll in einer Fabrik für uns gearbeitet werden, müssen dort beispielsweise gesetzliche Mindestlöhne gezahlt werden, und es darf keine Kinderarbeit geben. Dies und mehr kontrollieren wir in einem sogenannten Pre-Scan. Wenn ein Fabrikant dann zum Lieferant geworden ist, und es bleiben will, muss er sich weiteren, laufenden Prüfungen unterziehen, denen der Business Social Compliance Initiative (BSCI).

Was ist das nun wieder?

Dieser sehr wichtigen Initiative gehören weltweit mehr als tausend Handelsunternehmen an, die sich auf gemeinsame Produktionsstandards in den Lieferländern geeinigt haben. Diese werden wiederum von Dritten kontrolliert, wie beispielsweise dem TÜV Rheinland und anderen Prüfungsunternehmen.

Gehen Ihre eigenen Leute auch in die Fabriken?

Selbstverständlich schauen sich unsere eigenen Leute die Fabrikation an. Sie kontrollieren dabei zum Beispiel die Lohnbuchhaltung, die Dokumentation der Überstunden und vieles mehr. Ganz wichtig: Sie schauen sich die Lage und Zugänglichkeit der Notausgänge an, kontrollieren die Fluchtpläne und prüfen, wo die Feuerlöscher hängen.

Sind vergitterte Fenster ein K.O.-Kriterium?

Nein, das sind sie nicht. An vielen Stellen dienen Fenstergitter ja als Sicherheitsmaßnahme. Wichtig ist vielmehr, dass es genügend freie und ordentlich gekennzeichnete Fluchtwege gibt, die am Ende nicht alle in demselben Ausgang münden.

"Unsere Social Officer sind nicht blauäugig"

Kündigen sich Ihre Kontrolleure an oder kommen die überraschend?

Grundsätzlich machen die mit dem Management der Fabriken Termine aus. Die Zusammenarbeit mit den Lieferanten ist letztendlich auf Kooperation und Partnerschaft angelegt. Wir spielen ja nicht Räuber und Gendarm. Andererseits sind unsere Social Officer nicht blauäugig. Es kann durchaus sein, dass sie unangekündigt eine Fabrik besuchen. Das sind dann aber keine Audits, also Prüfungen, sondern Inspektionen oder sogenannte Follow-up-Visits.

Von zehn Lieferanten, die sich um Aufträge bewerben: Wie viele fallen durch?

25 bis 30 Prozent fallen durch. Diese Fabriken werden dann gar nicht erst zugelassen.

Beziehen Sie noch irgendwelche Textilien aus deutscher Produktion?

Kaum, vielleicht von Lieferanten für Spezialprodukte. Die Textilproduktion für den deutschen Massenmarkt kommt aus der Türkei, Südosteuropa und Fernost.

Kann man ein T-Shirt, das im Laden für zwei Euro verkauft wird, sozial- und umweltverträglich herstellen?

Ich bezweifle das stark. Solche T-Shirts verkaufen wir aber auch nicht. Es geht doch nicht nur um die allerbesten Preise, sondern um Produkt- und Prozessqualität. Wir wollen nicht auf Kosten von Mensch und Natur handeln.

Die Otto-Gruppe ist Mitglied der Sustainable Apparel Coalition, die insgesamt mehr als ein Drittel des Weltmarktes für Bekleidung und Schuhe repräsentiert. Fühlen Sie sich eigentlich noch wohl in dieser Gruppe, der auch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen so zweifelhafte Firmen wie H&M angehören?

Ich unterstelle den allermeisten Kollegen und auch Wettbewerbern, dass sie sich für saubere Produktionsbedingungen einsetzen. Zudem muss man möglichst viel Nachfragepotential bündeln, um wirklich Einfluss auf die Märkte ausüben zu können. Erst mit dieser Macht können wir dann auch die staatlichen Rahmenbedingungen beeinflussen. Man darf doch die Regierung in Bangladesch nicht aus der Verantwortung lassen, die Textilproduktion so zu organisieren, dass die Fabriken in Schuss sind.

Wenn westliche Standards eingehalten werden müssten, würde die Produktion teurer und Firmen wie Otto würden weiter ziehen ins nächste billigere Land.

Das ist sicherlich ein sensibler Punkt, weil sich auch die Firmen der Otto Gruppe nicht außerhalb des Wettbewerbs stellen können. Deshalb ist es ja so wichtig, dass sich Initiativen wie die Sustainable Apparel Coalition finden. Wir arbeiten zunächst gemeinsam daran, unsere Lieferketten und die dort entstehenden Auswirkungen auf Mensch und Natur transparent und vergleichbar zu machen. Mit diesem Wissen sollten wir den Anspruch haben, uns auch auf gemeinsame Standards zu einigen, die dann für alle Mitglieder in allen Ländern gelten. Das ist ja auch Ziel der Business Social Compliance Initiative. Wir wollen am Ende schon um den besten Preis konkurrieren, aber unter fairen Bedingungen für die Menschen im Produktionsprozess.

C&A war einer der Auftraggeber des Werkes in Bangladesch. Fliegen die jetzt aus der Koalition?

Nein. Das ist ein furchtbares Unglück, was da passiert ist, und es gibt bestimmt viele Schuldige. Aber ich bin der letzte, der mit dem Finger auf Andere zeigt. Ich kenne die Kollegen von C&A und ich weiß, mit welcher Ernsthaftigkeit sie sich seit vielen Jahren um vernünftige Sozial- und Sicherheitsstandards in ihren Fabriken bemühen. Hundertprozentige Sicherheit wird man aber wohl nicht kriegen.

Warum?

Die Textilindustrie ist eine Pionierindustrie mit ganz bestimmten Merkmalen. Wir können viel tun, aber die Wertschöpfungskette in der Textilindustrie ist nun mal auch so komplex, dass man nicht sicher sein kann.

Was meinen Sie mit Pionierindustrie?

Die Textilindustrie etabliert sich vor allem in solchen Ländern, die über ein großes Potenzial an billigen Arbeitskräften verfügen. Es braucht keine hohen Investitionen und der Qualifizierungsbedarf ist gering. Deswegen sind Länder wie Bangladesch für die Textilindustrie prädestiniert. Das ist die erste Stufe der Industrialisierung, wie sie heute hochentwickelte Länder wie Singapur, Taiwan oder Südkorea auch durchlaufen haben.

Heißt, in zehn oder zwanzig Jahren bauen die Autos?

Ja! Und die Textilindustrie muss sich neue Standorte suchen, um dort ihre Wirkung zu entfalten, eben wegen ihres Pioniercharakters.

Kann denn jeder Mitglied der Koalition werden, auch Firmen wie KiK? Dort starben viele Arbeiter bei einem Brand im September bei einem Lohnunternehmen in Pakistan, weil die Fenster vergittert waren.

Ja, wenn sich KiK wahrhaftig den Diskussionen und Regeln unterwirft. KiK ist ein wichtiger Akteur. Und wenn KiK diesen Einfluss geltend macht, ist das doch gut.

Noch befindet sich die Sustainable Apparel Coalition in der Aufbauphase. Wie weit sind Sie?

Wir arbeiten immer noch an der Entwicklung des Higg-Standards, der misst, wie nachhaltig eine Produktion ist. Da kommen viele Dinge zusammen: CO2-Management, Ressourceneffizienz, soziale Verträglichkeit...

Wann wird es denn die ersten Textilien mit einem Etikett geben, auf dem der Verbraucher fährt, wie nachhaltig das Produkt hergestellt wurde?

Wir rechnen in der Koalition momentan nicht damit, dass das vor 2015 der Fall sein wird. Der Index ist ja zunächst als internes Tool für die Verbesserung der eigenen Lieferkette vorgesehen. Bevor man diesen Index nun für die Verbraucherinformation nutzt, muss dieser selbst so robust wie möglich sein.

"Kein Anbieter von Format kann sich solchen Initiativen auf Dauer entziehen"

Glauben Sie, dass der Verbraucher bereit ist, für ethisch korrekte Produkte mehr zu zahlen? Vielleicht geht der dann doch lieber zu Primark oder KiK, die auf solche Initiativen pfeifen und das T-Shirt für zwei Euro verkaufen können.

Ich bin fest überzeugt, dass es sich kein Anbieter von Format auf Dauer leisten kann, sich solchen Initiativen zu entziehen. Der gesellschaftliche Druck wächst. Die Preissensibilität der Deutschen ist allerdings ein Problem.

Die wollen es billig!

Ja, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich im Markt etwas ändert, und der Preis nicht mehr das alleinige Kriterium ist.

Ist das eine große oder kleine Hoffnung?

Eine große Hoffnung. Ich persönlich mache das hier schon 20 Jahre für die Otto Group. Da sind schon gewaltige Fortschritte gemacht worden. Vor 20 Jahren haben wir unsere Verantwortung für die Produktionsbedingungen in den Entwicklungsländern überhaupt nicht gesehen. Das war auch gesellschaftlich kein Thema. Heute ist es eines und dieser Trend wird sich verstärken. Die Konsumenten wollen einen guten Preis, aber auch einen sorgenfreien Konsum.

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