Süddeutsche Zeitung

Handel:Otto spart und streicht wie nie zuvor

Der Hamburger Familienkonzern profitiert von boomenden Onlinekäufen in der Corona-Pandemie - und baut um. Der neue Kurs ist ungewöhnlich hart.

Von Michael Kläsgen, München

Das alles würde nicht so viel Aufsehen erregen, wäre die Otto Group ein "normales" Unternehmen. Aber Otto fiel immer ein bisschen aus der Rolle, weil das Familienunternehmen aus Hamburg mit hanseatischer Distinguiertheit sein soziales Image geradezu zelebrierte. So gesehen lässt aufhorchen, wenn Otto jetzt, eigentlich zum ersten Mal, seine, so sehen es Gewerkschafter, unfreundliche Seite zeigt. Von der kalten Fratze des Kapitalismus zu reden, wäre verfehlt. Denn auch das Sparprogramm (soll man es überhaupt so nennen?) versprüht die ottotypische Langeweile, auch wenn jedes Einzelschicksal natürlich hart ist. Der Konzern kommuniziert auch ziemlich defensiv darüber.

Irgendwie sickerte aber doch durch, dass Otto seinen Beschäftigten bereits am 18. März das Restrukturierungsprogramm "New" vorgestellt hat. Und dass schon seit September mehr als 60 Beschäftigte am Umbau des Unternehmens arbeiten, vor allem im Marketing und Vertrieb. Otto bestätigt inzwischen, worum es geht: um etwas Großes. Der Konzern konkretisiert nun das, was er seit vier Jahren vorantreibt: Es will kein reiner Händler mehr sein, sondern eine Plattform. Also weitestgehend digital, ein rund um die Uhr zugänglicher Online-Kontakthof für Firmen und Endverbraucher. Kurzum: eine moderne Firma mit effizienten Prozessen und automatisierten technischen Lösungen. Eben so wie Amazon und Zalando, die direkten Konkurrenten.

Langfristig will Otto so jährlich Kosten in Höhe von rund 50 Millionen Euro sparen. Und es werden Stellen gestrichen. Die 400 Stellen bis 2023, von denen die Rede ist, will Otto nicht bestätigen. "Nichts Konkretes" gebe es, alles sei im Fluss; und es seien im vergangenen Jahr eben auch 350 neue Stellen geschaffen worden. Zudem würden derzeit etwa 100 Mitarbeiter für den E-Commerce, die IT und das Online-Marketing gesucht.

"Es herrscht unendliche Verunsicherung."

Das Problem aus Arbeitnehmersicht: "Keiner weiß, welchen Arbeitsplatz es trifft", wie Heike Lattekamp, Landesfachbereichsleiterin der Gewerkschaft Verdi, es ausdrückt: "Es herrscht unendliche Verunsicherung." Niemand wisse, wo die Transformation enden werde, was das Ziel sei. Dazu hat Konzernchef Alexander Birken bisher nichts gesagt. Es passiert nur für Otto-Verhältnisse seit ein paar Monaten unheimlich viel. So wird zum Beispiel das Logistikzentrum der Tochter Hermes auf dem Gelände der Hauptverwaltung geschlossen und nach Polen und Tschechien verlagert. 840 Stellen fallen weg. Ottos Modetochter Bonprix trennt sich von 40 Mitarbeitern im Kundenservice. Sportscheck und der konzerneigene Dienstleister Hansecontrol sind verkauft worden. Und die Zalando-Rivalin About You wird für die Börse getrimmt. Einiges, was nicht mehr so recht zum sozialen Anstrich passt.

Und das alles zu einer Zeit, in der es der Otto Group mit seinen 50 000 Beschäftigten richtig gut geht. Allein im deutschen Online-Handel setzte Otto mit knapp sieben Milliarden Euro etwa eine Milliarde Euro mehr um als im Vorjahr. Auch dank Corona. Ausgerechnet. Denn für die Mitarbeiter ist die Pandemie eine Belastung. "Muss das in so einer Phase sein?", fragt Verdi-Frau Lattekamp. Nun ja, Otto will genau diese Erfolgsphase nutzen - für den Umbau.

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