Ostseepipeline:Lange Leitung nach Sibirien

Jahrelang wurde geplant, jetzt beginnt der Bau der Ostseepipeline. Jetzt stellen Fachleute die Frage: Wird sie überhaupt noch gebraucht?

M. Balser, M. Bauchmüller u. G. Herrmann

Wie eine kleine Stadt auf dem Wasser sieht sie aus, die Castoro 6, die derzeit vor der Küste der schwedischen Insel Gotland ankert. In diesen Tagen soll sie zu ihrer Mission aufbrechen: Vom gewaltigen Heck des Verlegeschiffs wird dann Meter für Meter die Ostseepipeline im Meer versenkt, durch die ab 2011 Erdgas von Russland nach Greifswald strömen soll. Das Schiff, das eher einer Ölplattform ähnelt, ist die schwimmende Fabrik für die Endmontage des Bauwerks. Dort werden die etwa 200.000 Stahlrohre verschweißt, aus denen die beiden Leitungsstränge der Pipeline bestehen.

Noch laufen die ersten Tests mit der Castoro 6, probeweise werden Rohre versenkt und wieder geborgen. An diesem Donnerstag, spätestens aber am Freitag soll der Bau endgültig beginnen. "Wir gehen fest davon aus, dass das klappt", sagt ein Nordstream-Sprecher. Ist die Castoro 6 einmal in Fahrt, kann sie täglich drei Kilometer Rohr verlegen. "Die Pipeline kommt dann wie Wurst aus der Maschine", sagt der Sprecher. Vorausgesetzt natürlich, die See ist ruhig.

Welch gigantische Dimension Europas Milliardenprojekt auf dem Grund der Ostsee hat, wird im Hafen von Mukran klar. Dort, im Osten Rügens, stapelt sich die Pipeline in den Himmel. Fast 50.000 Rohre lagern auf einer Länge von mehreren Kilometern. Weitere 50.000 werden von der russischen Seite aus verlegt, wenn Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew am Freitag in der Hafenstadt Wyborg bei St. Petersburg die Bauphase mit einem Festakt startet. Mehr als 1200 Kilometer lang wird sich die Pipeline über den Grund der Ostsee ziehen. Sie soll pro Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Deutschland liefern - genug für 25 Millionen Haushalte. Geht alles nach Plan, fließt schon im nächsten Jahr das erste Gas.

Über keine andere Pipeline-Trasse wurde so viel debattiert wie über Nordstream. Das von Deutschen und Russen geplante Projekt erinnere an den Hitler-Stalin-Pakt, wetterte der frühere polnische Verteidigungsminister Radek Sikorski 2006, weil es Polen und das Baltikum bewusst umgehe. Das wiederum könnte die Länder, die von russischem Gas abhängen, leichter erpressbar machen. Und für die US-Regierung ist es der Beweis, dass Russland den Gasmarkt dominieren will. Moskau und Berlin treiben den gigantischen Bau dennoch seit Jahren voran.

Ein Mantel aus Beton

Der erste Bauabschnitt befindet sich genau in der Mitte der Trasse, direkt in der Ostsee vor der gotländischen Küste. Von Deutschland aus werden die mit Beton ummantelten Rohre mit gut einem Meter Durchmesser zunächst nach Slite gebracht, einem kleinen Ort an der Ostküste von Gotland, und dann zur Castoro6 verschifft. Von dort nimmt das Spezialschiff zuerst Kurs auf Russland, um später zum westlichen Teil der Route zurückzukehren. Auch in Finnland werden Rohre mit Beton ummantelt; das soll den Transportweg der tonnenschweren Rohre verkürzen. Denn nichts soll den raschen Ausbau mehr hemmen.

Doch in Deutschland gestalten sich die Dinge schwierig. Der Anlandepunkt der Pipeline, ein Industriegebiet am Rande des Ostseebades Lubmin samt stillgelegtem Atomkraftwerk, liegt am sensiblen Greifswalder Bodden. Bis Mitte Mai müssen die Arbeiten hier ruhen - so lange laicht der Hering. Erst dann wird ein Schiff damit beginnen können, die Rohre zu verlegen. Weil der Bodden seichter ist als die Ostsee, kann nur ein kleineres Verlegeschiff ran, maximal 300 Meter wird die Gasröhre hier pro Tag wachsen. Bis Ende des Jahres aber muss sie verlegt sein, dann hat wieder für einige Monate der Hering Vorrecht. Nach Plänen des Konsortiums aber soll so viel Zeit gar nicht nötig sein. "Bis November sollten wir fertig sein", heißt es bei Nordstream.

Die neue Pipeline gilt als eine der größten ihrer Art. Die Bundesregierung verweist auf die strategische Bedeutung für Konzerne und Verbraucher. Erstmals wird Deutschland direkt mit den riesigen Gasfeldern Sibiriens verbunden. "Auf den bisherigen Transitwegen gibt es erhebliche Risiken", heißt es aus der Chefetage eines beteiligten Konzerns. Im vergangenen Jahr hatte ein Streit zwischen Moskau und Kiew wegen offener Rechnungen tagelang den Transit über die Ukraine lahmgelegt, in einigen Ländern Osteuropas wurde das Gas knapp. Tausende Menschen mussten bei Minusgraden frieren.

Wettrennen mit Nabucco

Doch längst wachsen bei den ersten Experten die Zweifel, ob die Milliardentrasse überhaupt noch gebraucht wird. Denn während die Konsorten - neben Hauptaktionär Gazprom die deutschen Konzerne Eon und BASF sowie die niederländische Gasunie - das Projekt seit Jahren zielstrebig verfolgen und es gegen alle Widerstände und Vorbehalte durchgesetzt haben, wachsen die Risiken. Der Weltmarkt hat sich seit dem Planungsstart radikal verändert. War Gas vor drei Jahren in Europa noch knapp und teuer, ist es mittlerweile im Überfluss vorhanden. Die Internationale Energieagentur warnte kürzlich gar vor einer "Gasschwemme". Schuld sind neue Fördertechnologien in den USA. Seit Firmen dort das sogenannte shale gas aus Schiefergestein fördern, werden die Amerikaner zur Gas-Großmacht - und machen Russland immer mehr Konkurrenz. Das drückt auf die Preise.

Auch liefert sich Gazprom in Südeuropa ein Wettrennen mit dem Nabucco-Konsortium um den österreichischen Mineralölkonzern OMV. Sowohl Nabucco als auch die Konkurrenz-Trasse Southstream könnten dereinst Gas aus dem kaspischen Raum und dem Iran nach Europa bringen. Das Nabucco-Projekt wird vor allem von der Europäischen Union forciert, die sich davon mehr Unabhängigkeit vom russischen Gas-Monopolisten Gazprom verspricht. Denn wie immer bei Energie-Importen geht auch es darum, sich möglichst viele Quellen zu erschließen.

Mit dem Baubeginn in der Ostsee in dieser Woche erreicht vor allem einer sein Ziel: Altkanzler Gerhard Schröder. Nur einen Steinwurf vom Zuger See entfernt, im kleinen Grafenweg inmitten der Schweizer Kleinstadt Zug besiegelten die Nord-Stream-Aktionäre schon Ende Januar den Start. Die Pipeline sei politisch nur durch, weil sich Schröder als Glücksfall für die Nordstream-Protagonisten erwiesen habe, sagt ein Ausschussmitglied. Er habe in den vergangenen Monaten politische Widerstände ausgeräumt und die Aktionäre in Vieraugengesprächen auf Kurs gebracht.

Vor allem in den skandinavischen Ländern sorgte das Projekt bis zuletzt für gemischte Gefühle, das Genehmigungsverfahren gestaltete sich alles andere als einfach. In Schweden etwa gibt es immer noch Befürchtungen, Russland könne die Röhre als Vorwand nehmen, um seine Kriegsflotte in der Ostsee aufzurüsten. Auch dauerte es, bis die letzten Umweltbedenken ausgeräumt waren, etwa hinsichtlich der alten Weltkriegsmunition, die vielerorts am Meeresgrund lagert. Mehrfach wurden die Planungen deshalb geändert.

Reger Schiffsverkehr

So wurde eine geplante Plattform vor Gotland ersatzlos gestrichen, die Ingenieure ließen sich eine andere Lösung für die Wartung der Röhre einfallen. Das Konsortium untersuchte für viel Geld den Meeresboden und kartographierte akribisch alle Hindernisse wie explosiven Weltkriegsschrott. An einigen Stellen wurde wegen der Altlasten der Verlauf der Pipeline geändert, an anderen sollen rostige Minen und Granaten erst noch gesprengt werden.

Am kniffligsten war die Planung in der Finnischen Bucht. Die ist sehr flach und darum besonders empfindlich. Außerdem herrscht dort reger Schiffsverkehr. Als letztes der fünf Anrainerländer, die eine Genehmigung erteilen mussten, gab Finnland schließlich im Februar grünes Licht. Nordstream muss jedoch eine Reihe von Umweltschutzauflagen erfüllen. Sie sollen unter anderem verhindern, dass beim Verlegen der Rohre giftiger Schlamm aufgewirbelt wird. Nach allen Hindernissen der Vergangenheit dürfte das ein kleineres Problem sein.

Es geht um viel. Bernhard Reutersberg weiß das. Der globale Energiehunger wachse, warnt der Chef der Essener Eon-Tochter Ruhrgas, Deutschlands größtem Gaskonzern. Auf dem Weltmarkt gebe es zunehmend Konkurrenz um Ressourcen, sagt Reutersberg der Süddeutschen Zeitung. "Der Wettlauf um die Erdgasreserven ist bereits in vollem Gange." Länder mit großem Energiehunger wie China streckten ihre Fühler schon jetzt in Richtung Afrika und Iran aus, um den Energiebedarf künftiger Generationen zu sichern.

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