Der "Mighty Eagle", der mächtige Adler, haut alles kurz und klein. Der muskelbepackte Vogel ist der stärkste Charakter in dem Handyspiel Angry Birds. Darin schießt der Spieler mit einer Art Steinschleuder Vögel auf Schweine. Peter Vesterbacka scheint sich mit der Figur identifizieren zu können: "Ich bin der Mighty Eagle", schreibt der Manager auf seiner Linkedin-Seite über seine ehemalige Position als Marketingchef von Rovio, dem Entwickler von Angry Birds. Und der mächtige Adler hat große Pläne: Vesterbacka will den längsten Bahntunnel der Welt bauen. Dieser soll 100 Kilometer lang sein und Tallinn und Helsinki miteinander verbinden. Am 24. Dezember 2024 soll der erste Zug den sogenannten Finestbay Tunnel passieren. Es geht um zwei Röhren, die parallel zueinander verlaufen. In jedem dieser Tunnel sollen zwei Gleise nebeneinander verlegt werden. Das Projekt soll 15 Milliarden Euro kosten.
Den Projektplanern geht es auch darum, Helsinki als Portal nach Asien zu etablieren. Finnland ist das Land in der EU, von dem aus Fluggäste am schnellsten nach China, Indien oder Japan kommen, argumentiert die Finestbay Area Group (FBA), die Firma hinter dem Projekt, deren Gründer der Finne Vesterbacka ist. Von Helsinki aus brauchen Flugzeuge etwa siebeneinhalb Stunden nach Peking. Von Tallinn aus dauert ein solcher Flug elf Stunden, mit Umstiegen. Der Tunnelbau soll größtenteils von einem chinesischen Fonds namens Touchstone Capital Partners finanziert werden. Dieser Fonds habe auch bereits eine Absichtserklärung unterzeichnet, teilte die FBA Anfang Juli mit.
Die estnische Regierung ist aber noch nicht überzeugt von den Plänen. Das Unternehmen verschweige die Einzelheiten der Absichtserklärung, kritisiert das Wirtschaftsministerium auf Anfrage. Es habe schon nach Informationen gefragt, jedoch hätten die Tunnelplaner mitgeteilt, dass es nicht möglich sei, das Wirtschaftsministerium zu informieren. "Woher sollen wir wissen, dass dieser Tunnel jemals fertig gebaut wird?", sagte der estnische Wirtschaftsminister Taavi Aas der Nachrichtenagentur Bloomberg. Auch das Ziel, dass bereits in etwa fünfeinhalb Jahren die ersten Züge fahren sollen, sei zu ambitioniert.
Die FBA kann die Kritik nicht verstehen. Man habe sich oft genug mit der estnischen Regierung getroffen und alles besprochen, was man besprechen müsse. Das Projekt sei jetzt mit den 15 Milliarden Euro finanziert, die es braucht: "Und wir benötigen kein Geld von Estland, Finnland oder der EU mehr," sagte ein FBA-Sprecher. Auf der Internetseite des Projekts kann man bereits Tickets für die Züge kaufen. 50 Euro soll eine Fahrt durch den Tunnel kosten. Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte FBA ein Dokument, in dem steht, dass schon dieses Jahr gebaut werden soll. Im Juli teilte Finestbay mit, dass diese Aufgabe drei chinesische Baufirmen übernehmen werden. Mit dem Bau soll jetzt aber doch erst Ende 2020 begonnen werden, so die FBA.
Was das Projekt noch anspruchsvoller machen dürfte: Um den Tunnel zu bauen, soll mindestens eine etwa zwölf Hektar große künstliche Insel errichtet werden. Auf der Insel sollen Büros gebaut und Baustoff und Abfall gelagert werden.
Initiator Vesterbacka wird wegen seiner Visionen schon mit Tesla-Chef Elon Musk verglichen. Als er mit der Planung des Projekts begann, beauftragten die Städte Helsinki und Tallinn Gutachter, um festzustellen, ob es überhaupt realisierbar ist. Diese Machbarkeitsstudie wurde zum Teil von der EU finanziert. Ihr Fazit: Grundsätzlich kann das funktionieren. Aber um festzustellen, ob es die Tunnel und die künstlichen Inseln jemals geben kann, braucht es mehr Studien. Das estnische Wirtschaftsministerium ist deshalb weiterhin skeptisch: "FBA nutzt bei diesem Projekt einen Ansatz, der eher bei Start-ups verbreitet ist. Dort sollen Probleme während des Baus gelöst werden." Jedoch seien die "geologischen Voraussetzungen" für das Projekt eventuell gar nicht gegeben. Vor allem vor der estnischen Küste könne es schwierig werden, den geplanten Tunnel zu bauen. Außerdem lägen die Kosten höher als der wirtschaftliche Nutzen, stellten die Gutachter in der im vergangenen Jahr veröffentlichten Machbarkeitsstudie fest.
Nach den Rechnungen der FBA hingegen soll sich das Projekt lohnen. Der Tunnel soll eine Alternative zu Fähren sein. Neun Millionen Menschen nutzten diese im Jahr 2017 zwischen Helsinki und Tallinn, das waren 3,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Tunnelbauer gehen davon aus, dass noch mehr Menschen den Finnischen Meerbusen passieren würden, wenn es die Bahnverbindung gebe. Denn der Zug soll viel schneller sein als die Fähren, die jetzt fahren. Diese brauchen etwa eineinhalb bis zwei Stunden, die Züge sollen die Strecke laut FBA in 20 Minuten schaffen. Das würde einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von ungefähr 300 Kilometern pro Stunde entsprechen.
Die Initiatoren des Tunnelprojekts sehen die Fehler nicht in der eigenen Planung, sondern darin, wie ihre Planung überprüft wurde. Die Machbarkeitsstudie habe Fehler, sie sei "nicht sehr genau".
Die Volkswirtschaften Finnlands und Estlands könnten von der neuen Strecke durchaus profitieren, das sieht auch das estnische Wirtschaftsministerium so. Sollte das Projekt denn jemals realisiert werden - und das hängt wohl davon ab, ob der "Mighty Eagle" alles durchdacht hat.