70 Jahre Ost-Ausschuss:Moskaus bester Ex-Partner

70 Jahre Ost-Ausschuss: Michail Gorbatschow sprach 1989 vor dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft in Köln.

Michail Gorbatschow sprach 1989 vor dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft in Köln.

(Foto: imago stock&people)

Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft: Keine andere Institution stand so sehr für den Glauben an Wandel durch Handel. Nun versucht er eine Neuausrichtung.

Von Daniel Brössler, Berlin

Zwei Tage nach der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu den Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine verschickte der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft eine Pressemitteilung. "Wir sollten die Dinge klar beim Namen nennen: Es geht aktuell weniger um die Sanktionen und deren Folgen, sondern um die Frage, ob wir mit Russland in Zukunft noch im nennenswerten Umfang wirtschaftliche Beziehungen haben werden oder nicht", erklärte der damalige Vorsitzende Oliver Hermes. Deutlicher hätte nicht werden können, mit welcher Wucht die von Scholz konstatierte Zeitenwende in der deutschen Wirtschaft eingeschlagen ist. Keine andere Institution stand über Jahrzehnte so sehr für den Glauben an Wandel durch Handel und für die unbedingte Partnersuche in Moskau.

Insofern war es eine bemerkenswerte Geburtstagsparty am Montag am Pariser Platz in Berlin. Zur Feier des 70. Gründungsjubiläums des Ausschusses sagten sowohl Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als auch Scholz als Festredner zu. Die Bundesregierung setzt auf eine Neuausrichtung der wirtschaftlichen Beziehungen. Auch der Ost-Ausschuss habe seinen Kurs verändert, lobte Scholz. Der Ost-Ausschuss betont mittlerweile die rasant sinkende Bedeutung des Russland-Geschäfts. Deutsche Unternehmen, die ihr Geschäft in Russland zurückfahren, schauen sich verstärkt in anderen Ländern der Region um, etwa in Zentralasien. Der Ost-Ausschuss engagiert sich auch stark bei der Hilfe für die Ukraine und will auch beim Wiederaufbau helfen.

Die Wirtschaftsleute sahen sich als Wegbereiter

Für die Organisation kommt das fast einer Neuerfindung gleich. Bei der Gründung am 17. Dezember 1952 in Köln war es darum gegangen, nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den deutschen Verbrechen im Osten den bundesdeutschen Handel mit der Sowjetunion und den Ostblock-Staaten wieder anzuleiern - lange bevor wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden. Die Wirtschaftsleute sahen sich als Wegbereiter. Zunächst ging es vor allem darum, einen traditionellen Absatzmarkt für die deutsche Industrie wiederzugewinnen, dann zunehmend auch um günstige Energie für diese Industrie.

So wurden am 1. Februar 1970 wurden in Essen folgenschwere Verträge unterzeichnet. Die Sowjetunion sollte für einen Zeitraum von 20 Jahren jährlich bis zu drei Milliarden Kubikmeter Erdgas an die Ruhrgas AG liefern. Im Gegenzug bekam die Sowjetunion Röhren vom Stahlkonzern Mannesmann. Deutsche Banken gaben Kredit, zu 50 Prozent abgesichert durch Hermes-Garantien. "Wenn wir uns durch eine Gasleitung miteinander verbinden, dann wird sich die politische Landschaft in der Sowjetunion zum Besseren verändern", schwärmte damals der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Otto Wolff von Amerongen.

Tatsächlich sei das Gasgeschäft sowohl zu Sowjetzeiten als auch danach ein "wesentlicher Beitrag zur Überlebensstrategie des Kreml" gewesen, schrieb 2016 die russische Politologin Lilia Shevtsova. In Deutschland selbst sei "eine einflussreiche Lobby aus 'russlandverstehenden' Vertreterinnen und Vertretern von Bürokratie und Wirtschaft, in erster Linie verkörpert durch den Ost-Ausschuss" geworden. Das Geschäft legte jedenfalls den Grundstein für den Glauben großer Teile von Politik und Wirtschaft, dass Russland in sowjetischer Tradition stets ein zuverlässiger Energielieferant bleiben würde. Nachhaltig erschüttert wurde dieser Glaube erst am 24. Februar 2022.

Zurückkehren wird dieser Glaube nicht, aber Scholz will Russland als Wirtschaftspartner nicht endgültig abschreiben. Putin werde seinen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen, aber nach dem Krieg werde Russland immer noch da sein. Mit einem veränderten Russland gelte es dann irgendwann neue Beziehungen aufzubauen - auch wirtschaftlich. Jetzt aber würden erst einmal die Sanktionen verschärft. Putin zerstöre mit seinem Krieg "nicht nur die Infrastruktur, die Städte und Dörfer der Ukraine", sagte Scholz, "eigentlich zerstört "er auch die Zukunft Russlands".

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