An die 20 Minuten dauert die Pressekonferenz des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft schon, bis das Thema Russland auf den Tisch kommt. "Darauf haben Sie vermutlich schon gewartet", sagt die Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Cathrina Claas-Mühlhäuser. Ja, tatsächlich. Denn natürlich möchte man gerne wissen, wie die deutsche Wirtschaft umgeht mit einem Land, das seinem Nachbarn Ukraine einen brutalen Angriffskrieg aufgezwungen hat und dessen Regierung den Westen mit Atomdrohungen unter Druck setzt.
Lässt sich da noch Handel treiben? Eigentlich kaum.
Und so gibt es an diesem Dienstagvormittag zwei Erkenntnisse. Erstens: Der Russland-Handel ist in den ersten sieben Monaten des Jahres krachend eingebrochen. Zweitens aber auch: Er ist nicht ganz weg. Es gibt immer noch Unternehmen, die auf dem russischen Markt unterwegs sind. In Zahlen heißt das, der Warenverkehr mit Russland ist von 35 Milliarden Euro zwischen Januar und Juli 2022 auf 8,4 Milliarden Euro zurückgegangen. Das kann man wenig finden, allerdings: 8,4 Milliarden Euro sind immer noch 8,4 Milliarden Euro.
Als Handelspartner ist Russland von Platz 14 auf Platz 36 abgerutscht
Der Rückgang der Importe um 89 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro wiegt hier besonders - vor allem, weil russische Gaslieferungen wegfielen. Gleichzeitig gingen die deutschen Ausfuhren um 39,5 Prozent auf 5,6 Milliarden Euro zurück. Als Handelspartner ist Russland für Deutschland nach Auffassung des Ost-Ausschusses kaum noch relevant, abgerutscht von Platz 14 auf Platz 36 in nur einem Jahr - die "Desintegration der russischen Wirtschaft aus der Weltwirtschaft" sei in vollem Gang, so Claas-Mühlhäuser. Dass es noch immer Unternehmen gibt, die mit und in Russland handeln, liege in der Natur der Sache: Nicht alle Bereiche der Wirtschaft seien mit EU-Sanktionen belegt. Deshalb dürften Unternehmen, die noch in Russland aktiv sind, nicht pauschal kritisiert werden, so die Vorsitzende.
Eines dieser Unternehmen ist der Landmaschinenhersteller Claas aus Harsewinkel im Kreis Gütersloh, bei dem die Vorsitzende des Ost-Ausschusses als Hauptgesellschafterin dem Aufsichtsrat vorsteht. Claas-Mühlhäusers Cousin, Unternehmenschef Jan-Hendrik Mohr, rechtfertigte das Geschäft vor einigen Wochen im SZ-Interview so: Man leiste mit den Erntemaschinen "einen Beitrag zur weltweiten Nahrungsmittelversorgung".
Und Claas ist bei weitem nicht das einzige Unternehmen. Pharmakonzerne und Medizintechnik-Ausrüster wie Siemens Healthineers sind ebenfalls weiterhin im Geschäft. Aber eben nicht nur sie. Auch viele andere, darunter internationale Modelabel wie Benetton, Calzedonia oder Diesel sind einer Liste der Yale-Universität zufolge noch in Russland aktiv. Unternehmen, die man weder für Lebensmittelsicherheit noch Gesundheitsversorgung zuständig halten würde. Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende erklärt es so: Viele Unternehmen hätten ihre Aktivitäten seit dem Angriff auf die Ukraine in Russland zwar längst heruntergefahren, hätten aber Schwierigkeiten damit, den Markt zu verlassen. Oft seien sie an "vertragliche Verpflichtungen" gebunden, was einen schnellen Rückzug schwierig mache, ohne sich strafbar zu machen.
Außerdem könne es nicht das Ziel der Sanktionen sein, das Land vollständig zu boykottieren. Da, wo Wirtschaftsbranchen nicht sanktioniert seien, sollten Geschäfte auch weiterbetrieben werden. Denn, auch das ist Teil der Geschichte: Ein großer Teil der Staatengemeinschaft habe eben keine Sanktionen gegen Russland verhängt und wäre jederzeit bereit, die Geschäftsaktivitäten europäischer Unternehmen zu übernehmen, wenn diese aufgegeben werden.
Dass nun immer mehr Warenaustausch über zentralasiatische Länder abgewickelt werde, bedeute nicht, dass in allen betroffenen Ländern Sanktionen umgangen werden. Claas-Mühlhäuser spricht von einer "Sonderkonjunktur" in der russischen Nachbarschaft - weil viele Geschäfte nun nicht mehr über Russland laufen würden. Auffällige Zahlen kommen zum Beispiel aus Kirgistan, ein Land, mit dem der Handel um über 380 Prozent zugenommen hat. Der Verdacht: Sanktionierte Waren könnten über das zentralasiatische Land nach Russland geliefert werden.