Osram:Ein Konzern, der Stück für Stück verschwindet

Light Bulp Museum in Berlin by the Osram company

So sah sie aus, die alte Glühbirnen-Welt von Osram anno 1932

(Foto: Robert Sennecke/Ullstein)

Osram steht der vielleicht wichtigste Moment der Unternehmensgeschichte bevor: Am Dienstag stimmen die Aktionäre über die Unabhängigkeit ab. Die Mitarbeiter haben schon jetzt Angst um ihr Unternehmen.

Von Thomas Fromm

Im Foyer der Osram-Zentrale hängt ein großer Videobildschirm, der einem gleich erklärt, worum es in diesen Zeiten geht: Corona-Verhaltensregeln, Nachhaltigkeit, dazu eine lange Schleife mit Technikvorstand Stefan Kampmann, der in das Thema "Photonik" einführt. Das Problem ist nur, dass in diesen trüben Corona-Tagen nicht so viele Mitarbeiter in dieses weiße Foyer am Münchner Stadtrand kommen, um sich Videos über Hightech-Licht anzusehen. Und wahrscheinlich ist es gerade auch nicht das ganz heiße Thema, so kurz vor dem nächsten Dienstag, an dem über die Unabhängigkeit von Osram abgestimmt wird.

Der Tag der außerordentlichen Hauptversammlung dürfte einer der wichtigsten Momente in der Unternehmensgeschichte sein, vielleicht sogar der wichtigste. 75 Prozent der Aktionäre sollen dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag des österreichischen Chip- und Sensorenherstellers AMS zustimmen. Der Plan dürfte durchgehen, schon heute hält AMS mehr als 70 Prozent der Osram-Aktien. Im Laufe der kommenden Wochen soll der Deal dann ins Handelsregister eingetragen werden. "Sobald da die Tinte trocken ist, wird in München durchregiert", sagt ein Insider. Osram, jenes mehr als 100 Jahre alte Licht- und Glühlampenunternehmen, aus dem zuletzt ein Spezialanbieter von LEDs, Sensoren und Autobeleuchtung wurde, ist dann Teil eines kleineren Unternehmens aus Premstätten in der Steiermark. Und dann?

Als Siemens vor sieben Jahren seine Tochter Osram an die Börse schickte, sah das nach einer neuen Ära aus. Endlich frei. Damals hatte der Konzern bereits Probleme mit den großen technologischen Umwälzungen am Lichtmarkt, dem langsamen Abschied vom traditionellen Lampengeschäft, der harten Konkurrenz aus Asien. Aber immerhin arbeiteten noch an die 40 000 Menschen für Osram. Heute sind es gerade mal noch knapp 22 000, und bald könnten es noch weniger sein. Osram ist ein Konzern, der durch Abspaltungen, Verkäufe und Stellenstreichungen Stück für Stück verschwindet. Und jetzt soll er auch noch seine Gewinne abgeben und beherrscht werden. Was macht so etwas mit den Mitarbeitern? Mit Menschen, die sich aus alter Verbundenheit selbst Osramiten nennen?

Insider berichten in diesen Tagen von einem regelrechten Brain drain in München: Gute Leute verließen gerade das Haus - vor allem in der Digitalsparte, von der viele glauben, dass AMS sie in absehbarer Zeit eh abgeben wird. Die Abwanderung aus der "dritten und vierten Reihe" sei wegen der großen Unsicherheit "signifikant", sagt einer.

Und der Osram-Chef selbst? Es ist noch gar nicht so lange her, da bereiste Olaf Berlien stolz und staatsmännisch den Vatikan und präsentierte auf dem Petersplatz höchstpersönlich die neuesten Lichtinstallationen. Wer ihm in diesen Tagen in der Osram-Zentrale begegnet, trifft nicht mehr unbedingt den Anzugträger der vergangenen Jahre. Der Manager trägt jetzt auch mal grauen Hoodie, Jeans, weiße Turnschuhe und einen zeitgemäßen Mund-Nasen-Schutz - und wirkt entspannt, trotz der Übernahme durch AMS. Die "industrielle Logik, die technologischen Stärken von AMS und Osram zu kombinieren", habe "einen großen Reiz", sagt er.

Eine Weile sah es so aus, als würde der frühere Thyssen-Krupp-Vorstand, der seit 2015 an der Osram-Spitze steht, sich nur sehr ungern auf den neuen Käufer einlassen. In München hatte man zunächst die Kaufangebote der beiden US-Finanzinvestoren Bain Capital und Carlyle strategisch bevorzugt, und das aus gutem Grund: Man wäre zunächst einmal eigenständig geblieben. Dann aber legte AMS das finanziell attraktivere Angebot vor, und der Vorstand empfahl seinen Aktionären die Annahme. "Wir können gemeinsam einen europäischen Champion von Weltrang im Bereich Sensorik und Photonik schaffen", sagt Berlien heute, ein paar Tage vor der entscheidenden Hauptversammlung.

Dabei geht es bei so etwas nie nur um gemeinsame Technologien und große Aktienpakete. Es geht auch um Kulturen und Identitäten. Schon jetzt berichten Kollegen aus gemeinsamen Arbeitsgruppen: Die Zusammenarbeit sei wegen der großen kulturellen Unterschiede oft schwierig, von einer "enormen Asymmetrie" ist die Rede. Hier Osram, wo Entscheidungen auch mal etwas länger dauern, dafür aber viele Menschen vorher gefragt werden müssen. Da das kleinere Unternehmen, in dem, so berichtet einer, Entscheidungen häufig in sehr kleinem Kreis hinter verschlossenen Türen getroffen werden sollen. "AMS ist jünger, kleiner und eher der Start-up-Mentalität verhaftet", sagt Berlien. Mitarbeiter dagegen sollen sich durchaus schon mal fragen: "Was ist das hier eigentlich für ein Stil?"

Ein Kämpfer für die Unabhängigkeit von Osram, das zeichnete sich schon früh ab, würde der 1962 geborene Berlien in dieser Causa wohl nicht mehr werden. Als zuletzt Medienberichte die Runde machten, wonach der Manager nach der Hauptversammlung am 3. November am liebsten möglichst schnell den Abgang machen würde, fanden das Menschen in der Zentrale nicht so gut. Einfach so gehen, jetzt? Möglich wäre das, indem er eine Klausel zieht, die Manager gerne dann in Anspruch nehmen, wenn wie in diesem Fall ein Kontrollwechsel stattfindet. Meist wird der Vertrag dann bis zum Ende ausgezahlt, in diesem Fall wären das noch knapp zwei Jahre. In der SZ dementierte Berlien nun: "Ich habe nicht vor, meine 'Change-of-Control-Klausel' zu ziehen. Ich brenne nach wie vor für dieses Unternehmen und habe noch viele Ideen für seine Zukunft."

Da mag der Chef noch so sehr für seine Arbeit brennen: Viele seiner Mitarbeiter sorgen sich um ihre Zukunft. Da waren die Berichte über angebliche Ermittlungen der Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen auffälliger Aktiengeschäfte rund um das AMS-Management. Als es hieß, die österreichische Finanzmarktaufsicht schaue sich Transaktionen genauer an, teilte das Unternehmen am 25. Juni zwar schmallippig, aber formaljuristisch einwandfrei, mit: Man habe "keine Kenntnis einer Untersuchung oder Anfrage seitens einer Aufsichtsbehörde oder vergleichbaren Behörde bezüglich Beschäftigten, Mitgliedern des Vorstands oder Aufsichtsrats, der Gesellschaft oder ihrer Tochtergesellschaften". Eine Antwort, die nichts einräumt, aber im Grunde auch nicht hart dementiert. Kurz darauf dann ließ AMS wissen: Die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) habe mitgeteilt, "dass es Ermittlungen wegen möglichen Insiderhandels gegen natürliche oder juristische Personen gibt, die entweder mit AMS in Verbindung oder nicht in Verbindung stehen können".

Die Arbeitnehmerseite ist alarmiert

Die Arbeitnehmer bei Osram warten nun auf eine klare Ansage. "Für uns sind die Vorwürfe gegen führende AMS-Manager nicht ausgeräumt", sagt Klaus Abel, der stellvertretende Aufsichtsratschef und Unternehmensbeauftragte der IG Metall für Osram. Dass AMS mitteile, man habe "keinerlei Kenntnis von Untersuchungen gegen führende Mitarbeiter, reicht jetzt, wo es um den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geht, nicht mehr aus", findet der Arbeitnehmervertreter. Vielmehr müsse der Vorstand um AMS-Chef Alexander Everke den Sachverhalt im Zuge der anstehenden Hauptversammlung aufklären. "Sollte es tatsächlich laufende Ermittlungen wegen Insidergeschäften am Aktienmarkt geben, wäre dies eine schwere Hypothek für Osram", sagt Abel.

Eine ganz andere mögliche Hypothek: Um den größeren Münchner Konzern zu übernehmen, macht AMS eine Menge Schulden. In diesen Tagen wurde eine Wandelanleihe von 750 Millionen Euro ausgegeben, dazu kommt noch ein Brückenkredit von 750 Millionen Euro. Die Arbeitnehmerseite ist alarmiert: Je höher die Schulden von AMS, desto mehr dürfte hinterher bei Osram gespart werden - bis hin zur Zerschlagung und dem Verkauf ganzer Sparten.

Osram-Chef Berlien sieht die Sache so: Unter seiner Führung sei "in neue Zukunftstechnologien investiert" worden, dies werde "das Unternehmen nicht nur viele Jahre erfolgreich tragen", man habe auch "den Marktwert des Unternehmens in den letzten fünf Jahren" verdoppelt. Und er resümiert: "In meiner Zeit stand und steht die Neuausrichtung von Osram im Mittelpunkt." Neuausrichtung - so kann man es natürlich auch nennen, wenn man seine Unabhängigkeit verliert und von einem anderen Unternehmen beherrscht wird.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusWirecard
:Agentenspiele unter Freunden

Der Fall des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstandes Jan Marsalek nimmt immer bizarrere Züge an. Nun geht die Bundesanwaltschaft der Frage nach, ob er als V-Mann für den österreichischen Geheimdienst tätig war.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: