Süddeutsche Zeitung

Organisiertes Versagen bei der SachsenLB:Anklage wegen globaler Zockerei

Die Banker der SachsenLB wollten als globale Player auftreten. Das ging gehörig schief. Nun hat die Leipziger Staatsanwaltschaft erneut Anklage gegen Ex-Vorstandsmitglieder erhoben. Dem Freistaat selbst kommt das gar nicht gelegen. Er will, dass die Haftpflichtversicherung zahlt.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

Es gibt dünne und dicke Justizakten. Manchmal ist die Lektüre spannend, meist aber ist der Inhalt ziemlich spröde. Vor allem Ermittlungsunterlagen aus Bankenverfahren enthalten schweren Stoff. Da wimmelt es von "Liquiditätsfazilitäten", von "AAA Spreads" und von "synthetischen ABS Indexes ABX". Das verstehen selbst viele Banker nicht.

Die neueste Anklage gegen vier ehemalige Vorstandsmitglieder der früheren Landesbank Sachsen Girozentrale (Sachsen LB) ist fast 600 Seiten dick und füllt mehr als 600 Leitzordner, wie die Staatsanwaltschaft Leipzig am Montag mitteilte. Für die Richter, die das alles lesen und entscheiden müssen, ob es zum Prozess kommt, wird das kein Vergnügen. Die Materie ist mindestens so komplex wie die früher von vielen Banken so gerne gekauften Finanzprodukte, mit denen die Geldinstitute viele Milliarden Euro verloren. Und dennoch kann diese Anklage Geschichte machen.

Erstmals wirft eine Staatsanwaltschaft ehemaligen Bankern Untreue vor, weil sie angeblich vorsätzlich die Risiken bei hochkomplexen Finanzgeschäften missachtet hätten. Die internen Kontrollsysteme der Bank seien nicht geeignet gewesen, die diversen Aktivitäten der SachsenLB auf dem Kapitalmarkt ordnungsgemäß zu überwachen. Außerdem seien Jahresabschlüsse falsch dargestellt worden. Der Schaden wird mit mehr als hundert Millionen Euro beziffert.

Verkauf für lächerliche 328 Millionen Euro

Wegen der Fehlspekulationen haben die Sachsen ihre erst 1992 gegründete Staatsbank nach nur anderthalb Jahrzehnten für lächerliche 328 Millionen Euro an die Landesbank Baden-Württemberg veräußern müssen. Außerdem war der Freistaat im Osten gezwungen, dem Käufer auch noch eine Bürgschaft über 2,75 Milliarden Euro für mögliche Verluste zu gewähren.

Die Staatsanwaltschaft wertet das als "Zusammenbruch" der SachsenLB und beschuldigt den früheren Vorstandschef Herbert Süß und drei seiner damaligen Kollegen, beim Handel vor allem mit Kreditpaketen aus Übersee im Umfang von mehr als 32 Milliarden Euro nicht beherrschbare Risiken eingegangen zu sein.

Auf die große Bankenkrise vor fünf Jahren folgten viele Anklagen, weil großes Vermögen veruntreut worden sei. Aber um den Kern des Desasters, das Zocken mit toxischen Papieren, ging es bislang nicht. Sondern um Nebenschauplätze. So haben Leipziger Staatsanwälte drei ehemaligen Spitzenbankern und früheren Mitarbeitern aus der Anfangszeit der SachsenLB bereits Untreue und Bilanzfälschung beziehungsweise Beihilfe vorgeworfen.

Wirtschaftsprüfer von Price Waterhouse Coopers haben 40 Millionen Euro Schadensersatz an das Land gezahlt. Nun also die erste Anklage wegen der globalen Zockereien. Das ist ebenso ungewöhnlich wie die Entstehung der Anklageschrift.

Die Leipziger Staatsanwaltschaft stützt sich vor allem auf eine Expertise der Kanzlei Freshfields und der Wirtschaftsprüfer von Deloitte. Die haben auf 556 Seiten die angebliche Ahnungslosigkeit der sächsischen Banker nachgezeichnet. Nicht die Gier, sondern alltägliche Hilflosigkeit und organisierte Ratlosigkeit sollen in Leipzig geahndet werden.

Die Verteidiger der vier Angeklagten, alles erfahrene Juristen, sind erstaunt und irritiert. Die Staatsanwaltschaft habe ihre Arbeit in einem Umfang an eine Kanzlei delegiert, der einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte sei, sagen die Verteidiger Sven Thomas, Barbara Livonius, Bernd Groß und Björn Gercke. Auf dieser Basis einen Prozess anzustrengen, sei "zum Scheitern verurteilt". Die Expertise soll zwei Millionen Euro gekostet haben.

Die vier Angeklagten sind keine Figuren von der Wall Street; sie wirkten an der Pleiße. Ihre Namen sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Der frühere Vorstandschef Herbert Süß, Jahrgang 1939, leitete mal die Stadtsparkasse Dresden. Angeklagt sind auch ein 57-jähriger Ex-Kapitalvorstand, der mal Liquidator eines Geldinstituts war; eine 60-jährige Vorstandsfrau, die viel über das Risikomanagement geschrieben hat, und ein 59-jähriger Ex-Vorstand, der bei der SachsenLB Karriere machte und dem vor dem Desaster "hohes Bankfachwissen" attestiert worden war.

Keine Projekte, mit denen sich in Sachsen geld verdienen ließ

Gute Banker mit überschaubar guten Gehältern. Süß hatte ein Festgehalt von 360.000 Euro und es erregte schon Aufsehen, als er einen jährlichen Bonus in Höhe von 70.000 Euro erhielt. Der Kapitalvorstand bekam 15.000 Euro Bonus. Sparkassen-Onkels.

Bemerkenswert ist, dass das Quartett erst an die Spitze der SachsenLB rückte, als die Flammen schon züngelten. Sie sollen daran schuld sein, dass die Staatsbank dann lichterloh gebrannt habe. Das ostdeutsche Geldhaus hatte ohnehin einen schweren Stand. Der bei Landesbanken übliche Gedanke, ein Land brauche ein eigenes Geldhaus, um die regionale Wirtschaft anzukurbeln, ließ sich für Sachsen nur schwer nachvollziehen. Es fehlte an Projekten, mit denen sich Geld verdienen ließ.

Einstieg in die Welt der hochkomplexen Finanzprodukte

Die Sachsen-Banker gingen ins Ausland. Sie gründeten eine neue Tochter namens Sachsen LB Europe mit Sitz in Dublin und stiegen in die Welt der hochkomplexen Finanzprodukte ein. Eine Gesellschaft mit dem Namen Ormond Quay kaufte langfristig verbriefte Kredite und finanzierte sie durch kurzfristige Anleihen. Das ganz große Rad mit angeblich überschaubaren Risiken. Der Zinsunterschied zwischen kurz- und langfristig sollte den Gewinn bringen. Schön wär's gewesen.

Die Ankläger haben sich lange mit dem Thema "Pflichtwidrige Risikogeschäfte" beschäftigt. Jedes Bankgeschäft ist irgendwie riskant, das gehört zum Finanzsystem wie das Geld zum Leben. Vorstände dürften aber "nicht grenzenlos" agieren und alles wagen, lautet der Vorwurf. Als es schon kräftig kriselte, habe die SachsenLB das brandgefährliche Ormond-Quay-Engagement noch massiv erhöht.

Die Vorstände hätten Warnzeichen ignoriert und es versäumt, eine ordnungsgemäße Risikoanalyse einzuholen. Lange vor der großen Krise bei solchen Kreditpaketen aus Übersee habe es Alarmzeichen gegeben, die von den Verantwortlichen ignoriert worden seien. Die milliardenschweren Engagements im Ausland hätten "in keinem Verhältnis zur Kapitalausstattung der kleinsten Landesbank" in Deutschland gestanden, erklärten die Ermittler am Montag.

Die Staatsanwaltschaft hat mehr als 140 Zeugen befragt, etliche auch aus dem Bereich Controlling. Der kommissarische Leiter der Kontrolltruppe erklärte den Ermittlern, ihm sei die Wirkung dieser Geschäfte erst im Sommer 2007 bekannt geworden, als alles zu spät war.

Der Bereichsleiter Risikocontrolling meinte, bei einer umfassenden Betrachtung hätte er das Risiko der Bank für nicht vertretbar gehalten. Die Abteilungsleiterin "Integrierte Risikoüberwachung" ergänzte, die Haftung zwischen der sächsischen Muttergesellschaft und den Auslandstöchtern sei ihr nicht bekannt gewesen. Man glaubt es kaum. Das seien keine individuellen Fehler gewesen, glauben die Ermittler. Vielmehr habe organisiertes Versagen vorgelegen, und dafür sei die damalige Bankspitze verantwortlich.

Die vier Angeschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Im Kern erklären sie, nicht vorsätzlich unvertretbare Risiken eingegangen zu sein. Ex-Vorstandschef Süß und seine ehemaligen Kollegen drehen sogar den Spieß um und versuchen, den Freistaat Sachsen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Der Freistaat klagt beim Landgericht Frankfurt auf Schadensersatz und trägt dort vor, es könne keine Rede davon sein, dass die früheren Vorstandsmitglieder die eigene Bank bewusst und willkürlich hätten schädigen wollen.

Nicht Vorsatz habe vorgelegen, sondern nur Fahrlässigkeit. Das ist wichtig, weil sonst die Manager-Haftpflichtversicherung nicht zahlt. Dass die Versicherung bei Gericht behauptet, der alte Vorstand habe absichtlich die Bank geschädigt, bezeichnet der Freistaat in seiner Klage sogar als "dreist". Schließlich hätten sogar die Aufsichtsbehörden damals ein stärkeres Engagement bei solchen Finanzprodukten gefordert.

Was denn nun? Absicht, damit die Ex-Vorstände ins Gefängnis müssen? Fahrlässigkeit, damit sie zahlen müssen? Dass Freistaat und Staatsanwaltschaft einander widersprechen, macht den ohnehin komplizierten Fall nicht einfacher und hilft den Angeklagten, die ihre Unschuld beteuern.

Nun sind die Richter dran

Bei der Bankenkrise, die in den USA ihren Anfang nahm, hätten es sich um ein überraschendes und plötzliche Ereignis gehandelt, erklärte Ex-Chef Süß. Die frühere Vorstandsfrau wandte ein, sie habe eine Vielzahl von weiteren Aufgaben gehabt. Die Ex-Bankerin rechnete den Ermittlern vor, sie sei nur so lange in der SachsenLB gewesen, wie die Sachverständigen der Staatsanwaltschaft nun gebraucht hätten, um ihr belastendes Gutachten zu erstellen.

Demnach wäre am Ende niemand verantwortlich für die große Bankenkrise, die viele Milliarden Euro Steuergeld gekostet hat. Alles also eine unabwendbare Naturkatastrophe und kein Menschenwerk?

Die Ankläger sehen das anders und sagen, bei einem rechtzeitigen Kurswechsel hätte sich die existenzbedrohende Krise der SachsenLB noch abfedern lassen. Nun sind die Richter dran. Sie sind um ihre Lektüre und ihre Aufgabe nicht zu beneiden.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2013/rela
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