Opioid-Krise:Pharmakonzerne entschädigen Ureinwohner

Opioid-Krise: Schmerzmittel wie Oxycontin werden für die Opioid-Krise in den USA verantwortlich gemacht.

Schmerzmittel wie Oxycontin werden für die Opioid-Krise in den USA verantwortlich gemacht.

(Foto: Erik McGrego/imago images)

Johnson & Johnson sowie Medikamentenhändler zahlen 665 Millionen Dollar - wegen Schmerzmitteln, die süchtig machen. Anders als beim Tabak-Deal vor 40 Jahren soll das Geld dieses Mal bei den Betroffenen ankommen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

665 Millionen Dollar müssen der Pharmakonzern Johnson & Johnson sowie die drei größten Medikamentenhändler in den USA in den kommenden sieben Jahren bezahlen. Der Vergleich ist das Ergebnis eines Rechtsstreits: Die Konzerne waren beschuldigt worden, mit ihren Schmerzmitteln zur vielfachen Medikamentenabhängigkeit und Drogen-Epidemie in den USA beigetragen zu haben. Doch die Zahl allein ist nicht das Aufregendste an dieser Nachricht. Vielmehr geht es darum: Wer bekommt diese Summe, und was wird damit passieren?

Das Geld, nach Abzug von rund 15 Prozent Gerichtskosten werden es 590 Millionen Dollar sein, wird an die zwei Millionen Ureinwohner in den USA gehen. Sie sind von der Opioid-Krise, die seit den 1990er-Jahren in den Vereinigten Staaten grassiert, stärker als jede andere Bevölkerungsgruppe betroffen.

So zeigen mehrere Studien: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine schwangere Ureinwohnerin süchtig nach Schmerzmitteln wird, ist 8,7 Mal so hoch wie in allen anderen Bevölkerungsgruppen. Oder: Im Jahr 2016 lag die Sterblichkeitsrate wegen Opioiden bei den Ureinwohnern im US-Bundesstaat South Dakota bei 21 pro 100 000 - mehr als doppelt so viel wie im Durchschnitt der US-Bevölkerung. Zwischen 1999 und 2019 sind mehr als 500 000 Amerikaner an Medikamentensucht und Überdosierung gestorben, die Covid-Pandemie hat die Lage noch verschlimmert. Im vergangenen Jahr starben mehr als 96 000 Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums, das sind mehr als je zuvor.

Es gab bereits separate Vergleiche, bei denen Entschädigungen gezahlt worden sind: Die Pharmagroßhändler Cardinal Health, Amerisource Bergen und McKesson werden 21 Milliarden Dollar an US-Bundesstaaten, Bezirke und Städte zahlen, und zwar verteilt auf 18 Jahre. Den Firmen wird vorgeworfen, Anzeichen darauf, dass ihre Schmerzmittel auf dem Schwarzmarkt vertrieben wurden und die Suchtkrise verschlimmert haben, ignoriert zu haben. Aufgrund des Vergleichs müssen sie jedoch keine Schuld eingestehen - wie auch Johnson & Johnson. Der Konzern wird auch noch fünf Milliarden Dollar über neun Jahre verteilt zahlen.

Weg in die Abhängigkeit führte über Apotheken

Auch laufen derzeit noch weitere Prozesse, zum Beispiel gegen die Apothekenketten Walmart, Walgreens und CVS. Die profitierten davon, dass die Opioide ab Mitte der 1990er auch für geringere Schmerzen zugelassen wurden. So bekommen viele Amerikaner die stark süchtig machenden Schmerzmittel wie Oxycontin und Duragesic von ihren Ärzten verschrieben. Gibt es kein Rezept mehr, besorgen sie sich die Medikamente auf dem Schwarzmarkt oder steigen auf Heroin oder illegal hergestelltes Fentanyl um.

Der jetzt ausgehandelte Deal erinnert ein wenig an den Vergleich der großen Tabakkonzerne im Jahr 1998, und genau deshalb ist es so wichtig, genau hinzuschauen, was dieses Mal mit dem Geld passiert. "Die 246 Milliarden Dollar wurden damals fürs Stopfen von Budget-Löchern, den Bau von Straßen und andere Zwecke verwendet", sagt Allan M. Brandt, Professor für Medizin-Geschichte an der Harvard University und Autor von "The Cigarette Century: The Rise, Fall, and Deadly Persistence of the Product that Defined America". "Es ist ein berühmt-berüchtigtes Beispiel dafür, wie man durch einen Vergleich sehr viel Geld kriegt; es aber nie ankommt bei denen, die es brauchen oder denen es zusteht." Das soll sich nicht wiederholen, das Geld von den Pharmafirmen soll komplett in die Suchtprävention fließen. Angehörige von bereits Verstobenen werden allerdings leer ausgehen.

Die Ureinwohner, die nun das Geld kriegen, wollen sich dazu verpflichten, dass es auch dort ankommt, wo es gebraucht wird. "Unser Stamm hat sich bereits dazu entschlossen, alle Gelder darauf zu verwenden, diese Krise anzugehen", sagt Aaron Payment von Stamm Sault Ste. Marie im Bundesstaat Michigan. "Diese Epidemie ist allgegenwärtig, wir brauchen alle Ressourcen, die wir kriegen können." Die meisten der 574 Stämme in den USA dürften dem Vergleich zustimmen. Das bedeutet aber auch, dass jeder einzelne Stamm nicht besonders viel Geld bekommen wird. Und Johnson & Johnson verschickte bereits das übliche Statement, dass der Vergleich nicht als Schuldeingeständnis zu lesen sei.

Deshalb, bei aller Freude der Ureinwohner, W. Ron Allen von Jamestown S'Klallam nannte den Vergleich "ein ganz großes Ding": Für die Konzerne sind die 665 Millionen Dollar letztlich, nimmt man einen ausgelutschten, in diesem Fall aber treffenden Vergleich: Peanuts. Sie hatten bereits im vergangenen Sommer einen Fonds für diesen Fall eingerichtet.

Die größte Enttäuschung beim Big-Tobacco-Deal war, wie Harvard-Professor Brandt sagt, dass "die Firmen die Preise der Zigaretten erhöht haben, beim Suchtpotenzial von Nikotin die Verkäufe dennoch stabil blieben". Immerhin verkauft Johnson & Johnson nun keine verschreibungspflichtigen Opioide mehr in den USA.

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