Worum geht es bei den neuen Luxemburg-Recherchen der Süddeutschen Zeitung ?
Die Steueroase Luxemburg legt seit September 2019 in einer Datenbank für jedermann offen, wer die tatsächlichen Eigentümer von Firmen mit Sitz in dem Großherzogtum sind. Zuvor war dies bei Tausenden Firmen ein Geheimnis. Auf Initiative der französischen Tageszeitung Le Monde hat die Süddeutsche Zeitung zusammen mit mehreren Medienpartnern die Informationen aus dem neuen Register systematisch analysiert. Die Recherche zeigt, dass bei etwa der Hälfte der Luxemburg-Gesellschaften die versprochenen Informationen fehlen oder irreführend sind. Oftmals sind die Angaben auch offensichtlich falsch. Vor allem aber zeigt sich, dass Luxemburg noch immer einer der bevorzugten Finanzplätze ist für vermögende Menschen und Großunternehmen, die Steuern vermeiden wollen.
Wer war an der Recherche beteiligt?
Die französische Tageszeitung Le Monde hat die gemeinsame Recherche angestoßen. Neben der Süddeutschen Zeitung beteiligten sich daran auch das Journalistennetzwerk Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), die belgische Zeitung Le Soir, die Luxemburger Wochenzeitung Woxx sowie die US-amerikanische Mediengruppe McClatchy, die unter anderem den Miami Herald herausgibt. Die Ergebnisse der mehrmonatigen Recherchen werden unter dem Titel OpenLux veröffentlicht.
Wie genau sind die Rechercheure vorgegangen?
Seit 2019 unterhält Luxemburg ein Register, in dem man die wirtschaftlichen Eigentümer von Firmen einsehen können soll. Allerdings ist es nicht möglich, einfach in der Suchmaske den Namen beispielsweise eines Prominenten einzugeben, um herauszufinden, ob dieser Firmen in der Steueroase besitzt. Man muss die Firmennamen kennen, dann erst findet man den Eigentümer. Deshalb hat Le Monde die Daten gescrapt (also systematisch heruntergeladen) und so durchsuchbar gemacht, dass man auch gezielt einzelne Namen finden kann.
Wer nutzt die Steueroase Luxemburg?
Drei Viertel der luxemburgischen Firmen, die überhaupt Angaben machten, gehören laut den recherchierten Daten Ausländern. Unter den Firmeneigentümern befinden sich Männer und Frauen aus 157 verschiedenen Ländern - darunter rund 4600 Personen aus Deutschland. Mehr als 250 Milliardäre werden im Luxemburger Transparenzregister als Firmeneigentümer geführt. Allein das Vermögen der im Großherzogtum beheimateten Holdingfirmen belief sich 2018 und 2019 auf mindestens sechs Billionen Euro.
Ist es illegal, eine Firma in Luxemburg zu besitzen?
Nein, es ist nicht per se illegal, sofern das Finanzamt über die Firma und entsprechende Geldflüsse informiert wird. Selbst wenn dies der Fall ist, bleibt die Frage, ob es legitim und solidarisch ist, dass ein Land durch seine vorteilhafte Steuergesetzgebung multinationalen Konzernen und reichen Menschen hilft, Steuern in ihren Heimatländern zu vermeiden oder zu sparen. Oftmals lässt sich bei diesen Steuervermeidungskonstrukten auch erst später klären, ob sie legal oder illegal sind. Die EU-Kommission forderte Luxemburg im Jahr 2017 dazu auf, von dem Internetversandhändler Amazon 250 Millionen Euro nachzufordern - das Großherzogtum sträubt sich allerdings.
Welcher Schaden entsteht anderen Ländern durch das Verhalten Luxemburgs?
Laut einer Analyse der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network entgehen allein den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union jedes Jahr mehr als 20 Milliarden Euro durch Steuervermeidung. Zugleich werden intransparente Firmenstrukturen, wie sie auch Luxemburg anbietet, regelmäßig von Kriminellen genutzt, um ihr illegal erwirtschaftetes Geld zu waschen. Geldwäsche sei die größte Bedrohung für Luxemburg, stellte das luxemburgische Justizministerium im September 2020 fest.
Ermittler und Experten sehen ein zunehmendes Geldwäscherisiko bei Investmentfonds, von denen etwa 15 000 ihren Sitz in Luxemburg haben. Im Transparenzregister des Landes müssen nur jene Firmeneigentümer genannt werden, die mehr als 25 Prozent einer Firma besitzen. Bei Investmentfonds, die teilweise Hunderten Anlegern zu Bruchteilen gehören, bleibt damit weiterhin geheim, wer dahintersteckt.
Wer hat's erfunden?
Jean-Claude Juncker gilt als einer der Architekten der Steueroase Luxemburg. Von 1989 bis 2009 war er Finanzminister und von 1995 bis 2013 auch Premier seines Heimatlandes. Unter ihm wurde das Großherzogtum zu dem, was es heute ist. Beispielsweise entwickelte sich unter Juncker die Praxis der Tax Rulings - Steuerdeals, die große Konzerne mit dem Luxemburger Staat abschlossen. Dadurch zahlten multinationale Unternehmen Steuersätze von zum Teil unter einem Prozent.
Gibt es neben Luxemburg noch weitere Steueroasen in der Europäischen Union?
Ja, unter Experten gelten neben Luxemburg mindestens auch Malta, Zypern, die Niederlande und Irland als Steueroasen. Manche Kritiker zählen auch Ungarn und Belgien zu dieser Kategorie von Staaten. Durch die Praxis von Steueroasen entgehen anderen Ländern Milliarden an Steuern - Geld, das dann dort fehlt, um etwa Krankenhäuser instand zu halten, Corona-Impfstoffe zu kaufen oder Krippenplätze zu schaffen.
In den vergangenen Jahren haben Medien weltweit über die Steueroase Luxemburg berichtet. Welche Folgen hatte dies?
Luxemburg hat 2013 das Bankgeheimnis abgeschafft. Nach den sogenannten Luxemburg-Leaks-Enthüllungen 2014, an denen auch die Süddeutsche Zeitung beteiligt war, kritisierte ein Sonderausschuss des EU-Parlaments die Luxemburger Praxis. Die Zahl der Tax Rulings, jener geheimen Abkommen, in denen Luxemburg internationalen Großkonzernen Steuersätze von bisweilen weniger als einem Prozent genehmigt hat, ist stark zurückgegangen. Auch tauschen die Behörden des Großherzogtums mehr Informationen mit anderen Ländern aus.
Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna erklärte gegenüber der französischen Tageszeitung Le Monde, sein Land habe sich für "steuerliche Transparenz" entschieden und erfülle diesbezüglich alle Anforderungen von EU und OECD. Das luxemburgische Justizministerium verweist darauf, dass Luxemburg als eines der wenigen europäischen Länder die wahren Eigentümer von Firmen in einem Transparenzregister "ohne Einschränkungen für die Allgemeinheit zugänglich" gemacht habe.
Wie transparent ist Deutschland?
In Deutschland gibt es seit 2017 ein Transparenzregister - es fällt unter die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamtes, geführt wird es von einem Privatunternehmen: dem Bundesanzeiger Verlag. Anders als in Luxemburg muss man sich hierzulande aber mit Namen, Geburtsdatum und Anschrift registrieren und eine Ausweiskopie hinterlegen, um Einsicht nehmen zu können. Zudem kostet jedes abgerufene Dokument eine Gebühr von 1,65 Euro. Viele Angaben sind jedoch auch hier nicht vollständig. Seit der Einführung des Registers wurden in mehr als 3000 Fällen Geldbußen beziehungsweise in mehr als 6000 Fällen Verwarnungsgelder verhängt, weil etwa Angaben nicht oder unvollständig gemacht wurden. "Wir brauchen ein Transparenzregister, das seinem Namen gerecht wird und Transparenz und nicht Frust schafft", fordert deshalb die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Paus. Bislang sei das deutsche Transparenzregister nicht weniger als eine "Datenmüllhalde".