"Open-Source-Berichterstattung":Der Bürger als Journalist

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Der New Yorker Professor Jay Rosen hat ein Internet-Projekt gegründet, bei dem Blogger und Profis zusammenarbeiten sollen. Die Frage, woher dabei echte Nachrichten kommen, bleibt dabei ebenso offen wie die Finanzierung.

Nikolaus Piper

Das Internet hat die amerikanische Medienindustrie in eine fundamentale Krise gestürzt: Die Auflagen der Zeitungen und die Anzeigenumsätze sinken, traditionsreiche Verlegerfamilien ziehen sich aus dem Geschäft zurück und manche Kritiker fragen sogar, ob Qualitätsjournalismus überhaupt noch eine Zukunft hat.

Trotz mancher Nachteile in ihrem Raumgefühl unschlagbar - die Zeitung auf Papier. (Foto: Foto: dpa)

Der Umbruch der Medien sei "epochal", heißt es im neuesten Bericht zur Lage der US-Medien, den das angesehene "Project for Excellence in Journalism" in Washington herausgibt. Um der Branche neue Wege zu zeigen, seien daher "Renegaten und Draufgänger" nötig.

Möglicherweise ist Jay Rosen einer dieser Renegaten. Der 51-jährige Professor für Journalistik an der Universität von New York hat im vergangenen Herbst eine Firma gegründet mit Namen NewAssignment.Net. Das Projekt besteht im wesentlichen aus einem Internet-Portal, auf dem professionelle Journalisten und Blogger gemeinsam eine elektronische Zeitung produzieren.

Der beste Begriff, der Rosen zu seiner Idee einfällt, ist der des "Open-Source-Journalismus". Das erinnert ein wenig an freie Software wie Linux, die jeder benutzen kann, und bei der das Geschäft erst mit der Weiterentwicklung gemacht wird.

"Ich gehe von der simplen Tatsache aus, dass die Instrumente, die professionelle Journalisten früher exklusiv nutzen konnten, heute jedermann zur Verfügung stehen," sagt Rosen. Früher war ein aufwendiger Apparat notwendig, um Meinungen oder Nachrichten an den Leser zu bringen: ein Verlag, eine Druckerei, ein Fernsehsender.

Heute kann jeder, der einen Computer besitzt, einen Blog ins Netz stellen und so seine Meinung der ganzen Welt zugänglich machen. Damit, so Rosens Schlussfolgerung, sei das herkömmliche Geschäftsmodell der Medienindustrie - journalistische Inhalte werden von Lesern und Werbekunden finanziert - hinfällig.

Jay Rosen räumt selber ein, dass NewAssignment.Net etwas sehr Experimentelles an sich hat - das Projekt heißt nicht umsonst auch offiziell "Ein Experiment in Open-Source-Berichterstattung".

Eigentlich sollte das Portal am 1. April den regulären Betrieb aufnehmen, bisher haben die Nutzer aber immer noch nur Zugriff auf vorläufige Inhalte. Er wolle zeigen, sagt Rosen, "dass die offene Zusammenarbeit im Internet zwischen Reportern, Redakteuren und großen Gruppen von Nutzern hohe journalistische Qualität generieren kann, die dem öffentlichen Interesse dient". Und natürlich soll das Projekt beweisen, dass sich Open-Source-Journalismus finanzieren lässt. Gegenwärtig ist NewAssignment.Net noch ein Ein-Mann-Unternehmen, das von der freiwilligen und kostenlosen Mitarbeit einiger Enthusiasten lebt - und von der Tatsache, dass Jay Rosen als Journalistik-Professor ein festes Einkommen hat.

Aber immerhin konnte er für sein Projekt ein bisschen Geld auftreiben: 10.000 Dollar von einer Stiftung, 10.000 Dollar kamen von Craig Newmark, einem Internet-Pionier aus San Francisco, der "Craigs List" herausgibt.

Das ist eine überaus erfolgreiche Internet-Plattform für Kleinanzeigen, die vielen amerikanischen Verlegern Kopfzerbrechen bereitet, weil sie an der Anzeigenbasis regionaler Zeitungen zehrt. Am interessantesten ist vielleicht die Tatsache, dass Jay Rosens Projekt dem börsennotierten Medienkonzern Reuters stolze 100.000 Dollar wert war.

Rosen ist kein journalistischer Praktiker. Seine Redaktions-Erfahrung beschränkte sich nach dem College auf ein kurzes Praktikum bei der Lokalzeitung in seiner Heimatstadt Buffalo (US-Bundesstaat New York), dem Courier Express.

"Wozu brauchen wir Journalisten?"

Rosens wirkliche Kompetenz liegt in der Medientheorie und der Medienkritik. So beklagt er schon lange, dass sich die etablierten Journalisten in Amerika von ihrem Publikum entfremdet haben, dass die Beziehung zwischen Zeitung und Leser gestört ist.

Bereits 1999 schrieb er ein Buch über die Frage: "Wozu brauchen wir Journalisten?". Seine Antwort, damals wie heute: "Journalisten sollen Öffentlichkeit für andere Menschen möglich machen."

Vor zwei Jahren zeichnete die internationale Journalisten-Organisation "Reporter ohne Grenzen" Rosen aus, weil er sich in seinen Blogs besonders wirkungsvoll für die Pressefreiheit eingesetzt hatte.

Den medientheoretischen Hintergrund merkt man seinem Projekt auch an. "Schauen Sie sich Jays Website genau an," sagt Nicholas Lehman, der Dekan der journalistischen Fakultät an der Columbia-Universität New York. "Sie werden dort viele medienkritische Diskussionen finden, viele interessante Meinungen, aber keine echten News."

"Sie finden dort keine echten News."

Lehman glaubt, dass die Bürger-Journalisten des Internets als Kommentatoren und Diskutanten wichtig sind, dass sie aber den professionellen Reporter nie werden ersetzen können.

"Die Beispiele, in denen Bürger-Journalisten etwas von Bedeutung enthüllt haben, können Sie an einer Hand abzählen," sagt Lehman.

Tatsächlich ist das Spannendste, was zurzeit auf NewAssignment.Net zu finden ist, eine Debatte zwischen Jay Rosen und dem erfahrenen Washingtoner Korrespondenten John McQuaid über die Zukunft des Journalismus.

Jay Rosen räumt selbst ein, dass es völlig offen ist, wohin sein Projekt einmal führen wird. "Ich will die Disziplin der professionellen Journalisten und die Energie der Blogger zusammenbringen," sagt er.

Und er glaubt schon erste, vorsichtige Schlüsse aus seinem Konzept ziehen zu können: "Die Leute machen beim Bürger-Journalismus mit. Und wir müssen uns darauf einstellen, dass die Amateure die Dinge anders angehen als journalistische Profis. Die haben die Aufgabe, den anderen den Zugang zu der Materie zu erleichtern."

Was die ökonomische Zukunft des Journalismus betrifft, ist Rosen gelassen. "Werden sich künftig noch Menschen finden, die bereit sind, für journalistische Qualität zu bezahlen?" fragt der Reporter. Die Antwort: "Das ist Ihr Problem."

© SZ vom 14.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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