Süddeutsche Zeitung

Automobilindustrie:Für Opel gilt das Gesetz des Stärkeren

  • Opel erzielte 2018 wieder Gewinn. Doch für die Mitarbeiter bedeutet das keine Sicherheit.
  • Carlos Tavares, Chef des Mutterkonzerns PSA, zitiert Charles Darwin und fordert weitere Anpassungen bei Opel. Außerdem schimpft über die Gewerkschaften.
  • PSA hatte Opel 2017 übernommen und massive Sparmaßnahmen angekündigt.

Von Max Hägler und Leo Klimm, Rueil-Malmaison

So etwas, schimpft Carlos Tavares, habe er noch nie erlebt. "Nicht in 38 Jahren, die ich in der Autobranche arbeite." Es sind die Arbeitnehmervertreter bei Opel, die den Chef des Konzerns PSA so aufregen. Seit 2017 gehört der deutsche Traditionshersteller zur Peugeot-Mutter PSA. Tavares will jetzt Teile des Opel-Entwicklungszentrums in Rüsselsheim weiterverkaufen an den Pariser Ingenieurdienstleister Segula. Doch die Gewerkschaft IG Metall sträubt sich gegen den Deal - weil bei Segula "die Zukunftsperspektive" fehle.

Tavares sieht es genau andersherum: In ein paar Jahren gebe es für die bis zu 2 000 betroffenen Mitarbeiter des Entwicklungszentrums keine Arbeit mehr, der Verkauf rette ihre Jobs. "Warum zerstört die Gewerkschaft diese Lösung?", schäumt der PSA-Boss. Er hofft, in einer Opel-internen Einigungsstelle den Widerstand der Arbeitnehmer gegen das Geschäft aufzulösen.

Der Streit um das Forschungszentrum sagt viel über die diametral entgegengesetzten Erwartungen, die bei Opel aufeinanderprallen, seit das Unternehmen von den schneidigen Franzosen übernommen wurde. Die Arbeitnehmerseite verlangt "Zukunftsperspektiven" und "Sicherheit". Tavares jedoch führt zur Antwort stets Charles Darwin ins Feld, den Selektionstheoretiker, dem zufolge im Wettbewerb nur die Stärksten und Anpassungsfähigsten überleben. So auch am Dienstag bei der Vorstellung der PSA-Jahresbilanz für 2018 im Pariser Vorort Rueil-Malmaison: "Entweder wir passen uns an und verändern uns. Oder wir sterben", sagt Tavares. Der Konzern müsse seine "darwinistische Transformation" fortsetzen. Darwin als oberster Management-Ratgeber, das bedeutet das Gegenteil von Sicherheit. Es bedeutet permanente Unsicherheit.

So erfahren die Opelaner, was es konkret heißt, zu PSA zu gehören. Früher, als Opel Teil des US-Konzerns General Motors (GM) war, führte der Hersteller ein Eigenleben als europäische Marke - und machte Milliardenverluste. Heute wird Opel anhand strikter Vorgaben aus Paris straff geführt. Tausende Stellen werden gestrichen, um Kosten zu senken. Andere Jobs sollen ausgelagert werden, wie durch den Teilverkauf des Entwicklungszentrums. Starksparen und Gesundschrumpfen ist Tavares' Plan zum Überleben im Wettbewerb. Das mag maximale Unsicherheit bei den Beschäftigten erzeugen. Es führt aber auch dazu, dass Opel 2018, dem ersten vollen Jahr der Zugehörigkeit zu PSA, trotz sinkenden Marktanteils erstmals seit zwei Jahrzehnten Geld verdient hat: 859 Millionen Euro beträgt der Betriebsgewinn.

Für die Mitarbeiter bringt die Rückkehr in die Gewinnzone fürs Erste allerdings nicht mehr Sicherheit. Außerdem könnten sich jene Skeptiker, die bei der Übernahme argwöhnten, PSA werde Opel am Ende zur reinen Marke degradieren, bestätigt fühlen. So erteilte der Konzern den Zuschlag für die Produktion eines kleinen Opel-Geländewagens jüngst nicht etwa einem der Werke des deutschen Herstellers - sondern einer Peugeot-Fabrik in Frankreich.

Der Chef attackiert die deutschen Gewerkschaften

Nicht nur am Automarkt herrscht für Tavares Darwinismus, auch innerhalb des Konzerns. Und da sind die Opel-Fabriken aus seiner Sicht noch nicht konkurrenzfähig, wenngleich sich der Anteil der Lohnkosten am Umsatz - eine von Tavares' Lieblings-Kennziffern - schon deutlich verbessert hat. Er liegt bei 12,6 Prozent; bei Peugeot beträgt der Wert 9,7 Prozent. "Wir werden unsere Entscheidungen weiter nach den Kriterien Qualität und Kosten ausrichten", sagt der PSA-Chef. Kämen die Opelaner bei ihrer Anpassung an den Wettbewerb so zügig voran wie seit 2017, "dann haben sie ihren Rückstand in ein paar Jahren aufgeholt", sagt er. Irgendwann könnte dann sogar einmal ein Peugeot in einer Opel-Fabrik vom Band laufen.

Ist das schon eine "Zukunftsperspektive"? Oder doch nur ein sehr vages Versprechen? Für die nahe Zukunft bei Opel gilt jedenfalls, dass allein schon wegen des ungeregelten EU-Austritts Großbritanniens, der demnächst droht, Hunderte Jobs bei der britischen Opel-Schwestermarke Vauxhall gefährdet sind.

Die Attacken des PSA-Chefs gegen die IG Metall sind harsch. Bei der Gewerkschaft will man es dennoch offenbar noch nicht zum Bruch kommen lassen: Der erste Gewinn nach so vielen Jahren, das sei Anlass zur Freude, heißt es. Doch es folgt eine Frage, die immer lauter wird: Wohin will Tavares Opel führen? "Die Betriebsräte und die Beschäftigten wissen nicht, wie die mittelfristige Planung für die Werke aussieht und mit welchen Modellen und Teilen die einzelnen Standorte ausgelastet werden sollen", sagt Jörg Köhlinger, Bezirksleiter der IG Metall Mitte.

Aus dem Opel-Sanierungsplan "Pace" geht nicht hervor, welche Fahrzeuge das Unternehmen Anfang der 2020er-Jahre bauen und bis dahin entwickeln soll. Bei anderen Herstellern wird so etwas früh kommuniziert. Die Arbeitnehmervertreter verstehen die Geheimnistuerei nicht. Werden die 1400 Mitarbeiter in Eisenach genug zu tun haben, wenn das Modell Corsa bald ausläuft? Und was ist mit dem Stammwerk Rüsselsheim, wo der Insignia gebaut wird? Antworten gibt es bisher keine.

Opel kehrt nach Russland zurück

Immerhin kündigt Tavares an, dass Opel auf den russischen Markt zurückkehren soll. Von dort hatte sich der Hersteller, noch unter GM, vor ein paar Jahren zurückgezogen. Der konzerninterne Rivale Peugeot allerdings darf sich am weit größeren US-Markt versuchen. Dabei soll er, so Tavares am Dienstag, auf die US-Expertise der Ex-GM-Tochter Opel zurückgreifen.

Einmal abgesehen von dem Wutanfall gegen die IG Metall zeigt sich der PSA-Lenker am Dienstag guter Laune. Schließlich präsentiert er die beste Bilanz der Unternehmensgeschichte: 2018 stieg der Betriebsgewinn von PSA dank gut laufender Geschäfte in Europa um 43 Prozent auf 5,7 Milliarden Euro, der Umsatz legte um 19 Prozent auf 74 Milliarden Euro zu. Für die Jahre bis 2021, auf die sein gegenwärtiger Strategieplan ausgelegt ist, zeigt sich Tavares zwar vorsichtig: Für die PSA-Kernsparte, den Autobau, garantiert er im Durchschnitt nur eine Rendite von 4,5 Prozent. Allerdings gelte diese Zusage auch für den Fall eines Konjunktureinbruchs. Und: Auch Opel soll dauerhaft Gewinne schreiben. "Der Weg geht weiter nach oben", prognostiziert der PSA-Finanzvorstand.

Die Wende ist geschafft, soll das heißen. Und vielleicht soll es den Opel-Mitarbeitern doch ein bisschen Sicherheit geben.

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SZ vom 27.02.2019/vd
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