Süddeutsche Zeitung

Opel:Früher Verdacht, späte Razzia

  • Auch gegen Opel wird nun wegen der mutmaßlichen Abgasmanipulation von Dieselfahrzeugen ermittelt.
  • Das bringt auch die Regierung in die Defensive. Schließlich gab es schon vor Jahren Verdachtsmomente gegen den Hersteller.

Von Markus Balser, Berlin, Max Hägler und Klaus Ott

Das Bundeskanzleramt hatte frühzeitig den richtigen Riecher. Aufgeschreckt durch einen Beitrag des ARD-Magazins Monitor über hohe Abgaswerte beim Opel Zafira notierte eine Oberregierungsrätin des Kanzleramtes Ende 2015: Den Manipulationshinweisen müsse nachgegangen werden. Gefordert sei das damals noch von Alexander Dobrindt (CSU) geleitete Verkehrsministerium. Folgende Fragen sollte das Ministerium beantworten: Gebe es Hinweise auf verbotene Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung? Könne das durch Tests bei Opel aufgeklärt werde?

Überhaupt sollte nach Ansicht des Kanzleramtes "insgesamt deutlich pro-aktiver" seitens des Verkehrsministeriums erklärt werden, dass das Problem mit dem Reizgas Stickoxid erkannt sei. Und dass an einer Lösung gearbeitet werde. "Sonst besteht die Gefahr, dass die Bundesregierung von der Presse fortlaufend getrieben wird und noch weiter in eine defensive Grundhaltung gerät." So steht es in dem Vermerk des Kanzleramtes zu Opel vom Dezember 2015. Im September 2015 war die Abgasaffäre öffentlich geworden, mit Enthüllungen über illegale Software bei Volkswagen. Jetzt gerät die Regierung beim Diesel noch mehr in der Defensive: wegen Opel.

Erst sehr spät, im April 2018 hat das dem Verkehrsministerium zugeordnete Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die für Opel zuständige Staatsanwaltschaft in Frankfurt über Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung informiert. Trotz sehr früher Verdachtsmomente, die schon seit fast drei Jahren bekannt sind. Und erst an diesem Montag kam es dann zu einer Razzia in der Opel-Zentrale in Rüsselsheim bei Frankfurt und im Werk in Kaiserslautern. Der Autohersteller weist den Vorwurf zurück, er habe schmutzige Fahrzeuge als sauber verkauft und so die Kunden betrogen. So wie Opel schon immer beteuert hat, nichts Illegales getan zu haben. Auch nach ersten Verdachtsmomenten. Ende 2015 waren dem KBA hohe Abgaswerte bei dem Rüsselsheimer Unternehmen aufgefallen. Anschließend hat das KBA erstaunlich viel Langmut gezeigt und immer wieder auf freiwillige Maßnahmen von Opel gesetzt, ehe die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde. Warum aber diese Nachsicht? Aus politischen Gründen, weil die Bundesregierung der Autoindustrie nicht zu nahe treten will?

Das KBA hatte am 28. Januar 2016 der Opel Group GmbH, Bahnhofsplatz 1, 65423 Rüsselsheim in einem zweiseitigen Schreiben mitgeteilt, es bestehe der Verdacht, "dass Ihre Fahrzeuge über unzulässige Abschalteinrichtungen" für die Abgasreinigung verfügten. Es ging um den Opel Insignia, Modell 2,0 CDTI mit der strengsten Schadstoffnorm Euro 6. Bei Untersuchungen des Amts sei dieses Modell durch hohe Abgaswerte aufgefallen. Messungen auf der Straße hätten eine neun- bis zehnfache Überschreitung des Stickoxid-Grenzwertes ergeben. Dieser Grenzwert galt damals aber nur für Tests auf einem Prüfstand, im Labor gewissermaßen, und nicht auf der Straße.

Genau das war der faule Trick bei Volkswagen gewesen. Eine illegale Software erkannte, ob das Auto auf dem Prüfstand oder auf der Straße fuhr. Und steuerte dementsprechend den Schadstoffausstoß: Saubere Abgase im Labor, hohe Schmutzwerte auf der Straße. Was VW so bei der Abgasreinigung sparte, zahlte der Konzern später bei Strafen und Schadenersatzzahlungen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar in den USA drauf. In Deutschland kam Volkswagen mit einer Milliarde Euro Bußgeld bislang recht glimpflich weg.

Inzwischen wird in Deutschland außer bei Volkswagen und den VW-Töchtern Audi und Porsche auch bei Daimler ermittelt; bei BMW hat sich ein Anfangsverdacht weitgehend zerstreut. Nun geht es, sehr spät, auch um Opel. Das Schreiben des KBA vom Januar 2016 an Opel war Teil einer offiziellen Anhörung gewesen.

Damals zeigte sich, dass etliche Hersteller sehr schmutzige Autos verkauften, sich aber auf ein sogenanntes "Thermofenster" beriefen, das nach europäischem Recht zulässig war. Angeblich zum Schutze der Motoren wurde die Abgasreinigung bei bestimmten Temperaturen abgeschaltet. Dies führe aber zu "erheblichen Überschreitungen der zulässigen Grenzwerte", notierte das Kanzleramt im April 2016. Und fügte hinzu, im Vergleich schneide VW sogar weit besser ab als andere Hersteller. Schlusslichter seien: Renault, Toyota, Suzuki, Land Rover, Porsche, Jeep - und Opel.

Zu wenig Adblue für die Schadstoffreinigung. Gilt das auch für Opel?

Kurz darauf, mit Datum vom 16. Mai 2016, legte Motorenexperte Georg Wachtmeister von der Technischen Universität München ein Gutachten über die Opel-Modelle Zafira und Astra vor. Das Ergebnis: Der Katalysator, der mit einem Gemisch aus Wasser und künstlichem Harnstoff die Abgase neutralisiert, sei offenbar unterdimensioniert. Der Tank für das Adblue genannte Gemisch sei eigentlich zu klein, damit die Wagen wirklich kundenfreundlich und wartungsarm betrieben werden könnten. Zu wenig Adblue für eine wirksame Schadstoffreinigung, das ist genau das Problem bei den von der Volkswagen-Tochter Audi manipulierten Fahrzeugen. Gilt das auch für Opel?

Wachtmeister notierte zu dem Rüsselsheimer Hersteller, "eine Abschaltung der Adblue-Zudosierung, wie sie im vorliegenden Fall erfolgt, kann aus meiner Sicht nicht mit Motor- oder Bauteilschutz begründet werden". Opel müsse aufgefordert werden, seine Abgastechnik offenzulegen. Es dränge sich der Eindruck auf, dass bei Opel der komplizierten Katalysator "in einem nicht ausreichenden Reifezustand eingeführt" worden sei, besagt das Gutachten vom 16. Mai 2016. Zwei Tage später stand im Verkehrsministerium ein Termin mit Opel an. In einer Gesprächsvorlage des Ministeriums dazu ist die Beurteilung notiert, die jetzt erst zur Razzia führt: man müsse den Automanagern deutlich machen, dass sie unzulässige Abschalteinrichtungen einbauen ließen. Und dass es dafür "keine Rechtfertigungsgründe" gebe.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2018/jps
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