Auch rote Büstenhalter gibt es auf diesem Basar. Mit Spitze. "Bequem inshallah Cup 75". Immer wieder wird Selim Reid darauf angesprochen. Und vielleicht sagt das weniger über den Islam aus als über die sonderbare Vorstellung, die sich die Deutschen vom Islam machen.
Reid, 25, ist Sunnit. Mitte der Neunzigerjahre kam er mit seinen Eltern als Flüchtling aus dem Irak nach Deutschland. Den Islam, sagt er, hat er hier kennengelernt. "Als eine Religion, nicht als die einzige Wahrheit." Hier hat er Abitur gemacht. An seiner Schule in Norderstedt, in der Nähe von Hamburg, war er der einzige Muslim. Im Fußballverein auch. Aber hier, in der Moschee, hat er eben auch immer wieder Menschen getroffen, die ihm erzählten, wie schwer es ist, an Kreuzkümmelöl zu kommen. Dass sie sich immer einen ordentlichen Vorrat mitbringen, wenn sie einmal im Jahr zu den Verwandten in die Türkei reisen.
Das hat Reid ins Grübeln gebracht. Und aus dem Grübeln ist selisha.de geworden. Ein elektronischer Basar für Muslime. Vor zwei Jahren hat Reid die Plattform ins Netz gebracht.
"Mit Allahs Segen" nach passenden Produkten suchen
Der Suchschlitz steht oben links. Wie bei Ebay. Und rechts oben, da also, wo bei Ebay der blaue Button mit der Aufschrift "Finden" ist, da steht: "Bismillah", mit Allahs Segen. Bei Selisha können kleine Händler, aber auch Privatleute anbieten, wonach Muslime suchen: Kopftuch, Koran, Kreuzkümmelöl. Oder eben BHs. "In der Öffentlichkeit wird eine gläubige Muslimin ihren Körper vor den Blicken der Männer schützen, aber deswegen läuft sie doch zu Hause nicht im Mantel herum", sagt Reid.
Er will niemanden bekehren. Er hat einfach nur eine Marktlücke entdeckt. "Bei Selisha ist jeder willkommen: Wer ein Kopftuch bestellt, dem komme ich nicht mit dem Zeigefinger. Ob er es trägt oder verbrennt, das ist mir egal", sagt Reid. Auf Ebay, so schätzt er, gibt es nicht einmal ein Zehntel von dem, was Muslime auf Selisha finden können. Und sei es der Gebetsteppich mit eingenähtem Kompass, mit dem sich auch auf Reisen noch Mekka verorten lässt.
Reid ist nicht der erste und auch nicht der einzige, der die etwa 3,5 Millionen Muslime in Deutschland, zumeist Türken, als Kundschaft entdeckt hat. Ihre Kaufkraft wird von Experten auf mehr als 17 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Zwei Drittel der Deutschtürken fühlen sich in Deutschland als Türken und in der Türkei als Deutsche, so steht es etwa in einer Studie des Berliner Instituts für Markt- und Medienforschung.
Für sie fertigen Lebensmittelkonzerne Würste und Fruchtgummi halal, also gemäß der Vorschriften des Korans. Für sie hat die Deutsche Bank ein Angebot namens Bankamiz, übersetzt "unsere Bank", mit günstigen Auslandsüberweisungen und Beratungen in der Muttersprache der Migranten aufgelegt. Und für sie hat Telefónica, hierzulande besser bekannt unter der Marke 02, einen Mobilfunktarif, der sich ohne zusätzliche Sim-Karte oder Roaming-Gebühren auch in der Türkei nutzen lässt. Dazu gibt es noch Ergebnisse aus der türkischen Fußballliga aufs Handy.
Der Islam empfiehlt wirtschaftlichen Handel
Anders als bei Ebay fällt bei Selisha nur dann eine Gebühr an, wenn etwas tatsächlich verkauft wird. Die Provision liegt bei fünf Prozent. Preistreiberei ist im Islam verboten. Dass sich daran auch bei Selisha jeder hält, kontrolliert Reid, so sagt er, mit einer eigenen Software und regelmäßigen Stichproben. Er hat eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, auf die Seite gestellt. Das soll all jenen Gewissheit geben, die sich in der Auslegung ihres Glaubens nicht sicher sind. "Handel wird im Islam sogar empfohlen, das wissen nur die meisten gar nicht.", sagt Reid. Dass Zinsen im Islam als Wucher gelten, darüber muss sich der Jungunternehmer keine Gedanken machen.
Bislang hat er mit dem Portal, auf dem sich etwa 5000 Menschen angemeldet haben und täglich bis zu 100 Artikel verkauf werden, noch keinen Gewinn gemacht. Von jedem Euro, den er an Umsatz macht, spendet Reid einen Cent. Mal für einen Schwimmverein für Frauen, in dem also auch eine Muslimin, geschützt vor den Blicken der Männern, schwimmen gehen kann. Mal für den Verein SOS Kinderdorf, der ausdrücklich über alle Religionen hinweg Hilfe leistet.
Man kann Reid also für einen guten Muslim halten - oder einfach nur für einen ehrbaren Kaufmann. Schließlich untersagt auch Ebay in seinem Auktionshaus Preistreiberei. Und schließlich stecken auch andere junge Internetunternehmer den größten Teil ihrer Erlöse in die Entwicklung ihrer Webseite. Reid rühmt sich selbst nicht mit seinen Wohltaten. Und er bildet sich auch nicht ein, dass er mit seinem Portal so reich wird, wie die Samwer-Brüder damals mit ihrem Klingeltonanbieter Jamba. Nebenbei studiert er Fahrzeugbau und Flugtechnik. Das Studium will er auf alle Fälle abschließen - und zwar mit guten Noten.