Online-Makler:Ordner statt App

Lesezeit: 3 Min.

Es ist nicht ganz einfach, Jahrzehnte alte Policen in eine App einzupflegen. Viele Kunden sind verunsichert. (Foto: Patrick Pleul / dpa)

Ob Taxibestellung oder Fitnesstracking, die digitalen Helfer erobern alle Bereiche des Alltags. Aber nicht bei den Versicherungen. Die Euphorie über Firmen, die alle Verträge in der Cloud verwalten, ist vorbei. Viele mussten aufgeben.

Von Christian Bellmann, Köln

Das klingt doch eigentlich recht vernünftig: Statt dicker Ordner oder überquellender Schubladen mit Versicherungsunterlagen nur noch eine App und einen Ansprechpartner. Alles ist in der Cloud, Kundin oder Kunde können per Smartphone oder PC zugreifen. Der "digitale Versicherungsordner" ersetzt die Papierberge.

Damit werben Versicherungs-Apps, die seit rund vier Jahren auf dem Markt sind. Knip, Clark, Wefox, Feelix, Ted oder Asuro versprechen allesamt, ihren Nutzern jederzeit den optimal auf sie zugeschnittenen Versicherungsschutz zum besten Preis zu bieten. Lange Zeit überzeugte das Geschäftsmodell auch Investoren. Sie steckten Millionen in die Start-ups. Doch durchgesetzt haben sich die Apps bislang nicht. Ob Taxibestellung, Ticketkauf oder Fitnesstracking - die digitalen Helfer erobern alle Bereiche des Alltags. Aber nicht bei Versicherungen.

Viele Anbieter haben aufgegeben oder ändern ihr Geschäftsmodell. Sie haben schlicht zu wenig Nutzer - trotz beeindruckender Download-Zahlen für die Apps. Die App des Schweizer Start-ups Knip, das 2015 auf den deutschen Markt kam, war in den Spitzenzeiten mehr als 800 000 Mal auf Smartphones geladen worden. Aber nur 20 000 Kunden nutzten die App auch. Die Investoren zogen Mitte 2017 die Reißleine und fusionierten die Firma mit dem niederländischen Anbieter Komparu, Gründer Dennis Just verließ das Unternehmen. Andere Anbieter ändern ihr Geschäftsmodell. Sie konkurrieren nicht mehr mit herkömmlichen Maklern, sondern bieten ihnen ihre Technologie an.

Die Funktionsweise der Apps ist weitgehend identisch. Kunden geben Informationen über ihre bestehenden Versicherungen ein und erteilen dem Anbieter ein sogenanntes Maklermandat. Dieser führt die Policen in einem digitalen Ordner zusammen, analysiert den bestehenden Versicherungsschutz und prüft, ob der Wechsel eines Tarifs oder des Versicherers sinnvoll ist. Für Kunden ist das Angebot kostenlos. Der Makler erhält für die Verwaltung vorhandener Verträge eine Bestandsprovision von den Versicherern. Schließt er für den Kunden einen neuen Vertrag ab, gibt es Abschlussprovisionen.

Christian Mylius, Partner bei der Strategieberatung EY Innovalue, sieht verschiedene Gründe für das Scheitern. Erstens haben die Gründer die Kosten unterschätzt, die für die Gewinnung neuer Kunden anfallen. Bei Vertretern und Maklern weiß die Branche genau, was die Neukundengewinnung kostet - es sind selten unter 100 Euro. Aber auch die Werbung der Start-ups im Fernsehen oder bei Google kostet Millionen, die Stückkosten sind kaum geringer.

Das zweite Problem war die Technik. "Die Idee eines digitalen Versicherungsordners war gut, und die digitalen Oberflächen der Apps sind technisch oft gut gelungen", lobt Mylius. Die digitalen Makler haben die Rechnung aber oft ohne die Versicherer gemacht, mit denen sie Daten austauschen müssen. "Der gesamte Prozess ist ineffizient, zu teuer und läuft noch nicht vollständig digital ab", kritisiert er.

Das größte Problem: Die Schnittstelle zwischen den digitalen Maklern und den mit viel Papier und alter Software arbeitenden Versicherern klappt nicht. Problematisch ist das bei der Übertragung von Jahrzehntealten Policen in die App. Das kann Monate dauern. Der Kunde aber macht den App-Anbieter verantwortlich. "Echt übel. Viele Verträge sind bis heute nicht eingepflegt worden", klagt ein Nutzer. "Oftmals haben die Versicherer gar kein Interesse daran, die Abläufe zu beschleunigen", sagt Mylius. "Sie haben die digitalen Makler lange nicht als Kooperationspartner, sondern als Konkurrenten gesehen."

Verbraucherschützer sehen einen weiteren Grund für den mäßigen Erfolg der Apps: Die Kunden sind unsicher. "Es spricht nichts dagegen, Versicherungsverträge in einer App zu verwalten", sagt Maja Kreßin, Fachanwältin für Versicherungsrecht beim Bund der Versicherten. "Wir raten nicht grundsätzlich davon ab, aber raten zu Vorsicht", sagt Kreßin. "Kunden geben viel Kontrolle aus der Hand."

Den Wenigsten ist klar, dass sie den Anbietern eine umfangreiche Maklervollmacht erteilen und ihr bisheriger Vermittler nicht mehr zuständig ist. "Ich bin schockiert!", schreibt eine Nutzerin im Google Play Store. "Wollte nur Übersicht über meine Verträge erlangen, aber Clark jubelt einem direkt die Maklervereinbarung unter, sodass bestehende Verträge dem aktuellen Makler entrissen werden", schreibt sie.

Das Problem: "Vielen ist der Umfang des Maklermandats nicht bewusst", sagt Peter Grieble von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Wenn ein Kunde, der nur eine Versicherung hat, einem Online-Makler eine Maklervollmacht erteilt, umfasst sie sämtliche Versicherungssparten. Dass der Anbieter daran großes Interesse hat, kann Grieble verstehen. "Aber dann muss ein Online-Makler auch in der Lage sein, in allen Sparten eine hochwertige Beratung anzubieten", verlangt er.

Für wen sind die Apps geeignet? "In erster Linie für Kunden, die ihren Bedarf an Versicherungsschutz genau kennen und keine ausführliche Beratung benötigen", sagt Kreßin vom Bund der Versicherten.

Versicherungs-Apps haben es schwerer, im Alltag Einzug zu halten, als Anwendungen für mobiles Banking oder Aktienhandel. Eine Bank-App wird regelmäßig für Überweisungen oder die Abfrage des Kontostands genutzt, eine App für Aktienhandel mehrmals am Tag. Die Notwendigkeit, ähnlich oft Versicherungen zu überprüfen, sehen dagegen nur die Wenigsten.

Die schwache Nachfrage nach Apps haben die digitalen Makler mit den großen Versicherern gemein. Auch deren Apps dümpeln meistens ungenutzt auf den Smartphones dahin. Die einzige Ausnahme sind Apps, mit denen Privatversicherte Rechnungen und Rezepte bei ihrer Krankenversicherung einreichen. Die haben sich inzwischen bewährt und werden millionenfach genutzt. Möglicherweise kommt der Durchbruch für Versicherungs-Apps erst dann, wenn sie in die Bank-Apps oder in andere nutzbringende Anwendungen eingebaut sind.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: