Online-Lexikon:Wie die Wikipedia-Spendenaktion die Basis erzürnt

Lesezeit: 3 Min.

  • Hinter der Wikipedia steht eine große Gemeinschaft ehrenamtlicher Schreiber - und die Wikimedia-Stiftung.
  • Deren jährliche Spendenkampagne erzürnt Teile der Basis. Die US-Stiftung bittet jedes Jahr um mehr Geld, obwohl die Kassen gut gefüllt sind.
  • Wikimedia verteidigt sich gegen die Kritik. Man wolle für schlechte Zeiten vorsorgen und habe hohe Ausgaben.

Von Angela Gruber, Hamburg

Wenn Pete Forsyth in diesen Tagen Wikipedia aufruft, dann ärgert er sich immer. Der Grund für den Missmut beim amerikanischen Berater des Online-Lexikons ist am oberen Seitenrand zu finden: Dort ist, wie jedes Jahr zur Vorweihnachtszeit, ein Spendenbanner platziert. Insgesamt 25 Millionen Dollar sollen Nutzer im Dezember spenden. "Wir bitten dich, Wikipedia zu helfen", steht da.

Was den vielen Spendern aus der ganzen Welt oft nicht bewusst ist: Sie geben an eine Organisation Geld, der es finanziell blendend geht und die seit Jahren ihr Vermögen mehrt. Auch die traditionell auf Mitbestimmung bedachte Basis von Wikipedia ärgert sich über das durch intensive Markttests optimierte Banner, sagt Forsyth. Er hat vor seiner Tätigkeit als Berater zwei Jahre lang selbst für die amerikanische Wikimedia-Stiftung gearbeitet. Sie steht hinter dem Lexikon und damit auch hinter dem Spendenbanner.

Die Kritik der Community werde vom Spenden-Team nicht ausreichend berücksichtigt

Der Großteil der Finanzierung kommt von kleinen Spenden um die 20 Dollar. Doch trotz solcher überschaubaren Beträge häuft sich einiges an: Aktuell sitzt die amerikanische Wikimedia-Stiftung auf 78 Millionen Dollar, ein Zuwachs um mehr als 24 Millionen Dollar im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2008 besaß die Stiftung noch weniger als zehn Millionen Dollar.

Zwar sei die Sprache nicht mehr so mitleidheischend wie bei früheren Bannern, Nutzer könnten sich dennoch getäuscht fühlen, sagt Forsyth. "Bei einem Vortrag von mir habe ich eine Spenderin getroffen, die total entsetzt war, als sie erfahren hat, wie viel Geld die Stiftung tatsächlich hat", sagt Forsyth. "Die Frau überlegte, ihre Spende zurückzufordern."

Die Kritik der Community werde aber vom Fundraising-Team nicht ausreichend berücksichtigt. "Dabei sind die Freiwilligen das Herz von Wikipedia. Sie schaffen mit ihrer unbezahlten Arbeit an den über 35 Millionen verfügbaren Einträgen den Wert, auf den die Spendenbanner der Stiftung verweisen."

Wie tief ist die Kluft zwischen den Freiwilligen, die Einträge schreiben, und den Zielen der Wikimedia-Stiftung? Jimmy Wales, Mitgründer des Projekts, während eines Interviews. (Foto: Bloomberg)

Kritiker Forsyth sieht deshalb den Streit um die Kampagne nur als Symptom für einen tiefer liegenden Konflikt innerhalb des Projekts: "Die Kampagne ist eine seltene Gelegenheit, direkt zu den Nutzern zu sprechen. Sie kann unsere Werte klarmachen und erzählen, warum wir alle an diesem Projekt arbeiten. Aber die Banner der Stiftung reflektieren diese Werte nicht. Es gibt eine immer tiefer werdende Kluft zwischen den Freiwilligen der Wikipedia und den Zielen der Wikimedia-Stiftung."

Die gemeinnützige Organisation hinter dem Wikimedia-Projekt hat es mit ihrer professionellen Spendenabteilung generell nicht leicht. Denn Teile der Basis sind radikal eingestellt: Sie lehnen es grundsätzlich ab, dass mit Wikipedia überhaupt Geld eingenommen wird. Aber ohne geht es eben nicht, die Organisationsstruktur funktioniere nicht ohne finanziellen Rückhalt, argumentiert die US-Stiftung. Vielleicht ist das Wikipedia-Projekt vom freien Wissen für solche radikale Ideen einfach zu groß geworden, zu schnell gewachsen.

Bei der Stiftung verteidigt man sich gegen den Eindruck, Geld zu horten und unseriös Spenden zu sammeln. "Es gibt ungeplante Kosten, Notfälle, oder Einnahmen brechen weg", heißt es von Seiten der US-Stiftung. Ein gesundes finanzielles Polster zu besitzen, sei im Nonprofit-Bereich als optimale Vorgehensweise anerkannt. Neben den Betriebskosten für Server fielen viele weitere Kosten für die Entwicklung der Software und die Verwaltung der Wikipedia und der elf anderen Wikimedia-Projekte an. Die jährliche Kampagne finanziere einen großen Teil des Jahresbudgets.

(Foto: sz)

"Wenn viel Geld da ist, gibt es eben auch Kritik", heißt es von der Stiftung

Während in vielen Ländern der Welt die von der amerikanischen Mutterorganisation erdachten Banner auf den Wikipedia-Seiten auftauchen, ist Deutschland ein Sonderfall. Auch hier läuft die Spendenkampagne. Aber der deutsche Ortsverband ist für seine Banner selbst verantwortlich und hat einen anderen Wortlaut für den Aufruf gewählt als die Stiftung in den USA: "Schon der Preis einer Tasse Kaffee würde genügen", werben die Deutschen dieses Jahr um Zuwendungen. Insgesamt soll aber schon etwas mehr als Kleingeld zusammenkommen: 8,6 Millionen Euro will die Wikimedia-Fördergesellschaft einsammeln, die zum Verein Wikimedia Deutschland gehört. Ein Drittel der Spenden bleibt in Deutschland, wo mittlerweile 81 Mitarbeiter für den Wikimedia-Verein arbeiten, Werkstudenten und Praktikanten eingerechnet. Der Rest fließt an die US-Stiftung, die dafür zum Beispiel alle Server betreibt.

Das deutsche Spendenziel ergebe sich aus dem Jahresplan von Wikimedia Deutschland, sagt Till Mletzko, Leiter der Fundraising-Abteilung. Die darin festgelegten Summen will er erreichen.

Wie in den USA loben auch die Deutschen immer höhere Zielsummen aus: 2014 lag das Spendenziel noch bei 7,8 Millionen Euro, 2011 nur bei 3,9 Millionen Euro. "Das Netzwerk ist groß und diskussionsfreudig, alle fühlen sich als Teil der Bewegung. Wir nehmen das an, erklären viel und sind so transparent wie möglich, auch bei den Finanzen", heißt es bei Wikimedia Deutschland. Als Freiwilligen die Wortwahl des Bannertextes nicht gefallen habe, habe man sie geändert. Dass trotzdem nicht alle Wikipedianer glücklich seien, sei bei der "Bewegung", wie die Stiftung Wikipedia nennt, unvermeidlich. "Wenn viel Geld da ist, gibt es eben auch Kritik."

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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